Fake News zeigen in der Corona-Krise ein neues Gesicht: Das Politische, das Falschnachrichten bisher häufig innewohnte, tritt in den Hintergrund, stattdessen werden kleine Alltagslügen verbreitet. Foto: Friso Gentsch/dpa/Friso Gentsch

Derzeit verbreitet sich im Netz viel Unsinn über das Coronavirus. Selbst Menschen, die sonst gegenüber Falschnachrichten misstrauisch sind, halten so einiges für glaubhaft. Doch warum ist das so?

Berlin - Es ist ein wenig wie bei der Pandemie: Fake News über das Coronavirus verbreiten sich derzeit offenbar genauso schnell wie der Erreger selbst. Über soziale Medien und in privaten Chatgruppen werden Gerüchte befeuert – teils wohl aus Ahnungslosigkeit oder auch einer (verständlichen) naiven Hoffnung, oft aus Bosheit.

Der kruden Fantasie derjenigen, die die Lügen erfinden, scheinen kaum Grenzen gesetzt. Dabei deuten manche Fakes auf eine geschlossene Verschwörungstheorie hin: etwa dass das Virus in einem Labor im chinesischen Wuhan gezüchtet und dann freigesetzt wurde, oder dass die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung die Entwicklung von Sars-CoV-2 finanziert haben soll.

Kleine Falschmeldungen statt große Verschwörungstheorien

Doch nicht immer wird das große Rad gedreht. Auch vermeintliche Heilmittel gegen die vom Coronavirus ausgelöste Krankheit Covid-19 machen die Runde. So wird geraten, die ätzende Bleich-Chemikalie Chlordioxid zu trinken, um das Virus abzutöten, oder eine aufgeschnittene Zwiebel in die Wohnung zu legen, die den Erreger wie ein Magnet aus der Luft zieht.

Alles vollkommener Unfug, zum Teil sogar gesundheitsgefährdend. „Die kleinen Falschmeldungen halte ich für gravierender als die großen Verschwörungstheorien“, sagt Kommunikationswissenschaftler Tilman Klawier von der Universität Hohenheim. Denn sie berühren den Alltag.

„Vom Coronavirus kann potenziell jeder betroffen sein“, erklärt die Stuttgarter Medienwissenschaftlerin Katarina Bader. Wenn es um die Gesundheit gehe, hätten News rund um den Erreger in hohem Maße Einfluss auf das eigene Leben. Das Problem allerdings: „Es gibt das Gefühl, dass herkömmliche Kanäle nicht genug Informationen bieten“, so die Fake-News-Expertin. „Das liegt einfach daran, dass aktuell so vieles ungewiss ist.“

Geltungsbedürfnis oder Langeweile?

Und so wird manches Gerücht ungeprüft weitergereicht. Viele bekommen derzeit so viel Unsinn untergejubelt wie noch nie – selbst von Bekannten, die kruden Theorien eigentlich misstrauen. „Angst macht anfälliger für Falschnachrichten – auch bei Leuten, die sonst keinen Fake News glauben“, sagt Journalismus-Professorin Bader. Viele hätten derzeit ein diffuses Gefühl, was wahr und was unwahr ist. „Ich glaube schon, dass unser Gehirn ein Stück weit aussetzt.“

Aber wer steckt dahinter? Für Fake-News-Forscher Klawier ist die Absicht derzeit nicht immer deutlich. Wurden Lügen in der Vergangenheit häufig verbreitet, um mit Klicks Geld zu verdienen oder die eigene Ideologie unter die Leute zu bringen, so ist die Motivation im Fall des Coronavirus seiner Ansicht nach nicht unbedingt erkennbar. „Vielleicht ist es ein individuelles Geltungsbedürfnis, Langeweile oder einfach ein gestörter Erfindungsreichtum.“

Falschnachrichten haben oft nur geringe Halbwertszeit

Das Politische, das Falschnachrichten bisher häufig innewohnte, tritt in den Hintergrund. Auch aus deutschen Sicherheitskreisen war zuletzt zu hören, dass bislang kein nennenswerter Anstieg politischer Fakes oder gezielter Kampagnen – etwa aus dem Ausland – registriert wurden.

Die kleinen Lügen aber grassieren, selbst wenn sie manchmal nur eine Halbwertszeit von wenigen Stunden haben. So wurde etwa zuletzt in Umlauf gebracht, ab sofort gelte in allen deutschen Unternehmen ein „Arbeitsverbot“. Die meisten Angestellten dürften spätestens nach wenigen Stunden gemerkt haben, dass das völliger Quatsch ist. Und doch kann das schon reichen, um mächtig Aufruhr zu stiften.

„Ich sehe nicht die Gefahr einer großen Massenpanik“, sagt Bader. Ein Großteil der Bevölkerung könne Falschnachrichten einschätzen. „Doch auch eine kleine Panik einiger Menschen kann kontraproduktiv für derzeitige Maßnahmen sein.“ Etwa wenn sie sich aus Angst, der Supermarkt schließe bald, entgegen jeder Empfehlung unter Menschen stürzten.

Die Politik nimmt Falschnachrichten sehr ernst

Es ist ein Katz-und-Maus-Spiel: Ist die eine Lüge von seriösen Quellen aus der Welt geräumt, steht schon die nächste in den Startlöchern. Sogar die Spitzen der Politik schlagen Alarm.

Die EU-Kommission rät, „sich vor arglistigen und irreführenden Fake News und Desinformationen in Acht zu nehmen“. Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) hält deren Verbreiter für „völlig verantwortungslos“. Und mit Blick auf einen erfundenen Zeitungsartikel, nach dem alle Supermärkte während der Woche nur wenige Stunden geöffnet hätten, twittert Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU): „Das ist kein Spaß, Ihr spielt mit der Angst der Leute.“

„Es gibt eine hohe Alarmbereitschaft seitens der Politik und der Behörden“, sagt Klawier. „Das wird zum Glück sehr ernst genommen.“ Allerdings hat der Forscher wenig Hoffnung, dass Fake News absehbar abebben. Um nicht auf die Stimmungsmache hereinzufallen, gelten Wachsamkeit und Aufklärung. Oder, wie der Weilheimer HNO-Arzt Christian Lübbers auf Twitter formuliert: „Viren und Fake News lassen sich nur stoppen, wenn man diese nicht weitergibt.“