Die Angeklagten Heiko V. (von links nach rechts), Mario S. und Andreas V. stehen im Saal des Landgerichtes auf der Anklagebank neben ihren Verteidigern Jann Henrik Popkes (von links nach rechts), Jürgen Bogner und Johannes Salmen. Foto: dpa

Zwei Männer haben auf einem Campingplatz in Ostwestfalen vielen Kindern jahrelang unfassbares Leid zugefügt. Dafür müssen sie nun viele Jahre ins Gefängnis. Danach bleiben sie in Sicherungsverwahrung.

Detmold - Im Lügde-Missbrauchsprozess sind die beiden Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern zu hohen Haftstrafen verurteilt worden. Das Landgericht Detmold verhängte am Donnerstag eine Freiheitsstrafe von 13 Jahren gegen den 56-jährigen Andreas V.. Der 34-jährige Mario S. erhielt 12 Jahre. Das Gericht ordnete außerdem die anschließende Sicherungsverwahrung für die beiden Deutschen an.

Auf einem Campingplatz im lippischen Lügde hatten die beiden jahrelang in mehreren Hundert Fällen insgesamt 32 Kinder schwer sexuell missbraucht. Der Ältere soll dabei laut Anklage in mehr als 200 Fällen in die Körper von Kindern eingedrungen sein, der jüngere in fast 50 Fällen. Einige Opfer sollen zur Tatzeit noch im Kindergartenalter gewesen sein. Die meisten Taten sollen die Männer in der heruntergekommenen Unterkunft von Andreas V. auf dem Campingplatz an der Grenze zu Niedersachsen begangen haben.

„Nach wie vor fällt es schwer, das Geschehen in Worte zu fassen“, sagte die Vorsitzende Richterin Anke Grudda in der Urteilsbegründung. Worte wie „abscheulich, monströs, widerwärtig“ reichten nicht aus, das Geschehen zu beschreiben. „Auch nach zehn Verhandlungstagen bleibt die Fassungslosigkeit.“ Die beiden seien für Taten an 32 Kindern verurteilt worden. Die Zahl der Opfer sei vermutlich viel höher. Die Richterin sprach die Verurteilten mehrfach direkt an: „Sie haben 32 Kinder und Jugendliche zu Objekten ihrer sexuellen Begierden degradiert und 32 Kindheiten zerstört.“ Die Kammer habe leider nicht den Eindruck gewinnen können, dass die beiden auch nur ansatzweise verstanden hätten, welche Schuld sie auf sich geladen hätten.

Manipulativ, narzisstisch und antisozial

Für beide Täter ordnete das Gericht eine Sicherungsverwahrung an. Diese ist laut NRW-Justizministerium rechtlich nicht als Strafe einzuordnen. Ihr Zweck ist es, gefährliche Täter zu bessern und die Allgemeinheit zu schützen. Bei diesen Straftätern bestehe der Hang, erhebliche und für die Allgemeinheit gefährliche Straftaten zu begehen.

Zu den Opfern des Dauercampers zählte auch ein Mädchen, das als Pflegetochter bei ihm einzog und als Lockvogel diente, um an weitere Opfer zu kommen. Eine Psychiaterin hatte Andreas V. im Prozess als manipulativ, narzisstisch und antisozial beschrieben, mit einer tief verwurzelten Neigung für Kindesmissbrauch.

Der Prozess hatte vor zehn Wochen Ende Juni begonnen. Aus Opferschutzgründen fand er in weiten Teilen unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Am Rande des Prozesses hatten Nebenklägervertreter von schweren Traumata ihrer Mandanten berichtet.

Rund 290 Missbrauchstaten

Andreas V. wurden insgesamt rund 290 Missbrauchstaten zur Last gelegt. Mario S. hatte sich laut Anklage in rund 160 Fällen an Mädchen und Jungen vergangen - seit 1999 war er dazu immer wieder zu Gast auf dem Campingplatz, aber auch seine Wohnung in Steinheim bei Höxter soll Tatort gewesen sein. Beide Männer filmten ihre Taten, bei beiden stellte die Polizei insgesamt Tausende Bild- und Videodateien sicher, die sexuelle Gewalt gegen Kinder- und Jugendliche zeigen.

Das Strafverfahren gegen einen dritten Mitangeklagten war frühzeitig abgetrennt worden, weil die vorgeworfenen Taten deutlich weniger schwer wogen: Ein 49-jähriger aus Stade in Niedersachsen war bereits am 17. Juli zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe verurteilt worden, weil er wiederholt an Webcam-Übertragungen teilgenommen hatte, bei denen ein Kind auf dem Campingplatz sexuell missbraucht wurde. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Freiheitsstrafe gefordert und hat Revision eingelegt.

In dem Fall stehen auch Polizei und Jugendämter in der Kritik, weil sie Hinweisen auf den Hauptverdächtigen zunächst nicht nachgegangen sein sollen. Auch bei den Ermittlungen gab es Pannen, unter anderem verschwanden Beweismittel. Der nordrhein-westfälische Landtag hat deshalb einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss eingesetzt.

Nach Bekanntwerden des Falls hatte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) das Thema zur Chefsache erklärt. Mittlerweile stuft das nordrhein-westfälische Innenministerium Kindesmissbrauch und Kinderpornografie als „kriminalpolitischen Schwerpunkt“ aller NRW-Polizeibehörden ein. In den Kreispolizeibehörden sei das Personal für die Bearbeitung solcher Fälle „deutlich aufgestockt“ worden, hieß es aus dem Ministerium.