Helmut Kurz gibt nach 30 Jahren seinen Kiosk an der Hindenburgstraße auf, um in den Ruhestand zu gehen. Foto: factum/Granville

Für viele war der Kiosk an der Hindenburgstraße die erste Anlaufstelle des Tages. Nun schließen die Betreiber Helmut und Ingrid Kurz nach 30 Jahren ihren Laden und gehen in den Ruhestand – zum Leidwesen ihrer Kunden.

Ludwigsburg - Wolfgang Borst lehnt an einem Stehtisch vor dem Kiosk an der Hindenburgstraße. Ab und zu nimmt er einen Schluck Kaffee aus der Tasse, die vor ihm auf dem Tisch steht, raucht einen Zug oder unterhält sich mit seinem Tischnachbarn. So, wie er es seit 30 Jahren macht. „Ich bin vom ersten Tag an hier gewesen“, sagt der Rentner. Früher habe er auf dem Weg zur Arbeit an dem Kiosk angehalten, inzwischen treffe er sich jeden Morgen um 9 Uhr mit einigen Bekannten hier, quasi zum Stammtisch. Doch das ist bald vorbei: Wenn der Kiosk am Samstag für immer schließt, hat der Stammtisch keine Heimat mehr. „Ich weiß noch nicht, was wir dann machen“, sagt Borst.

Es sind Kunden wie Borst, eingefleischte Fans, die den Kiosk zu dem gemacht haben, was er ist: ein Treffpunkt und ein Ort zum Reden. „Die Leute sind froh, dass sie uns etwas erzählen können“, sagt Helmut Kurz. In den meisten anderen Geschäften und Supermärkten würden die Kunden oft nur stumm abgefertigt, hier sei das anders. „Wir hatten immer guten Kontakt zu den Leuten“, betont Kurz. Gerade deshalb falle es ihm und seiner Frau so schwer, den kleinen Laden vor dem ehemaligen Finanzamt jetzt aufzugeben. Doch sie gehen beide in Rente, und ihr Sohn, der seit 18 Jahren dabei ist, kann den Kiosk nicht alleine führen. Zusätzliches Personal aber sei zu teuer, sagt der 37-Jährige. Was mit dem Gebäude passiere, das einem Privatinvestor gehöre, wisse er nicht, sagt Helmut Kurz.

Letzter von sieben Straßenkiosken

In den vergangenen drei Jahrzehnten habe sich viel verändert, berichtet er. Es sei nicht mehr so einfach, mit einem Kiosk zu überleben – das zeigten schon die Zahlen: Als er im Jahr 1986 anfing, habe es noch sieben Straßenkioske in Ludwigsburg gegeben, er schließe nun den letzten. „Die jungen Leute lesen keine Zeitungen und Zeitschriften mehr“, sagt Kurz. Das sei das größte Problem. Früher seien die meisten Kunden wegen der Tageszeitung gekommen, meist morgens auf dem Weg zur Arbeit, und sie hätten dann spontan noch etwas gekauft, etwa Zigaretten, ein Brötchen oder einen Schokoriegel. Heute lebten er und seine Familie vor allem von den zahlreichen Stammkunden, die oftmals ganz bestimmte Medien vorbestellten und regelmäßig zum Essen oder auf einen Plausch vorbeikämen.

Auch die Lotto-Erlaubnis hat sich offenbar als Glücksfall erwiesen, dabei musste Helmut Kurz richtig dafür kämpfen. Denn sein Kiosk stand nicht immer am heutigen Platz. Bis vor 20 Jahren verkaufte er seine Waren aus einer Holzhütte von der gegenüberliegenden Straßenseite heraus. Doch weil diese unmittelbar neben der historischen Kaserne an einer Ecke stand, habe das Denkmalamt sein Veto eingelegt, erzählt Kurz: Die Lottowerbung sollte den geschichtsträchtigen Bau nicht verschandeln. Nach langem Hin und Her erwirkte der Kioskbetreiber einen Probelauf – und verkaufte innerhalb von vier Wochen offenbar derart viele Lottoscheine, dass keiner mehr etwas gegen die Lizenz sagte.

Es gibt auch weniger schöne Erinnerungen. Nur ungern denkt der 65-Jährige an jenen Tag vor fast 20 Jahren zurück, an dem er einer Frau zur Seite stand, die von zwei jungen Männern vor seinem Kiosk belästigt wurde. Nach seinem Einschreiten habe einer von ihnen eine Schlägerei begonnen, bei der er so unglücklich auf seinen Daumen gestürzt sei, dass dieser noch heute etwas steif und taub sei, berichtet Kurz.

Frühes Aufstehen und viele Stunden Arbeit

Die meiste Zeit als Kioskbetreiber sei aber schön gewesen – auch wenn der Job mit sehr viel Arbeit verbunden sei, erzählt Ingrid Kurz. Jeden Tag außer sonntags war der kleine Laden an der Hindenburgstraße von 4.30 bis 18 Uhr geöffnet, ohne Pause. Und das bedeutete für das Ehepaar Kurz: Um 3 Uhr aufstehen, um 4 Uhr anfangen zu arbeiten und – je nach Ansturm – 200 bis 500 Kunden am Tag bedienen. Für ihren Sohn Michael begann der Tag sogar noch eine Stunde früher, denn er war stets für das Aufbacken der Brötchen zuständig. Seine berufliche Zukunft ist noch offen.

Nicht nur die Betreiber selbst sind traurig, den Kiosk aufzugeben. Kurz vor der endgültigen Schließung am Samstag gibt es kaum einen Kunden, der diesen Schritt nicht bedauert. Gute Wünsche und die Hoffnung auf ein Wiedersehen haben Hochkonjunktur, manch einer bringt auch ein Abschiedsgeschenk vorbei. „Wir haben wohl alles richtig gemacht“, kommentiert Helmut Kurz die netten Gesten.

Nur Wolfgang Borst verabschiedet sich noch nicht. Er wird auch am Samstag noch einmal seine morgendlichen Stammtischkollegen vor dem Kiosk treffen – und dann behaupten können, dass er vom ersten bis zum letzten Tag des Ladens dabei war.