Die Trauer um ihren verstorbenen Vater begleitet die 18-jährige Anne ständig, auch wenn sie wie hinter einem Vorhang verborgen ist. Foto: privat

Sie haben eines gemein. Ihr Vater, ihr Bruder oder ihre Schwester sind gestorben. In einem Fotoworkshop haben Jugendliche aus der ökumenischen Trauergruppe Bilder für ihre Gefühle gefunden. Jetzt sind sie zu sehen.

Ludwigsburg - Ein zehn Zentimeter hohes Miniaturfahrrad verbindet Valentin (14) mit seinem Vater. Es stand auf dem Schreibtisch des Hobbysportlers. Seine Kollegen hatten es ihm geschenkt. Vor anderthalb Jahres starb Valentins Vater bei einem Unfall. Er war auf dem Bike unterwegs, eine Autofahrerin übersah ihn, der Zusammenstoß endete tödlich.

Das kleine Fahrrad ist eine der Erinnerungen, die dem Sohn geblieben ist von der Zeit mit ihm. Es steht aber nicht nur für den Unfall und den Tod des Vaters. Es symbolisiert auch die guten Tage, die Ausflüge und die Zeit, die beide miteinander verbrachten. Es steht für das Band zwischen den beiden – und nimmt, obwohl es so klein ist, einen großen Raum in Valentins Leben ein.

Und so musste Valentin im Workshop mit der Fotografin Angelika Kamlage auch nicht lange nachdenken, was er fotografieren würde. Die Aufgabenstellung war klar: „Ein Bild für dich“ sollte es sein. Eingeladen waren Jugendliche, die ein Elternteil, einen Bruder oder eine Schwester verloren haben. Ohne Worte soll das Bild eine Brücke von den jugendlichen Teilnehmern zu dem Menschen schlagen, der nun so sehr fehlt. Denn die Trauer, sagt Valentin, sei nie zu Ende. Dass es aber auch ein Leben ohne den Vater gibt, erzählt das Bild von Valentins Skateboard, das er fotografiert hat. Damit ist er schon immer viel unterwegs gewesen – in den Urlauben mit dem Vater und in der Gegenwart und Zukunft ohne ihn. „Immer dabei“ heißt die Bildkombination, wozu Valentin die Fotos gefügt hat.

Trauer gehört in alle Lebensbereiche

„Es gibt Tage, da vermisse ich ihn sehr, und solche, da ist alles ganz normal“, sagt Anne (18) über ihren verstorbenen Vater. Sie hat Valentin in der ökumenischen Trauergruppe für Jugendliche im Landkreis Ludwigsburg kennengelernt. Und es ist ihr wie ihm ergangen. Für den ersten Gruppenbesuch brauchte sie ziemlich viel Mut. Denn Trauergruppe, das hört sich so bleiern und so erdenschwer an. Das ist es manchmal auch. Schließlich geht es um den Tod. Aber es wird dort auch gelacht, gekocht und einfach nur geredet.

Denn das ist eine der Botschaften, die Michael Friedmann, der die Gruppe mit Nicola Rupps leitet, wichtig ist: Trauer soll kein isoliertes Gefühl sein, sie zieht sich durch alle Lebensbereiche – und gehört auch genau dort in all ihren Spielarten hin.

Annes Vater ist vor zwei Jahren nach mehrjähriger Krankheit gestorben. Auch sie hat ohne fotografische Erfahrungen das perfekte Bild für die Verbindung zu ihm gefunden. „Wir haben zusammen gesungen“, sagt sie. Und doch ist das Bild von dem Gitarrenhals, den sie einfach mal so fotografiert hat, mehr nebenbei als bewusst entstanden. „When the music fades away“ – wenn die Musik ausklingt – hat sie es genannt. Wenn die Musik verhallt, sagt sie, „dann stimmt etwas nicht mehr“.

Foto-Ausstellung in der evangelischen Stadtkirche

„Ein Bild ist ein anderer Zugang, miteinander ins Gespräch zu kommen“, sagt Michael Friedmann. Denn alle Workshopbesucher waren keine Fotografen. Dennoch haben sie einen Ausdruck für das Gefühl gefunden, das sie manchmal beherrscht, manchmal aber auch in Ruhe lässt.

Gespannt schauen nun alle auf den Sonntag. Von da an sind ihre Bilder für jedermann in der Ludwigsburger evangelischen Stadtkirche zu sehen. Dann können auch Fremde die Bilder sehen, die ein persönliches Gefühl zum Ausdruck bringen. Alle in der Gruppe stellen ihre Bilder dafür zur Verfügung. Aber Anne und Valentin haben auch ihren persönlichen Platz für ihr Bild gefunden. Valentin wird es in sein Zimmer hängen. Annes Bild bekommt in dem Haus, das sie nun allein mit ihrer Mutter bewohnt, einen Ehrenplatz: im Treppenhaus, durch das die beiden ständig gehen.