Immer noch wird in Ludwigsburg gegen Mörder aus dem Dritten Reich ermittelt – mittlerweile nur noch mit 19 Mitarbeitern. Als Nazi-Jäger verstehen sie sich jedoch nicht.
Seit 1958 gibt es in Ludwigsburg die Zentrale Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen. 80 Jahre nach Kriegsende steht deren Zukunft immer mehr im Fokus, denn noch lebende Tatverdächtige zu finden, wird immer schwerer.
Die Zentrale Stelle ist ein Gemeinschaftsprojekt aller Landesjustizverwaltungen in Deutschland. Hier führen Juristen Vorermittlungen, um Mörder aus der Nazizeit zu überführen. Dazu werden Archive durchforstet und Recherchen auch in anderen Ländern angestellt.
„Wir schauen uns vor allem die Konzentrations- und Kriegsgefangenenlager an“, sagt Thomas Will. Der Oberstaatsanwalt leitet die Einrichtung seit 2020, seit 2003 ist er bei der Zentralen Stelle. Die Lager sind gute Ansatzpunkt für die Ermittler, weil dafür Schichtpläne und Listen von Aufsehern vorliegen. So könne man noch heute nachvollziehen, wann wer im Einsatz war und welche Tätigkeit verrichtet wurde.
Dann wird geprüft, wie alt die möglichen Täter sind. „Bei etwa 100 Jahren ziehen wir eine Grenze“, sagt Will. Die Wahrscheinlichkeit, ältere noch lebende und verhandlungsfähige Tatverdächtige zu finden, sei zu gering.
Taten liegen mehr als 80 Jahre zurück – Mord verjährt nie
Dass die Taten nun schon mehr als 80 Jahre zurückliegen, ist unerheblich, denn Mord verjährt nicht. Will, Jahrgang 1960, ist erfahrener Ermittler und gleichzeitig Jurist mit kühlem Kopf. „Wir werden oft als Nazi-Jäger bezeichnet. Das stimmt aber nicht, denn die Gesinnung spielt für uns keine Rolle“, sagt er. Es gehe um Mord und nicht um die Weltanschauung der Person.
Noch immer finden die Ermittler trotz der vielen Jahrzehnte, die seit Kriegsende vergangen sind, Tatverdächtige. Wenn sich der Verdacht erhärtet, geben sie die Akten weiter an eine Staatsanwaltschaft, die weiter ermittelt und dann gegebenenfalls Anklage erhebt. Aber das wird immer seltener.
Von 121 auf 19 Mitarbeiter reduziert
Aktuell läuft laut Baden-Württembergs Justizministerium ein Vorermittlungsverfahren bei der Zentralen Stelle. Zur Zeit der größten Arbeitsbelastung zwischen 1967 und 1971 waren jeweils gleichzeitig mehr als 600 Vorermittlungsverfahren zu bearbeiten. Damals betrug der Personalbestand der Zentralen Stelle insgesamt 121 Bedienstete, heute sind es noch 19 Stellen.
Der limitierende Faktor ist dabei ganz klar das Alter der Tatverdächtigen. Nur gegen Lebende wird ermittelt und davon gibt es immer weniger. Taten hingegen gibt es laut Will sehr viele – nur eben die dazugehörigen Verdächtigen nicht mehr.
Die Aufklärung aller Gräueltaten in der Nazi-Zeit liefert die Zentrale Stelle also nicht, aber vielleicht wäre das ein Ansatz für die Zukunft der Einrichtung. Seit Jahren ist klar, dass bald die Ermittlungen enden werden und die Zentrale Stelle eher einen musealen Charakter bekommen könnte. „Wir machen so lange weiter, wie es uns möglich ist, lebende und wahrscheinlich verhandlungsfähige Tatverdächtige zu ermitteln“, sagt Will.
Was danach aus der Zentralen Stelle wird, könnte nächstes Jahr entschieden werden. Im Juni 2023 wurde das Haus der Geschichte Baden-Württemberg mit der Erstellung einer Umwandlungskonzeption beauftragt. „Ein konkreter Termin, wann das Umwandlungskonzept fertiggestellt wird, kann derzeit noch nicht genannt werden“, teilt das Justizministerium auf Anfrage mit.
Weichen gestellt? Entscheidung 2026 erwartet
Nach wie vor bestehe die Absicht, im Jahr 2026 die Justizministerkonferenz mit der Thematik der Umgestaltung der Zentralen Stelle zu befassen. Will, der selbst nächstes Jahr in Pension gehen könnte, möchte kein Enddatum für die Ermittlungen nennen.
„Wahrscheinlich haben meine beiden Vorgänger auch schon gedacht, dass sie im Amt das Ende miterleben“, sagt Will. Er wage deshalb keine Prognose, auch weil er das nicht entscheide. Nur so viel: Derzeit arbeiteten die Ermittler eine Liste mit 300 Namen an potentiellen Tatverdächtigen ab. Grund zur Eile beim neuen Konzept besteht also wohl nicht.
Will sieht die Sache ohnehin emotionslos. Er mache die Arbeit, so lange dies möglich und beauftragt sei, und danach eben nicht mehr. Emotionen rufen auch die Ermittlungen bei ihm kaum hervor. Tiefer in die persönlichen Umstände der Tatverdächtigen stiegen in der Regel erst die Staatsanwaltschaften zu späteren Zeitpunkten ein.
Die Frage nach Mitleid mit teils gebrechlichen Tatverdächtigen erübrige sich auch: „Ich glaube nicht, dass jemand, der so alt geworden ist, große Schuldgefühle mit sich herumträgt“, sagt der Jurist.
Die Sinnhaftigkeit von Strafverfolgung und Prozesses mit greisen Angeschuldigten ficht Will ebenfalls nicht an. Über Resozialisierung müsse man sich in solchen Fällen zwar nicht unterhalten – aber generalpräventiv, als Zeichen, dass auch viel später noch Taten geahndet werden können, taugten solche Prozesse schon.
Die Geschichte der Aufklärung von NS-Verbrechen
Die Ermittler
Wer mehr über die Arbeit in der Zentralen Stelle erfahren will, kann am Sonntag, 9. November, 11 Uhr, an einer Führung des Fördervereins Zentrale Stelle im Schorndorfer Torhaus, Schorndorfer Straße 60 in Ludwigsburg teilnehmen. Die Historiker Anne Deetz und Alexander Geßmann beleuchten dabei Vergangenheit und Zukunft der Zentralen Stelle.
Der Verein
Der Förderverein ist eine Einrichtung „zum Gedenken und zur Aufklärung über nationalsozialistische Verbrechen“ und fördert deshalb die Öffentlichkeitsarbeit als Erinnerungsarbeit. In diesem Sinn versteht der Verein die „Zentrale Stelle“ auch als Ort der Begegnung für Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechte. Er bietet Führungen durch die Ausstellung „Die Ermittler“ sowie zahlreiche Veranstaltungen an.