Ruhig ist es in der Turnhalle nie. In 23 Parzellen, die Zimmer genannt werden, sind 208 Männer untergebracht. Sie leben auf engstem Raum. Foto: factum/Weise

Mit den Flüchtlingen kommt die Kriminalität – so die Sorge vieler. Fragt man bei der Polizei nach, berichtet sie nur von Streitereien der Flüchtlinge untereinander. Ein Besuch in der Turnhalle der Oskar-Walcker-Schule in Ludwigsburg.

Ludwigsburg - Heinz Radtke sieht so aus, als bringe ihn so leicht nichts aus der Ruhe. Er steht in der Turnhalle auf dem Römerhügel in Ludwigsburg, schaut sein Gegenüber offen an und sagt schließlich: „Das sind nette Menschen.“ Das klingt so freundlich, wie man eben über die Nachbarn im Wohnviertel redet. Nicht alle wollen das glauben, wenn das Gespräch auf das Thema Flüchtlinge kommt. Groß ist bei manchen die Angst vor der Zunahme der Kriminalität durch den Zuzug.

Auch im Ludwigsburger Stadtteil Pflugfelden war das so, als die Stadt kurz vor Weihnachten darüber informierte, dass sie auf dem Schulhof der Grundschule Wohncontainer aufstellen wolle. Doch die Orte sind austauschbar. Vielerorts gibt es Protest, wenn neue Unterkünfte für Flüchtlinge entstehen sollen. Wie also ist das Leben in der Turnhalle der Oskar-Walcker-Schule auf dem Römerhügel, einer der großen Hallen, in der 208 Flüchtlinge leben?

Radtke, der Mann in Uniform, kann mit nichts Spektakulärem aufwarten. Jedenfalls mit nichts, was Anwohner, die es hier aber so direkt gar nicht gibt, gefährden könnte. Im Ludwigsburger Polizeipräsidium hat man im ersten Quartal zehn Zwischenfälle in der Unterkunft gezählt, deretwegen die Polizei anrückte, berichtet der Pressesprecher Peter Widenhorn. Gleich Anfang des Jahres geriet eine Gruppe syrischer und iranischer Hallenbewohner aneinander, wenige Tage später wiederholte sich das. Bewohner berichten, dass die Auseinandersetzung begonnen habe, weil Leute, die nicht in der Halle wohnten, sie im Schlaf mit Äpfeln beworfen hätten. Danach sei die Sache eskaliert. Die Hoffnung, dass Bewohner, die unangenehm auffallen, in kleineren Quartieren untergebracht würden, zerstreut Cynthia Pinzer jedoch. Pinzer ist eine von zwei Sozialarbeiterinnen in der Turnhalle.

Die Streitereien finden zwischen den Flüchtlingen statt

Auf der Einsatzliste der Polizei steht ferner ein Streit bei der Essensausgabe, ein Betrunkener, der sich selbst verletzt hat, ein Mobiltelefon, das einem syrischen Flüchtling gestohlen wurde, und eine Verletzung beim Fußballspielen, bei der aber nicht klar ist, ob ihr ein Streit vorausging. Das Spektakuläre solcher Polizeieinsätze, sagt Karin Stark aus der Präventionsabteilung des Polizeipräsidiums, sei, dass die Polizei mit vielen Streifenwagen ausrücke. Zur Eigensicherung, wie sie sagt. Doch auch wenn der Streit beim Eintreffen der Beamten schon beigelegt ist, ist die Wirkung solcher Einsätze in der Öffentlichkeit oft Anlass für Ängste. In Wirklichkeit, da sind sich Stark und Jürgen Hauber, der Leiter der Präventionsabteilung, einig, haben die Vorfälle ihren Grund in der Enge und der fehlenden Privatsphäre in der Halle.

Heinz Radtke ist Beamter des Polizeipostens Pflugfelden. Dazu gehört die Turnhalle der Oskar-Walcker-Schule. Das war auch schon so, als sie der Landkreis noch nicht für die temporäre Unterbringung von Flüchtlingen nutzte. Jetzt ist Radtke, wenn es Fragen gibt, der zuständige Kontaktbeamte für die weit entfernt wohnenden Anwohner und die 208 Hallenbewohner. Der älteste von ihnen ist 65 Jahr alt. Die jüngsten waren noch keine 18 Jahre und sind vergangene Woche anderswo untergebracht worden, berichtet Cynthia Pinzer.

An der Decke hängen Neonleuchten

Die Männer kommen aus Syrien, dem Irak, dem Iran, aus Afghanistan, Pakistan und Eritrea. Mit etwas Glück hätte der Bus sie vor einer kleineren Unterkunft ausgeladen. Sie sprechen ihre Muttersprachen, manche können ein bisschen Englisch, manche sehr gut. Andere sprechen schon etwas Deutsch. Alle haben sie Fotos von ihren Familien auf ihren Smartphones und die Sehnsucht nach ihnen im Herzen.

Sie sind Friseur, Ingenieur, Zahnarzt, Physiotherapeut, Krankenpfleger, Student. Sie sind eine Zweckgemeinschaft, die auf 23 Zimmer verteilt lebt. So nennt man die durch zwei Meter hohe, baustellenartige Trennwände abgegrenzten Räume. Die sind oben offen, an der Hallendecke hängen Neonleuchten. Sie gehen abends aus und morgens wieder an. Nachts kommt der Sicherheitsdienst als Brandwache.

Wenn man im ersten Stock der Halle steht, dort, wo im Glaskabuff sonst der Hallensprecher sitzt und jetzt die beiden Sozialarbeiterinnen ihr Büro haben, kann man alle Zimmer überblicken. Man sieht Plüschtiere, Plastiktüten mit Habseligkeiten und Kochgeschirr. Alles muss auf engstem Raum verstaut werden. Seit neuestem gibt es einen Sichtschutz. Die Halle ist schließlich kein Zoo.

Aber die Trennwände schlucken keinen Schall. Es gibt keinen Raum, in den sich die Männer zurückziehen können, um zu lernen, um einmal Ruhe zu haben. Viele klagen über Schlafmangel und Erschöpfung. Aber als erstes betonen sie, wie dankbar sie sind, wie sie hier in Deutschland aufgenommen werden und laden zu Getränk und Kuchen. Seit ein paar Tagen können sie im ehemaligen Schulcontainer kochen. Das strukturiert den Tag. Ebenso wie der Deutschunterricht, den wegen unterschiedlicher Bleibechancen aber nicht alle bekommen. Das macht das Frustpotenzial in der Halle nicht kleiner. Jetzt hilft ein knappes Dutzend Ehrenamtliche unter anderem beim Deutschlernen, sagt Bianca Jahnke vom Team Flüchtlingsarbeit der Stadt Ludwigsburg.

Diplomatie als Strategie des Aushaltens

Aber die Situation zermürbt: „Es ist nie ruhig hier“, sagt einer; „immer liegt hier Zigarettengeruch in der Luft“ und „ich kann hier nicht schlafen“, berichten andere. So lauten die Klagen, die man beim Kuchenessen hört. „Manche verkriechen sich, andere gehen raus und sind den ganzen Tag unterwegs“, sagt Cynthia Pinzer. Jeder entwickelt seine eigene Überlebensstrategie im Hoffen auf ein Ende des Asylverfahrens.

Das heißt in erster Linie: Warten auf Post. Wochentags von 10 bis 16 Uhr helfen die Sozialarbeiterinnen den Männern beim Lesen der Behördenbriefe und freuen sich mit ihnen, wenn ein positiver Bescheid mit der Anerkennung des Flüchtlingsstatus’ vom Bundesamt für Migration (Bamf)kommt. Denn „keine Ahnung“ sind die ersten deutschen Worte, die alle kennen. Das ist die Antwort, die sie bekommen, wenn sie fragen, wie ihr Verfahren weitergeht. Doch das weiß keiner. Und beim Bamf heißt es, man beantworte keine Anfragen. Das koste zu viel Zeit. Aus drei Monaten, die die Flüchtlinge höchstens in der Halle sein sollten, sind nun fast sechs geworden. „Die Situation in der Halle ist prekär“, sagt der Ludwigsburger Sozialbürgermeister Konrad Seigfried immer wieder. Die Frage, wie man es hier aushalte, beantwortet ein junger Syrier: nur mit Diplomatie.

Durch einen Brief an den Landrat Rainer Haas, der daraufhin ans Integrationsministerium geschrieben hat, haben die Hallenbewohner es aber nun zumindest erreicht, dass sie ihren Asylantrag stellen konnten. Keiner weiß, warum es nun so schnell ging. Aber alle sind froh. Doch das Warten geht weiter. Und nicht nur die Ehrenamtlichen versuchen, die Zeit zu nutzen und die Männer auf das Leben in Deutschland vorzubereiten. Am Anfang, sagt Erol Schirin, der im Landratsamt den Einsatz der Ehrenamtlichen koordiniert, kamen auch Versicherungs-oder Telefonvertreter und haben Festnetzverträge an Menschen verkauft, die gar kein Festnetz haben. Auch das ist eine Facette des Hallenlebens. Sie ist auch ein Dorado für Geschäftemacher.