Dem Poppenweiler Kinder- und Familienzentrum laufen die Betreuerinnen davon, deshalb gibt es keine Ganztagsbetreuung mehr. Foto: factum/Weise

Böse Überraschung für die Eltern: Weil Erzieherinnen fehlen, wird die Ganztagsbetreuung in dem Ludwigsburger Kinder- und Familienzentrum gestrichen. Der Engpass offenbart weitere Schwachpunkte in der Vorzeigeeinrichtung.

Ludwigsburg - Seit seiner Eröffnung im Sommer 2015 gilt das Kinder- und Familienzentrum (KiFaz) in Poppenweiler als Ludwigsburger Prestigeobjekt in Sachen Kindertagesstätten. Doch zum 1. März muss dort ausgerechnet die Ganztagsbetreuung auf null gefahren werden. Der Grund: Drei Erzieherinnen haben fast gleichzeitig gekündigt und damit die ohnehin angespannte Personaldecke zum Zerreißen gebracht. Die Eltern sind sauer: Die Verwaltung habe sie erst Anfang der Woche darüber informiert.

Verspätete Information

Im KiFaz Poppenweiler werden zurzeit knapp 100 Kinder betreut, 25 davon im Ganztag. Insgesamt muss eine so große Einrichtung dafür mindestens 17 Erzieherinnen beschäftigen, das schreibt der Gesetzgeber vor, von März an aber stehen nur noch 15 zur Verfügung. „Darum haben wir die Betreuungszeiten reduzieren müssen“, sagt der Abteilungsleiter Thomas Brändle aus dem Fachbereich Bildung und Familie. Künftig gibt es nur noch eine Betreuung bis höchstens sieben Stunden. Begründet wird der Notstand mit dem allgemeinen Erziehermangel. „Das ist ein deutschlandweites Problem“, sagt Brändle, „aber bisher waren wir davon verschont geblieben.“

„Der Aufschrei bei den Eltern war groß“, sagt Lysann Wolter, die Vorsitzende des Elternbeirats. „Zumal wir nur sehr, sehr kurzfristig informiert worden sind.“ Zwei Elternvertreter wurden am 18. Februar davon in Kenntnis gesetzt. „Erst auf unser Drängen hin hat die Stadt am 25. Februar zu einem Elterninformationsabend eingeladen“, sagt Wolter. „Für viele Betroffene ist das natürlich eine Katastrophe.“ Niemand könne so schnell eine Ersatzbetreuung organisieren.

Keine Lust auf Schichtbetrieb?

Zumal die Stadt bis 2017 stärker als zuvor das Ganztagsangebot favorisiert hatte: Die Eltern, deren Kinder nach dem 1. Januar 2015 geboren wurden, konnten diese nur dann anmelden, wenn sie mindestens eine achtstündige Betreuung buchten. „Im März 2017 hatten wir noch eine völlig andere Situation“, sagt Brändle und räumt ein, dass die Stadt Ludwigsburg mit der Neuordnung in Poppenweiler „hinter ihren eigenen Erwartungen zurückbleibt“.

Die Eltern glauben, dass der Verweis auf den Erziehermangel nur die halbe Wahrheit verrät. Zum ganzen Bild gehöre, dass die Erzieherinnen in der großen Poppenweiler Einrichtung im Schichtdienst arbeiten müssen. „Und auch sie erfahren oft nur kurzfristig, wann sie eingeteilt sind“, sagt Lysann Wolter. Sie sieht darin eine Ursache für die hohe Fluktuation im Haus: Ihre jetzt vier Jahre alte Tochter besucht seit Anfang 2016 das KiFaz. „Seither blieb niemand, der neu kam, länger als ein halbes Jahr. Die meisten gehen nach der Probezeit“, sagt die Elternbeiratsvorsitzende.

Motivationshilfe für Erzieherinnen

Stößt hier der hehre Grundsatz von der Vereinbarkeit von Familie und Beruf an seine Grenzen, weil die Erzieherinnen diese Bereiche für sich persönlich nicht unter einen Hut bringen können? KiFaz-Leiterin Katja Schwab wollte sich dazu nicht äußern. Sie verwies an die Stadt. „Wir sind bestrebt, unser Angebot noch attraktiver zu machen“, sagt Brändle. Gedacht sei unter anderem an ein Coaching für die Erzieherinnen – und zwar nicht erst in einer akuten Notsituation. Es sei sicher schwierig, die Motivation zu steigern, meint Lysann Wolter. Sie findet es verständlich, dass jemand, der für das gleiche Geld eine feste Arbeitszeit hat, den Schichtdienst ablehnt.

Architektonisches Highlight

Auf der anderen Seite aber führe dieser Schichtdienst auch dazu, dass es für die Kinder kaum verlässliche Erzieherinnen gebe, sagt Wolter. Es gebe niemand, der die Kleinen morgens in Empfang nehme, und es gebe keine festen Rituale, mit denen in den Tag gestartet werde. „Viele Kinder kommen mit dieser Kälte nicht zurecht“, sagt die Elternbeiratsvorsitzende. Auch dass dieses Gebäude so teuer und als hervorragende Architektur gebaut sei, bringe viele Nachteile: „Die Kinder dürfen nicht einmal die Fenster bemalen, weil man befürchtet, dass das Glas Risse bekommt.“

Streit um Altbau
„Alle sind frustriert, und der Stadtteilausschuss ist verunsichert“, sagte die SPD-Stadträtin Margit Liepins, als Ende 2012 der Bau des Kinder- und Familienzentrums in Poppenweiler beschlossen wurde. Lange war im Gemeinderat gestritten worden, weil die Stadt dafür ein Wohngebäude gekauft hatte, das sich später als stark sanierungsbedürftig erwies. Der Umbau samt dem Anbau hat die Kosten am Ende auf fast 4,5 Millionen Euro in die Höhe getrieben. Die Kritiker im Gemeinderat plädierten 2012 für einen kompletten Neubau. Einen Abriss des Wohnhauses lehnte wiederum die Verwaltung als „Kapitalvernichtung“ ab. Auch die Grünen befanden, einem Abriss stehe das Gebot der Nachhaltigkeit im Weg. Erst nach mehreren Kampfabstimmungen wurde der Bau des Projekts in seiner heutigen Form beschlossen.

Holz vor dem Fenster
Die Bewohner des Stadtteils Poppenweiler wehrten sich von Anfang an gegen die große Tagesstätte. Während sich die nächsten Nachbarn grundsätzlich gegen Kinderlärm aussprachen, störten sich andere an der Lage im Ort – und daran, dass das Gebäude zur Straße hin mit einer Fassade aus Holzlamellen dicht abschließt. Die Begründung der Planer vom Büro Von M: Dadurch entstehe der Eindruck einer „Spielscheune“.

Beratung für Familien
Insgesamt bietet das KiFaz eine Fläche von 1400 Quadratmetern für bis zu 103 Kinder. Im Obergeschoss und den Dachgalerien gibt es themenbezogene Bildungsräume und sogenannte Ateliers. Zum Projekt gehört die Einbindung von Eltern und Familien: Auch dafür sollte stets pädagogisches Personal da sein.