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Gefängnismitarbeiter und Wachtmeister auf Abwegen sind zwar die Ausnahme, erregen in der Öffentlichkeit aber Aufmerksamkeit.

Stuttgart/Ludwigsburg - Ein Gefängnismitarbeiter, der in Aachen zwei Schwerverbrechern bei der Flucht hilft, ein Justizbeamter, der wegen Betrug und Diebstahl vor dem Stuttgarter Landgericht steht - Wärter und Wachtmeister auf Abwegen sind zwar die Ausnahme, erregen in der Öffentlichkeit aber Aufmerksamkeit.

Der Aachener Fall versetzte eine ganze Region in Angst und Schrecken. Ende November sind aus der Justizvollzugsanstalt Aachen zwei Schwerverbrecher ausgebrochen - mit Hilfe eines 40-jährigen Justizvollzugsbeamten wie es aussieht. Die beiden Männer nehmen auf ihrer Flucht über Köln ins Ruhrgebiet mehrere Geiseln, darunter eine junge Frau und ein älteres Ehepaar. Die Ausbrecher krümmen ihnen zwar kein Haar, sie zwingen die Gekidnappten aber, sie quer durch Nordrhein-Westfalen chauffieren. Drei Tage nach der Flucht nimmt die Polizei in Mühlheim an der Ruhr den wegen Geiselnahme verurteilten Michael Heckhoff fest. Zwei Tage später fasst sie den wegen Mordes verurteilten Peter Michalski, der mit einem Damenrad unterwegs war.

 

Seit dem Tag ihres Ausbruchs sitzt der Justizvollzugsbeamte, der ihnen auf dem Weg in die Freiheit geholfen haben soll, in Untersuchungshaft. Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft auch wegen Bestechlichkeit gegen einen Beamten, der wenige Tage vor dem Ausbruch Geld von der Frau eines der geflohenen Häftlinge bekommen haben soll. Ob es sich dabei um ein- und denselben Beamten handelt, ist noch unklar.

Mit diesem Fall ist der Fehltritt des Wachtmeisters zwar nicht zu vergleichen, der Tonerpatronen im Ludwigsburger Amtsgericht gestohlen und über das Konto eines 22-jährigen Kollegen im Internet vertrieben haben soll. Gleichwohl wird er mit Interesse verfolgt. "Bedauerliche Einzelfälle", die Aufsehen erregen, sagt Werner Sohn von der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden dazu. Sie ist das zentrale Forschungs- und Dokumentationszentrum der Justiz in Deutschland. Untersuchungen zu dem Phänomen straffällig gewordener Justizmitarbeiter gibt es nach Sohns Wissen nicht.

Die Datenbasis dafür jedenfalls ist überschaubar. Das baden-württembergische Justizministerium nennt zwei bis drei Fälle im Jahr, in denen verurteilte Staatsdiener erhebliche disziplinarrechtliche Konsequenzen zu tragen hätten. Noch einmal so viele fallen wegen geringerer Vergehen wie etwa Trunkenheit im Verkehr auf. Das wird mit Geldstrafen geahndet. Das Beamtenrecht sieht eine Reihe von Disziplinarmaßnahmen vor: Ermahnungen und Geldbußen bei geringeren Vergehen bis hin zu Rückstufungen und Entlassungen. Wird ein Justizbeamter zu einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr verurteilt, erklärt Stefan Wirz, Sprecher des baden-württembergischen Justizministeriums, ist "er raus aus dem Dienst". Das kommt etwa einmal im Jahr vor.

Das Strafmaß könnte ein Grund dafür gewesen sein, dass der Wachtmeister des Ludwigsburger Amtsgerichts in Berufung ging. Der 54-Jährige und sein jüngerer Kollege standen wegen des Tonerpatronen-Diebstahls bereits in diesem Frühjahr vor dem Waiblinger Amtsgericht. Die Ludwigsburger hatten das Verfahren wegen Befangenheit abgegeben. Der Waiblinger Richter verurteilte den 22-Jährigen zu einer Geldstrafe, den 54-Jährigen zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten. Das Stuttgarter Landgericht nun hat am Mittwoch das Urteil des Amtsgerichts abgeändert. Der 54-Jährige kassierte nun wegen Betrugs in 21 Fällen und Diebstahls in 20 Fällen eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und drei Monaten.

Dass unter den knapp 3000 Beamten, die in den Gefängnissen und bei den Gerichten des Landes Dienst tun, nur wenig schwarze Schafe sind, erklärt Ernst Steinbach mit der "guten Auslese und Ausbildung": "Die haben sich in den vergangenen 30 Jahren spürbar verbessert", so der Vorsitzende des Landesverbands im Bund der Strafvollzugsbediensteten. Bei der Auswahl der Bewerber schaut der Dienstherr genau auf die wirtschaftlichen und familiären Verhältnisse, will von den Kandidaten wissen, ob sie sich in ihrer Freizeit sportlich oder karitativ engagieren. "Von 20 werden fünf genommen", sagt Steinbach. Psychologie und Rechtskunde sind Teil des Ausbildungsplans.

Dennoch "menschelt es" im Kosmos Justizvollzugsanstalt. Das weiß Steinbach. Gefangene, die versuchen sich von Wärtern Briefe nach draußen schmuggeln zu lassen - wer da nicht hart bleibt, kommt schnell in Teufels Küche. Illegale Geschäfte mit Gefangenen, vor allem mit Drogen, ist in mehr als der Hälfte der Fälle Grund für harte disziplinarrechtliche Schritte. Der Besitz kinderpornografischen Materials, der Diebstahl eines Geldbeutels aus der Handtasche einer Kollegin sind weitere Beispiele.

Fehler passieren. Die Justiz versucht daraus zu lernen. Das gilt erst recht bei Gefängnisausbrüchen wie jetzt in Aachen. Der Fall zeigt, welch gravierende Folgen der Fehltritt einzelner Justizmitarbeiter haben kann. Er wird genau untersucht. So wie der Ausbruch des 32-jährigen Rumänen, der im April 2007 vom Hohenasperg floh. Beim Hofgang war er über eine meterhohe mit Stacheldraht gesicherte Mauer geklettert. Die Organisation des Hofganges wurde geprüft, die Mauer nachgerüstet. "Wo Menschen arbeiten und Technik eingesetzt wird", ist Justizsprecher Wirz überzeugt, "wird es keine hundertprozentig Sicherheit geben."

Mit dem Gesetz in Konflikt kommen auch Richter. Bei ihnen geht es um Rechtsbeugung. Das Justizministerium registrierte von 1999 bis 2008 sechs Fälle. Noch in Erinnerung ist der des Nürtinger Amtsrichters, der die Fesselung von Pflegebedürftigen anordnete, ohne in den Heimen gewesen zu sein. Im November 2008 wurde er zu drei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt.