Beste Stimmung im Merlin Foto: pro

Zum elften Mal beweist das Festival, dass großer Kinozauber keine teuren Spezialeffekte und Hollywoodstars braucht. Eine gute Idee und Leidenschaft sind dierichtige Antwort auf das Blockbuster-Kino.

Stuttgart - Zum elften Mal beweist das Festival, dass großer Kinozauber keine teuren Spezialeffekte und Hollywoodstars braucht. Eine gute Idee und Leidenschaft sind dierichtige Antwort auf das Blockbuster-Kino.

Brooklyn im Westen

Ein Hauch von Brooklyn weht durch die Augustenstraße im Stuttgarter Westen. Im lauschigen Sommergarten des Merlin sind jede Menge Stühle aufgebaut, unter rankendem Efeu und kleinen Lichtern werden die Geschehnisse auf der Leinwand beobachtet, belacht und bestaunt.

Erneut ist ein gemischtes Publikum zum Low & No Budget Filmfestival zusammengekommen, 60 Menschen belegen am Freitagabend jeden freien Platz im Freien, etwa dieselbe Menge hat im Kulturzentrum Platz genommen, wo parallel dasselbe Programm läuft.

Vorfahrt für das Experiment

Der Andrang ist groß, die Liste der eingereichten Filme war gar noch größer: 921 Beiträge wollten dabei sein, doppelt so viele wie 2013. Monatelang wurde gesichtet, eingegrenzt, bewertet, dann ging es in die Vorauswahl. Letztlich wurde die Masse auf 18 Wettbewerbsbeiträge kondensiert.

„Es fiel uns wieder sehr schwer, so viele Filme nicht zu nominieren, die es sicherlich verdient hätten, aber es musste eben eine subjektive Auswahl getroffen werden“, sagte Ingo Klopfer vor dem Festival. Die Auswahl gibt ihm Recht. Schon der zweite Film, der deutsche Beitrag „Border Patrol“, besticht mit tollem Schnitt, herrlich schwarzem Humor und einem unerwarteten Ende.

Mit 15 Minuten hat er die maximale Länge des Wettbewerbs und erzählt herrlich lakonisch und trocken die Geschichte zweier Grenzpolizisten, deren Pläne für das Deutschland-Spiel am Abend von einer Leiche im Wald durchkreuzt werden. Weil die Grenze zu Österreich denkbar nah ist, kommt ihnen eine, nun ja, verwegene Idee.

Humor und Hintersinn

Überhaupt ist das Programm dominiert von stillem Humor, von starker Symbolkraft und bittersüßem Beigeschmack, vor allem aber von einer menschlichen Note. „Inercia“ aus Argentinien zeigt die Ausmaße der Trägheit mit einem animierten Rush-Hour-Chaos, aus dem der Mensch letztlich doch nicht entfliehen will, obwohl er es könnte. Skurriles (das einminütige „Make-Up“) trifft auf Straßenpoesie („Crowdfunding“), immer wieder blitzt pure Magie auf.

Wenn etwa aus Ungarn die Freundschaft zwischen „Hirsch und Hase“ mit einem animierten Beispiel wahrer Freundschaft erzählt wird, wenn bei „Wind“ eine Schar tapferer Menschlein gegen den herrischen Namensgeber ankämpft, vergisst man sogar die Geräuschkulisse der benachbarten Gastronomie.

Die Magie der Idee

Zum elften Mal beweist das Festival, dass großer Kinozauber keine teuren Spezialeffekte und Hollywoodstars braucht. Eine gute Idee und Leidenschaft sind dierichtige Antwort auf das Blockbuster-Kino. Das zeigt vor allem der französische Sechsminüter „La Carte“. Regisseur Stefan Le Lay erzählt die wundervoll träumerische Geschichte eines Postkartenbewohners, der seine große Liebe in einer anderen Ansichtskarte entdeckt. Doch das Schicksal scheint etwas gegen ein Happy-End zu haben. Auch das zeichnet die Beiträge eben aus: Sie bewegen sich völlig frei von den Normen und Gesetzen der Filmwelt, kommen mal gänzlich ohne Worte aus und zielen nicht verzweifelt auf ein glückliches Ende ab.

Auch toll: Die australische Rentnerin, die gar nicht böse ist, als ihr der Koffer geklaut wird, weil sie in ihm ihren toten Hund aufbewahrt, dessen Beerdigung sie sich nicht leisten kann. Das ist schlichtweg perfekt inszeniert und punktgenau erzählt.

Das Niveau ist durchgehend hoch, viele Beiträge sind originell und überraschend erzählt. „Wortwörtlich“ etwa zeigt in sechs Minuten die Geschichte einer Partnerschaft – ohne ein einziges Wort und lediglich mit dargestellten Sprichwörtern. Honig ums Maul schmieren war noch nie so klebrig – und ein Filmfestival selten so unaufgeregt, ungekünstelt und angenehm.