Wie die Orgelpfeifen: Das Künstlerkollektiv „Der weiße Knopf“ in „Long John“ Foto: Veranstalter/Martin Miseré

An diesem Mittwoch ist ein besonderes Theaterstück im Renitenztheater zu sehen: Es ist Playbacktheater zu Sprüchen von Clint Eastwood, Bud Spencer und anderen Western-Helden, die vom Band kommen. Christian Mersmann vom Künstlerkollektiv „Der weiße Knopf“ musste für „Long John“ um die 100 Western schauen.

Stuttgart - Vier Schauspieler, ein simpler Plot, eine Unterhose im Titel und eine Bühne als Sampler: Das Renitenztheater bietet mit „Long John“ ziemlich ungewöhnliches Schauspiel.

Herr Mersmann, warum heißt das Stück „Long John“?

Long Johns nennt man diese Einteilerunterwäsche, die man aus Cowboy- oder Westernfilmen kennt. Meistens rosa, verwaschen und mit Arschklappe! Unsere sind aber beige.

Sie sprechen in diesem Stück Playback zu Tonschnipseln aus Westernfilmen. Wie kommt man auf so was?

„Long John“ ist ja nicht unser erstes Playbacktheater. Wir hatten zuvor bereits ein Stück gemacht, in dem wir die Detektive von Agatha Christie auf der Bühne miteinander agieren lassen. Also mit den Stimmen von Miss Marple und Hercule Poirot und so weiter. Playback als Stilmittel hat sich so ein bisschen bei uns festgesetzt.

Wie muss man sich das vorstellen?

Das Besondere an „Long John“ ist, dass das Playback nicht einfach nur vom Band bis zum Ende durchläuft. Wir haben die ganze Bühne mit Tasten belegt, auf die man tritt, um den Ton zu aktivieren. So kann man sein Timing selbst bestimmen. Von Szene zu Szene werden die Tasten neu programmiert. Wir nutzen die Bühne als Sampler. Der Western ist dafür ideal: Vieles transportiert sich beim Western über die Akustik. Zum Beispiel die Mundharmonika: ein Ton – und jeder hat eine Szenerie vor Augen. Wir wollten diesen Aspekt des Kinos aufs Theater übertragen. Deshalb bekommt jeder Zuschauer auch eine Brille, die das Blickfeld aufs cineastische Breitbildformat reduziert.

Wie sehen diese Brillen aus?

Das ist quasi ein Bierdeckel, aus dem ein Schlitz rausgestanzt wird.

Gibt es eine feste Handlung?

Ein Mann kommt nach Hause, findet im Wäschekorb eine Mundharmonika, und wir Cowboys suchen ihn sozusagen heim. Aber es geht uns nicht darum, eine große Geschichte zu erzählen. Wir wollen das Publikum Szene für Szene unterhalten. Auch uns macht das Spaß. Uns wird oft nachgesagt, dass man uns die Freude an unserem Tun ansieht.

Wer hat die ganzen Filme gesichtet?

Das war ich. So um die 100 Western habe ich geschaut.

Uff, sind Sie denn wenigstens Western-Fan?

Na ja! Ein paar Streifen sind in Erinnerung geblieben, aber vieles verblasst auch. „Long John“ spielen wir ja schon seit sechs Jahren. Früher hätten Sie mich zu diesen Western aber alles fragen können!

Wie haben Sie die Tonsequenzen ausgewählt?

Ich habe die Filme transkribiert und besitze jetzt eine riesige Datei mit allem, was in irgendwelchen Western gesprochen wurde. Daraus eine Geschichte zusammen zu puzzeln, ist natürlich eine Gleichung mit vielen Unbekannten. Clint Eastwood, Terence Hill und Bud Spencer haben leider nicht immer die Sätze gesagt, die man sich für eine Szene wünscht.

Die Streifen mit Terence Hill und Bud Spencer wurden ja humoristisch im „Schnodderdeutsch“-Stil synchronisiert. Haben Sie einen Lieblingsspruch?

Die Sprüche der beiden sind für unser Projekt gut geeignet, weil sie meistens für sich stehen und oft keinen Sinn ergeben. „Raus, oder die Wanze ist platt!“ zum Beispiel. Im ganzen Film hat zuvor kein Mensch über eine Wanze gesprochen, aber die hauen halt solche Sprüche raus.

Wissen Sie immer, welchen Spruch die jeweilige Taste auslöst? Haben Sie alle im Kopf?

Das ist ja das Spannende am auditiven Gedächtnis. Lieder, die man als Teenie gehört hat, kann man sofort mitsingen, wenn man den ersten Ton hört. So ist es bei uns mittlerweile auch. Du hörst ein Knistern, und du weißt sofort: Jetzt kannst du noch zwei Schritte gehen, und dann kommt dieser eine Spruch. Wir können die Stimmen quasi mitatmen.

Sie haben zur Vorbereitung auch Kampf-, Tanz- und Reitworkshops besucht.

Ja, wir wollten alles, was wir auf der Bühne darstellen, selbst mal erlebt haben.

Pferde kommen im Stück aber nicht vor?

Nur, wenn man eine ganz große Fantasie hat! Alle, die sich mit Pferden auskennen, sagen aber, dass das bei uns sehr authentisch aussieht. Wir haben im Vorfeld Wanderreiter getroffen, die uns Laien auch galoppieren ließen. Wenn man dann mal durch die Walachei reitet, ist der Gedanke gar nicht so fern, sich niederzulassen und ein Feuerchen zu machen.

Sie hatten also Cowboy-Gefühle?

Es ist erstaunlich, wie schnell sich das einschleicht. Das Reiten transportiert diesen Cowboy-Geist sehr gut. Wenn man sich mit Wanderreitern unterhält, die drei Wochen lang ans Meer oder durch die Berge reiten, ohne eine Straße zu überqueren, denkt man sich schon: Krass, das geht! In unserer Zeit! Diese Gespräche haben uns schon sehr inspiriert.

Es heißt, die Darsteller hätten Ähnlichkeit mit den Daltons . . .

Ja! Das haben wir aber nicht so gecastet, es war eine Schicksalsfügung. Wie so vieles in diesem Stück war auch das ein Zeichen für uns, dass wir auf dem richtigen Pfad sind. Unsere physische Struktur ist erstaunlich passend, wie die Orgelpfeifen. Das gibt’s im Western ja auch oft.

Welche Pfeife sind Sie?

Die größte!