Sie will raus aus der EU, weiß aber noch nicht genau, wie sie es anstellen soll: Theresa May Foto: AP

Theresa Mays Kabinett muss sich am Freitag bei einer Klausurtagung auf ihrem Landhaus Chequers endlich auf eine Position zum EU-Ausstieg einigen. Schon im Vorfeld schlägt bei den Konservativen wütend alles aufeinander ein.

London - Krimi-Liebhaber munkeln vom Agatha-Christie-Moment eines heißen Brexit-Sommers. In diesem Skript lädt sich eine undurchschaubare Gastgeberin zum Wochenende eine Anzahl Gäste in ihr Landhaus ein. Die Gäste haben jede Menge Motive, einander aus dem Weg schaffen zu wollen. Die Gastgeberin aber plant, für die Dauer der Zusammenkunft alle Türen zu versperren. Frage: Wessen Blut wird sich am Ende auf dem Teppich finden? Das Brexit-Drama spitzt sich zu – mit unabsehbaren Konsequenzen.

Für Freitag hat Theresa May sämtliche Kabinettsmitglieder auf ihren Landsitz Chequers einbestellt. Die Regierungschefin will mit ihren Ministern endlich eine gemeinsame Position für das Post-Brexit-Verhältnis des Vereinigten Königreichs zur Europäischen Union aushandeln. Mays Kabinett soll sich zu guter Letzt einigen, nach zwei Jahren bitteren Streits.

Denn bereits am darauffolgenden Montag soll ein Regierungsweißbuch die neue Position darlegen und die stockenden Brexit-Verhandlungen in Brüssel frisch in Gang bringen. Viel Zeit für eine Vereinbarung mit der EU bleibt ja nicht mehr, falls ein Austrittsvertrag bis Oktober stehen soll. In drei Wochen beginnt die parlamentarische Sommerpause in London. Und von Mitte September bis Anfang Oktober finden die jährlichen Parteitage statt.

Angst vor einer „windelweichen“ Lösung

Die Brexit-Hardliner des Kabinetts aber wittern Verrat vor dem Chequers-Treffen. Außenminister Boris Johnson, Brexit-Minister David Davis und andere wollen keine „windelweiche“ Lösung akzeptieren, die für sie „gar kein echter Brexit“ wäre. Würde ihnen eine solche Lösung aufgezwungen, bliebe ihnen wohl nur der Rücktritt. Damit bräche das zutiefst gespaltene Kabinett mitten in den Verhandlungen mit der EU vollends entzwei.

Auch fünf Dutzend „harte“ Brexiteers in der Fraktion, unter Führung des Hinterbänklers Jacob Rees-Mogg, suchen May von Kompromissen mit Brüssel abzuhalten. Die Regierungschefin, warnte Rees-Mogg am Montag, müsse ihrer Partei unbedingt „das geben, was sie uns versprochen hat“. Sonst drohe ihr, seitens ihrer Parlamentarier, eine historische Revolte – und eine Spaltung der Konservativen auf Jahrzehnte hin.

Panik bei den Brexit-Hardliner haben neueste Berichte der Londoner „Times“ ausgelöst, denen zufolge Mays Verhandlungsdirektor Oliver Robbins einzelnen Ministern erklärt hat, dass letztlich wohl nur eine „norwegische Lösung“ – eine enge Anbindung an den Binnenmarkt der EU – für die EU akzeptabel wäre. Für die EU-Gegner bei den Torys ist May schon viel zu weit gegangen, als sie einer „Austrittsgebühr“ von knapp 40 Milliarden Pfund, einer fast zweijährigen Übergangsphase beim Austritt und einem Spezialstatus für Nordirland für den Notfall zugestimmt hat. Es sei höchste Zeit, Irlands „Bluff“ zu durchschauen und zu durchkreuzen, fand am Montag Rees-Mogg.

Großkonzerne warnen vor Scheitern der Verhandlungen

Eine Reihe seiner Parteikollegen forderte den „dogmatischen“ Hardliner schroff auf, endlich „die Schnauze zu halten“. In Fraktion und Kabinett brodeln gleichermaßen Ressentiments. Mehrere Minister haben einander offen kritisiert, nachdem Großkonzerne wie Airbus und BMW in den letzten Tagen vor einem „harten“ Brexit oder einem Scheitern der Brexit-Verhandlungen warnten. Außenminister Johnson erklärte, die Geschäftswelt könne ihm gestohlen bleiben („fuck business“) – eine Haltung, von der sich Wirtschaftsminister Greg Clark scharf distanzierte. Umweltminister Michael Gove zerriss zornig ein seiner Ansicht nach irreführendes Regierungsdokument zur Zollunion. Liz Truss, die zweite Ministerin der Schatzkanzlei, warf Gove vor, viel „heiße Luft“ zu produzieren zurzeit.

Neues Rätselraten löste Theresa May am Montag mit der Ankündigung aus, sie werde dem Kabinett am Freitag einen neuen Vorschlag für eine Zollunions-Variante vorlegen. Einen früheren May-Vorschlag, eine komplexe „Zoll-Partnerschaft“, hatte Minister Johnson als „verrückt“ abgetan. Eine andere Idee, die sich stärker auf technologische Grenzüberwachung stützte, lehnten Brüssel und Dublin einmütig ab.