Am Bahnhof Bad Cannstatt sorgten Ordnungskräfte dafür, dass die Fahrgäste informiert wurden. Foto: www.7aktuell.de | Robert Dyhringer

Mit Video-Umfrage - Ein Streik der Bahn nach 21 Uhr: Normalerweise sind die Folgen überschaubar. Aber nicht, wenn gleichzeitig noch das Cannstatter Volksfest läuft. Viele Wasenbesucher aus der Region sind früher nach Hause gefahren als geplant.

Stuttgart - Ein Streik der Bahn nach 21 Uhr: Normalerweise sind die Folgen überschaubar. Aber nicht, wenn gleichzeitig noch das Cannstatter Volksfest läuft. Tausende Wasenbesucher aus der Region müssen irgendwie anders nach Hause.
 
Ernüchterte Wirte: Der Tag beginnt nicht gut auf dem Wasen. Die Schausteller und Wirte sind noch beim Putzen und Vorbereiten, als sie die Kunde erreicht: Am Dienstagabend fahren ab 21 Uhr keine S-Bahnen. Das heißt: Die Gäste kommen nicht mehr weg. „Das ist eine Katastrophe“, sagt Festwirt Hans-Peter Grandl, „zumal die Abfahrt mit den Taxen ja auch nicht klappt.“ Haufenweise Beschwerden habe er schon von Besuchern bekommen. „Da blamiert sich Stuttgart bis auf die Knochen“, sagt er.
 
Glückliche Gäste: Und dann waren sie doch da, die Volksfestbesucher, und sie bleiben trotz Streiks sehr gelassen. Die einen, weil sie halt früher als üblich heimfahren, die anderen, weil sie sich die Welt schöngetrunken haben. Wie die Gruppe Lederhosenjungs aus Ulm. Vom Streik haben sie schon gehört, „aber verdrängt“. Jetzt erfahren sie am Infoschalter am Hauptbahnhof, dass doch ein Zug fährt. Regionalbahn 19347 um 21.31 Uhr. „Ich wusste doch“, lallt einer aus der Gruppe erfreut, „wir kommen immer heim!“

Genervte Bahnvertreter: „Wir wissen nicht genau, was bestreikt wird“, sagt ein Sprecher der Deutschen Bahn. Man könne den Fahrgästen nur empfehlen, ihre Reise so zu planen, dass sie außerhalb der Streikzeit von Dienstagabend, 21 Uhr, bis Mittwochmorgen, 6 Uhr, unterwegs seien. Das muss aber nicht zwingend helfen: Auswirkungen des Lokführerstreiks erwartet die Bahn noch bis zum Mittwochmittag.

Kämpferische Gewerkschafter: „Wir gehen davon aus, dass die S-Bahn in der Region Stuttgart mit am stärksten betroffen ist“, sagt Lutz Dächert, der GDL-Bezirksvorsitzende Südwest. Er hat Recht behalten, doch man fährt keine Betonlinie: Die letzte S-Bahn, die den Hauptbahnhof verlässt, ist die S1 nach Herrenberg, kurz vor 22 Uhr. „Alle S-Bahnen, die vor 21 Uhr gestartet sind, fahren bis zu ihren Endpunkten“, sagt ein GDL-Mann, „das sind wir auch unseren Leuten schuldig, die nicht irgendwo stehen bleiben sollen.“ Eine chinesische Gruppe muss jetzt trotzdem irgendwie nach Ditzingen.
 
Angespannte Chauffeure: Die Taxi-Auto-Zentrale kritisiert schon seit Monaten, dass die Anfahrtsituation auf dem Wasen schwierig ist. Am Dienstagabend hat sie sich auch noch dem Lokführerstreik gegenübergesehen, sich deshalb aber auf ein enormes Fahrgastaufkommen vorbereitet: „Wir haben das Personal in der Zentrale aufgestockt. Außerdem sind alle verfügbaren Fahrzeuge unterwegs“, sagt Antonio Tridico, der Leiter der Funkzentrale. Deshalb stehen am Cannstatter Bahnhof schon um 21 Uhr haufenweise Taxis. Sobald sie mit ihren Fahrgästen davonbrausen, schieben weitere freie Kutschen nach – rund ums Volksfest, am Flughafen und am Hauptbahnhof.
 
Besorgte Polizei: An normalen Werktagen löst ein Bahn- und S-Bahn-Streik von 21 Uhr an nicht das große Chaos aus. Doch am Dienstag ist das wegen des Cannstatter Volksfests ganz anders. Am Nachmittag fällt deshalb die Entscheidung, den Cannstatter Bahnhof vorsichtshalber von 21 Uhr an ganz zu sperren, damit es auf den Bahnsteigen nicht zu einem Gedränge und zu Gefährdungen der Festbesucher kommt. Die Bundespolizei jedenfalls hat gehörig aufgerüstet: In der heißen Abreisephase sind mehr Beamte im Einsatz als sonst an Volksfestabenden. Um 21.40 Uhr sind die Sperren komplett geschlossen, und trotzdem: „Es geht erstaunlich ruhig zu“, sagt ein Bundespolizei-Sprecher, der mit harscheren Reaktionen alkoholisierter Festgäste gerechnet hatte.
 
Bemühte Akteure: Die Bahn versucht den ganzen Tag, die Fahrgäste über die Streikauswirkungen auf dem Laufenden zu halten, in den Stadtbahnen gibt es Durchsagen. Am Flughafen informiert man die Passagiere auf allen Kanälen. „Internetseite, Facebook, Twitter – man muss versuchen, so viele Passagiere wie möglich zu erreichen“, sagt Sprecher Volkmar Krämer. Bei einigen kam die Botschaft nicht an: Am S-Bahn-Halt Hauptbahnhof fährt um 22 Uhr eine junge Mutter mit ihrem Zwillingskinderwagen unruhig auf und ab. Die Kleinkinder schlafen. Sie will nach Backnang, sie versteht nur Russisch. Nur mit energischem Kopfschütteln und Handbewegungen kann ihr begreiflich gemacht werden, dass wirklich keine S-Bahn fährt. In Bad Cannstatt zücken die Uninformierten derweil Handys und organisieren sich Privatchauffeure aus der Familie.