Für Klaus F. Zimmermann vom Institut zur Zukunft der Arbeit lässt sich der Wert der Arbeit nicht objektiv berechnen, damit sei schon Marx gescheitert. Foto: dpa

Wer sich mit dem Thema der unterschiedlichen Bezahlung zwischen den Geschlechtern beschäftigt, landet irgendwann bei zwei Fragen: Warum zahlen einige Branchen besser als andere? Und warum suchen sich Frauen eher Branchen aus, die niedrigere Löhne zahlen. Ein Forscher weiß Antworten.

Bonn – Herr Zimmermann, beim Thema Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen stellt sich die Frage: Warum werden in einigen Branchen höhere Löhne gezahlt als in anderen?
Zunächst muss man sich bewusst machen, dass unterschiedliche Branchen unterschiedliche Güter und Dienstleistungen produzieren. Diese Güter und Dienstleistungen stehen im Wettbewerb untereinander. Die Gesellschaft und der Markt bewerten die Güter und Dienstleistungen und definieren, welcher Wert ihnen zugemessen wird. Wenn eine Branche dann Güter und Dienstleistungen hervorbringt, denen der Markt eine hervorgehobene Bedeutung zumisst, dann verdient diese Branche erst einmal mehr. Sie kann dann im Gegenzug ihren Beschäftigten höhere Löhne zahlen.
Eine junge Frau macht nach der Schule eine Lehre als Friseurin, verdient als junge Gesellin 8,50 Euro gesetzlichen Mindestlohn, ein junger Mann macht nach der Schule eine Lehre als Kfz-Mechaniker, verdient als Arbeiter am Band von einem Automobilhersteller 25 Euro. Wie kann man das erklären?
Die Frau, die Haare schneidet und legt, macht etwas gesellschaftlich Wichtiges. Sie ist aber mit ihrer Hände Arbeit und einem Kamm unterwegs. Während der junge Mann mit hochmodernen, komplizierten Maschinen arbeitet und so sehr viel produktiver arbeitet. Er erwirtschaftet in Euro und Cent einen höheren Wert als sie – und das obwohl beide mit dem gleichen Engagement und Begeisterung bei der Sache sind.
Es geht also um die Wertschöpfung der Arbeitskraft?
Es geht darum, welcher Wert mit einer Arbeitsstunde geschaffen wird. Vor allem geht es darum, was der Markt bereit ist, für das Ergebnis der Arbeitsstunde zu bezahlen. Wir sind nun einmal in der Regel nicht bereit, für das Haareschneiden exorbitant hohe Beträge zu bezahlen.
Das heißt, eine entscheidende Rolle spielt, welchen Wert die Gesellschaft einer Arbeit beimisst?
In der Tat. Man kann sich fragen, warum Kinderbetreuung und die Pflege von Alten und Kranken so gering entlohnt werden. Die Antwort ist: Die Zahlungsbereitschaft der Menschen für diese Dienstleistungen ist eben nicht so hoch. Es ist wichtig, welche Einstellung die Menschen zu einem Gut oder einer Dienstleistung haben. Gelegentlich werben Verkäufer für Produkte, die „ohne Kinderarbeit“ hergestellt wurden. Da sind dann viele Kunden bereit, etwas mehr zu bezahlen. Sie sind aber eben auch nicht bereit, wesentlich mehr dafür zu bezahlen als für ein Produkt ohne dieses Etikett.
Lässt sich der Wert, der bestimmten Gütern von der Gesellschaft beigemessen wird, von der Politik verändern?
Die Politik kann nicht so einfach verordnen, dass eine Dienstleistung nun auf einmal besser bezahlt wird. Dies wäre ein Eingriff in den Marktmechanismus, der so nicht funktionieren würde, schon in der Planwirtschaft sozialistischer Länder gescheitert ist. Knappe Produktionsfaktoren wären nicht mehr bei den Firmen, deren Güter und Dienstleistungen von den Kunden am meisten benötigt würden. Es würde weniger und Falsches produziert, alle würden verlieren. Jeder, der eine Tätigkeit ausübt, ist gut beraten zu erkennen, in welchem gesellschaftlichen und wettbewerblichen Zusammenhang er sie ausübt. Nur so wird er abschätzen können, wie viel er damit verdienen kann.
Gibt es eine Formel, um den Wert der Arbeit zu bestimmen?
Karl Marx hat es ja versucht. Er wollte den Wert der Arbeit objektiv berechnen, ist damit aber gescheitert. Wir wissen heute: Es sind die Bedürfnisse der Menschen und ihre Bereitschaft, dafür zu bezahlen, die bestimmen, wie viel eine bestimmte Arbeit dem Markt wert ist.
Und wie ist es mit dem Wechselspiel aus Angebot und Nachfrage bei den Arbeitskräften?
Auch das spielt eine Rolle. Wenn etwa viele Menschen mit einer hohen Qualifikation in einer bestimmten Branche einen Job suchen, dann wird dies Folgen für die Bereitschaft der Unternehmer haben, hohe Löhne zu zahlen. Ihre Bereitschaft wird sinken, sie werden das Gehaltsniveau eher drücken können. Und umgekehrt: Wenn nicht viele kommen, spielt die Knappheit auf der Angebotsseite eine Rolle, die Löhne steigen.
Wie erklären Sie, dass Frauen sich bei ihrer Berufswahl tendenziell für Branchen interessieren, die schlecht entlohnen?
Zum einen, weil manche Frauen gewisse Präferenzen haben, etwa für soziale Berufe oder für Jobs, bei denen sie mit Menschen umgehen können. Zum anderen: Viele Frauen stehen doch gar nicht vor der Alternative zwischen dem hoch bezahlten Job in der Industrie oder dem Aushilfsjob beim Bäcker. Der Grund dafür ist: Frauen arbeiten heute immer noch sehr viel häufiger Teilzeit, sie scheiden wegen Geburten und kleinen Kindern zu Hause auf Zeit aus, stehen da dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung und haben deswegen Karrierenachteile. Die Verantwortung für die Familie liegt immer noch sehr stark bei der Frau. Daher nehmen Frauen tendenziell eher einen Arbeitsplatz um die Ecke an, selbst wenn er schlechter bezahlt ist, als den weiter entfernten höher dotierten Job. Vielleicht ist das auch gar nicht so unfair, dass er schlechter bezahlt ist.
Wie bitte?
Wenn man lange zum Job fahren muss, wie es der Mann als derzeit noch Hauptverdiener häufig tut, kriegt man zwar nominell ein höheres Gehalt. Wenn man aber die Fahrt- und Zeitkosten mit einberechnet, dann ist es möglicherweise sogar besser, den schlechter bezahlten Job „um die Ecke“ anzunehmen, insbesondere wenn Frau sich auch noch um die Kinder kümmert.
Könnte es sein, dass Frauen idealistischer sind, ihnen Geld nicht so wichtig ist wie Männern?
Nein, die Unterschiede in der Bezahlung erklären sich hauptsächlich aus dem Unterschied zwischen Vollzeitberufstätigkeit und Teilzeit sowie Kinderpause. In dem Maße, wo Frauen aus der Rolle des Teilzeitarbeiters in die Rolle des Vollzeitarbeiters wechseln, wird die Lohndifferenz verschwinden. Kostenlose Kindergartenplätze wären die richtige gesellschaftliche Reaktion.
Was würde ein Lohngleichheitsgesetz verändern?
Die Gesetzeslage ist schon jetzt eindeutig: Für die gleiche Arbeit muss der gleiche Lohn bezahlt werden. Ich sehe nicht, was ein Gesetz da noch verändern könnte. Es ist sehr schwer, zwei Jobs volkswirtschaftlich exakt zu vergleichen. Ich glaube, dass der Arbeitsmarkt die Probleme auf Dauer ohnehin von allein löst. Junge Frauen sind inzwischen tendenziell eher besser qualifiziert als junge Männer. Es kommt jetzt nur darauf an, dass sie auch in Vollzeit tätig sind. Dann werden sie auch gleich viel bekommen wie die Männer.