Zoff um Werkverträge unterm Daimler-Stern Foto: dpa

Laut Personalvorstand Wilfried Porth kann sich Daimler Metalltarife nicht überall leisten.

Stuttgart - Zwischen 1250 Euro und 3750 Euro Monatsverdienst liegen weniger als zwei Meter. Links legt ein Mitarbeiter in der blauen Arbeitsuniform der Firma Preymesser Bremsscheiben und -sättel für die E-Klasse auf ein Band, rechts neben ihm arbeitet ein Daimler-Mitarbeiter an einem fortgeschrittenen Stadium der Vorderachse. Beide sind Teil einer verketteten Produktionsanlage in Gebäude 11 der Vorderachsmontage im Daimler-Werk Mettingen und trinken ihren Pausenkaffee am gleichen Stehtisch – mehr haben die Beschäftigten aber nicht gemein.

Der Daimler-Mitarbeiter ist seit Jahrzehnten fest angestellt und kassiert neben dem Grundlohn Spät- und Nachtschichtzuschläge, sein Kollege links von ihm hat einen Arbeitsvertrag über sechs Monate. Abgeschlossen hat er ihn mit der Zeitarbeitsfirma Diwa, die ihn wiederum an die Logistikfirma Preymesser verliehen hat. Diese schließt seit Jahren Werkverträge für Transportleistungen mit Daimler, allein in Gießerei und Achsmontage in Mettingen arbeiten über 150 Preymesser-Leute, schätzt Daimler-Betriebsrat Michael Clauss. Die Leiharbeiter, die in Preymesser-Uniform Mercedes-Bänder mit Teilen füttern, verdienen 8,19 Euro die Stunde und 1250 Euro brutto im Monat. Ein langjähriger Daimler-Beschäftigter in Montage oder Fertigung kommt im Zwei-Schicht-Betrieb auf 3550 bis 3750 Euro.

Hinter den Kulissen herrscht Nervosität

„Hungerlohn am Fließband“ – unter diesem Titel hat der SWR-Reporter Jürgen Rose Mitte Mai einen Fernsehbeitrag veröffentlicht, für den er selbst mit versteckter Kamera als Leiharbeiter bei Daimler am Band stand. In Untertürkheim verpackte der Reporter Zylinderköpfe für den Transport nach China in Tüten – auch er bekam dafür 8,19 Euro die Stunde und war von Diwa an Preymesser verliehen worden. Wie der Bremsscheibenaufleger in Mettingen arbeitete auch Rose Hand in Hand mit festangestellten Daimler-Kollegen. Würde Daimler für diesen Job direkt einen Leiharbeiter einsetzen, müsste ihm der Autobauer gemäß einer hauseigenen Vereinbarung in der Produktion 17,80 Euro die Stunde und rund 2700 Euro brutto im Monat bezahlen.

Zwar erklärt der Autobauer, dass sowohl im Fall des SWR-Reporters wie auch bei anderen Werkverträgen im Haus alles ordentlich läuft – hinter den Kulissen herrscht aber offenbar Nervosität. In Gebäude 11 in Mettingen haben jüngst Firmenvertreter im Anzug die Arbeitsplätze und auch die Bremsscheibenauflage inspiziert – mit dem Ergebnis, dass nun ein Zettel den Preymesser-Arbeitsplatz als solchen ausweist.

Der Betriebsrat fürchtet, dass Daimler künftig noch mehr Arbeitsplätze in der Produktionskette von Fremdfirmen erledigen lassen will. Transportaufgaben wie das Be- und Entladen von Lkw oder die Teilelieferung bis zu einem Stellplatz vor den Fließbändern sind bei Daimler bereits zu großen Teilen in auswärtiger Hand. Mit jedem neuen Modell und den entsprechenden Anläufen in den Motorenwerken sollen laut Clauss zudem Tätigkeiten wie das Vorsortieren von Teilen und das Bestücken von Wagen an den Bändern von Nicht-Daimler-Leuten erbracht werden. „Überall dort, wo es ums Kommissionieren, Auflegen und Abnehmen am Band geht, versucht Daimler mit Werkverträgen zu arbeiten.“ Solche einfachen Jobs ziehe das Unternehmen aus der Gruppenarbeit heraus, um Geld zu sparen, „das könnte um die zehn Prozent der Produktionsarbeitsplätze kosten“, sagt der Betriebsrat. Mit benötigter Flexibilität hat das aus seiner Sicht nichts zu tun, vielmehr erkennt Clauss darin „dauerhaftes Lohndumping“. Schon heute arbeiten in der Region Menschen mit fünf verschiedenen Einkommen für den Autobauer: Festangestellte, Leiharbeiter, Ferienarbeiter sowie festangestellte und entliehene Werkverträgler.

Dass Werkverträge die Arbeitswelt verändern, ist unter Experten unumstritten: Darin stecke „eine Menge Potenzial, die bisher gekannten gesicherten Arbeitsverhältnisse aufzulockern“, sagt Arbeitsmarktforscher Stefan Sell. „Wir stehen hier am Anfang einer Entwicklung, die sehr bedrohliche Ausmaße annehmen kann.“ Ein Beispiel findet Clauss ebenfalls in der Mettinger Vorderachsmontage: Dort wurde ein ganzer Bandabschnitt für Kommissioniertätigkeiten von Fremdfirmen reserviert. Die vorsortierte Ware – Bremsteile für die neue S-Klasse – fährt anschließend automatisch zu einem zweiten Band, wo diese von Daimler-Beschäftigten weiterverarbeitet wird. „Früher waren das alles Jobs, die Daimler-Leute gemacht haben“, sagt Clauss.

Daimler kann sich nicht in der gesamtem Wertschöpfungskette Metalltarife leisten

Daimler-Personalchef Wilfried Porth räumt gegenüber unserer Zeitung ein, dass es „zur Optimierung der Logistikkette zunehmend notwendig ist, dass Teile schon einbaufertig direkt ans Band geliefert werden.“ Bei Daimler liege die Dienstleistungstiefe im Unternehmen deutlich höher als bei anderen Autoherstellern, deshalb müsse man weiter an der Wettbewerbsfähigkeit arbeiten und „auch weniger von diesen Dienstleistungen selbst erbringen. Das Instrument dafür sind externe Anbieter.“ Der Personalchef macht klar: „Daimler kann sich im internationalen Wettbewerb nicht leisten, in der gesamten Wertschöpfungskette Metalltarife zu bezahlen.“

Auch in den Forschungslaboren klagen die Arbeitnehmervertreter über eine Zunahme an Werkverträgen, Gesamtbetriebsratschef Erich Klemm warnt vor einer weiteren Fremdvergabe von Arbeit: „Ergebnis einer solchen Unternehmenspolitik wäre, dass Fremdfirmen unreguliert bei Daimler auf dem Werkgelände – in unseren Fabriken und Büros – agieren und Stammbelegschaft ersetzt wird.“ Porth zufolge ist der Anstieg in der Entwicklung indes den zahlreichen neuen Fahrzeugen geschuldet, Werkverträge „nehmen nicht grundsätzlich zu“.

Genauer geprüft werden sie künftig aber bestimmt – gegen zwei Werkverträge in der Forschung hat der Betriebsrat jüngst sogar Klage eingereicht, weil diese aus seiner Sicht einen Arbeitsplatz bei Daimler erfordern.