Ein Bild aus glücklicheren Tagen vor der WM 2018: Grindel, Löw und Biehroff (von links) Foto: dpa

„Lehrbeispiele missratener Kommunikation“: So könnte man die letzten Wochen beim DFB in Sachen Nationalmannschaft zusammenfassen. Vor dem Start der DFB-Elf ins neue Länderspieljahr knirscht es an allen Ecken und Enden – auch zwischen Joachim Löw und Reinhard Grindel.

Wolfsburg - Es könnte alles so schön sein. Der neue Mannschaftsbus der Volkswagen-Tochter MAN ist poliert und vollgetankt, das Stadion mit Fahnen geschmückt, eine Werkbesichtigung der Nationalspieler organisiert, ein Fanspalier vor dem Länderspiel geplant.

Keine Frage: Wolfsburg hat sich akkurat vorbereitet auf den Besuch der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, die zur Feier der neuen Partnerschaft zwischen dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) und VW die Autostadt am Mittellandkanal nach fast 16 Jahren wieder einmal mit einem Gastspiel beehrt.

Und dann das.

Wer ist ramponierter: der DFB oder Volkswagen?

Der eisige Wind, der samt Sprühregen übers niedersächsische Flachland pfeift, ist noch das geringste Problem. Viel schwerer wiegt, dass die Auswahl des DFB, deren Spieler teilweise unbekümmert im Mercedes anreisen, in reichlich ramponiertem Zustand kommt. Man fragt sich: Wer hat eigentlich die noch größeren Sorgen? Der Volkswagen-Konzern mit seinem Dieselskandal und dem angekündigten Abbau von 7000 Arbeitsplätzen? Oder der DFB, der das Image der Autobauer ein bisschen aufpolieren soll, seit Monaten aber eher erfolglos damit beschäftigt ist, die Brände im eigenen Haus zu löschen?

Ein Neuanfang soll der Besuch in Wolfsburg eigentlich sein, nicht nur im Autosponsoring, sondern vor allem sportlich. Am Mittwoch startet die DFB-Auswahl mit dem Testspiel gegen Serbien ins Jahr 2019, am Sonntag folgt in den Niederlanden der Auftakt in die Qualifikation zur EM 2020 (jeweils 20.45 Uhr/RTL). Über Taktik, Gegner oder Erfolgsaussichten aber hat man noch niemanden ernsthaft diskutieren hören. Im Mittelpunkt stehen die vielen Turbulenzen abseits des Spielfelds, von denen der Verband ein Dreivierteljahr nach dem WM-Desaster in Russland auch jetzt wieder kräftig erschüttert wird.

Lesen Sie hier: Warum Löw sich nichts vorwirft

Den Auftakt des neuesten Kapitels aus der Reihe „Lehrbeispiele missratener Kommunikation“ hat Bundestrainer Joachim Löw höchstpersönlich übernommen, als er vor zwei Wochen die Weltmeister Jérôme Boateng, Mats Hummels und Thomas Müller mit der sofortigen und völlig überraschenden Verabschiedung aus der DFB-Auswahl nach Kräften vor den Kopf stieß. Was seither passiert, offenbart die immer tiefer werdenden Risse in der Kommandozentrale des DFB.

Präsident Reinhard Grindel applaudierte Löw erst zu dessen Vorgehen, ehe ihm am Wochenende beim Fifa-Kongress in Miami plötzlich einfiel, dass eine Pressekonferenz unmittelbar nach der Entscheidung die bessere Idee gewesen wäre. Als Kritik an Löw wollte Grindel dies erstaunlicherweise nicht verstanden wissen, wie er sich nach seiner Rückkehr aus Florida zu versichern beeilte. Die gewünschte öffentliche Erklärung ließ Löw auf Drängen des Präsidenten erst mit zehntägiger Verspätung folgen. Kühl erklärte er dabei auch, warum er den DFB-Boss über das beschlossene Aus des Bayern-Trios nicht schon vor seiner Geheimreise nach München informiert hatte: „Ich wollte unbedingt vermeiden, dass etwas durchsickert.“ Vertrauensbasis? Offenbar Fehlanzeige.

Löw und Grindel haben sich voneinander entfernt

Man muss nicht im Vorzimmer der DFB-Spitze arbeiten oder Psychologie studiert haben, um zu spüren, wie distanziert das Verhältnis zwischen dem Präsidenten und dem Bundestrainer geworden ist. Grindel ist es gewesen, der vor der WM erst ohne Not den Vertrag von Löw verlängert und ihm hinterher trotz des blamablen Auftretens in Russland eine Jobgarantie ausgestellt hat. Nun ist es nicht der Bundestrainer, sondern der Präsident, der ein Abschiedsspiel für Boateng, Hummels und Müller ins Spiel gebracht hat. Eine Variante, von der bei Löw nie die Rede war.

„Herr Grindel, Herr Grindel, Herr Grindel“: Die Reaktionen auf das abgebrochene Grindel-Interview

Überhaupt: Reinhard Grindel. Seit seinem Amtsantritt im April 2016 ist der frühere CDU-Politiker vor allem in einer Funktion gefordert – als Krisenmanager. Sommermärchen-Affäre, Mesut Özils Erdogate samt Generalabrechnung, das historische Vorrundenaus in Russland. Man könnte auch mit viel Wohlwollen nicht behaupten, dass Deutschlands oberster Fußball-Funktionär jederzeit Herr der Lage gewesen wäre. Nicht anders verhielt es sich, als Grindel vergangene Woche einem Reporter der Deutschen Welle gegenübersaß und die Contenance verlor. Genervt von kritischen und nicht abgesprochenen Fragen brach er das Interview vor laufender Kamera kurzerhand ab. Kultstatus haben inzwischen die vergeblichen Rufe des Reporters in Richtung des wutschnaubend davon stürmenden DFB-Präsidenten („Herr Grindel, Herr Grindel, Herr Grindel“). Das nächste Kommunikationsdesaster war perfekt.

Bierhoff im Bayern-Schall

Nicht viel kleiner war der Spott, als neulich Oliver Bierhoff mit Bayern-Schal beim Champions-League-Spiel in München auf der Tribüne saß. Am 1. Januar zum sogenannten Direktor Nationalmannschaften und Akademie mit mehr als 100 Mitarbeitern befördert, sitzt er nun gewissermaßen zwischen Löw und Grindel. Eine Menge diplomatisches Geschick benötigt Bierhoff am Montagmittag, um einerseits Löws Ausmusterungen zu verteidigen („Entscheidend war das persönliche Gespräch“), andererseits aber auch Grindel gut aussehen zu lassen. Dessen mahnende Worte zur umstrittenen Vorgehensweise des Bundestrainers seien „keine Kritik, sondern Reflexion über mögliche Alternativen“ gewesen.

Oliver Bierhoff unternimmt beim Fototermin mit den VW-Leuten sogar den Versuch, trotz der jüngsten Dissonanzen so etwas wie Aufbruchstimmung zu erzeugen. Von einem „Neustart mit viel Elan und Freude“ berichtet er, das sei bereits in der ersten Mannschaftssitzung im Teamhotel spürbar gewesen. Allerdings fand sie ohne den Bundestrainer statt. Joachim Löw musste kurzfristig zum Zahnarzt.