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41-Jährige tötet drei Menschen und wird erschossen - Suche nach Motiv der Täterin.

Lörrach - Der schöne Spätsommertag dieses 19. September findet um kurz nach 18 Uhr ein blutiges Ende. Rettungswagen rasen durch Lörrach, Sirenen heulen. In der Nähe des Krankenhauses hat es in einem Wohnhaus eine Explosion gegeben, wenig später fallen Schüsse im Elisabethen-Krankenhaus. Menschen rennen in Angst davon. Binnen weniger Minuten laufen bundesweit die ersten Eilmeldungen über die Nachrichtenagenturen. Titel: Amoklauf in Baden-Württemberg. "Die Lage ist unübersichtlich", sagt ein Polizeisprecher am Telefon und legt auf.

Und dabei bleibt es lange. Das Landeskriminalamt in Stuttgart wird informiert, auch die Landesregierung wird in Kenntnis gesetzt. Aber keiner weiß zu diesem Zeitpunkt, was sich da an der Grenze zur Schweiz ereignet hat. Als die ARD- "Tagesschau" um 20 Uhr beginnt, ist der Amoklauf das Topthema. Aber immer noch ist nicht so richtig klar, was da unten in Südbaden vor sich geht.

Nur so viel wird schnell klar: Erinnerungen an den Amoklauf von Winnenden und Wendlingen werden wach, bei dem Tim K. im März 2009 insgesamt 15 Menschen und dann sich selbst erschoss. Seit wenigen Tagen muss sich der Vater des Täters bekanntlich vor dem Landgericht Stuttgart verantworten. Wird Baden-Württemberg nun womöglich schon wieder von einem Amoklauf heimgesucht? "Wir wissen nicht, was genau passiert ist", heißt es lange Zeit bei der Lörracher Polizei. Alle Telefonleitungen sind besetzt, es herrscht Chaos.

Längst ist Großalarm ausgelöst worden. Mehrere 100 Einsatzkräfte werden zusammengezogen, ein Platz unweit des Bahnhofs wird zum Einsatzzentrum umfunktioniert, Zelte für die Versorgung von Verletzten werden aufgebaut. Die Innenstadt wird weiträumig abgesperrt. Polizeisirenen allerorten. Beamte in kugelsicheren Westen sind unterwegs. Und je länger Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienste im Einsatz sind, umso mehr wird das Ausmaß der ganzen Tragödie sichtbar.

Fakt ist: Um kurz nach 18 Uhr ist es in einem Mehrfamilienhaus gegenüber der Klinik zu einer Explosion gekommen. Schnell bricht ein Brand aus, Anwohner alarmieren die Feuerwehr. Plötzlich fallen Schüsse. Die Feuerwehr muss ihre Löscharbeiten stoppen. "Hilfe, Hilfe"-Rufe dringen aus dem Haus. Kurz darauf, so berichten Augenzeugen später gegenüber der Polizei, rennt eine Frau mit einer Pistole aus dem Haus, überquert die Straße und stürmt in die Klinik. Ihr Ziel: die gynäkologische Abteilung. Dort schießt sie wild um sich. Ein Krankenpfleger wird tödlich getroffen, und ein Polizist, der zufällig im Krankenhaus ist, wird durch einen Kniedurchschuss schwer verletzt. Auch drei Patienten werden verletzt.

Minuten später ist die Täterin tot. Alarmierte Polizeikräfte haben die Frau erschossen, nachdem sie auf die herbeieilenden Beamten das Feuer eröffnet hat. Als der Brand im Haus gegenüber gelöscht ist, entdecken die Einsatzkräfte beim Eindringen ins Haus zwei weitere Tote: einen Mann sowie einen Jungen. "Wir haben es mit zwei Schauplätzen zu tun", sagt ein Polizeisprecher.

Gegen 21 Uhr gibt die Polizei zumindest vorläufig Entwarnung. Man habe "die Lage unter Kontrolle", sagt ein Sprecher. Viele Bürger stehen fassungslos am Straßenrand. Einige weinen, einige irren planlos umher, andere machen sich verstört auf den Heimweg. Psychologen kümmern sich um Helfer wie Bewohner.

In der Nacht zum Montag gibt es eine weitere Pressekonferenz. Die Ermittler gehen nun von einer Beziehungstat aus. Die Frau habe zunächst ihren früheren Lebensgefährten sowie ein fünf Jahre altes gemeinsames Kind getötet, einen Jungen, sagt der Leitende Staatsanwalt Dieter Inhofer. Aber die Rätsel nach dem Warum bleiben vorerst.

Die Stadt mit ihren 50.000 Einwohnern steht unter Schock. Das katholische Krankenhaus in Lörrach verfügt unter anderem über ein Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, ein Zentrum für Gynäkologie und Geburtshilfe sowie ein Säuglingszentrum mit Kinder-Intensivstation. Zudem gibt es dort seit März ein Zentrum für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Die Klinik hat mehr als 220 Betten und beschäftigt knapp 60 Ärzte. Ob die Täterin in irgendeiner Form mit der Klinik zu tun hatte, ob sie sich womöglich rächen wollte? Keiner weiß das an diesem Sonntag, der so schön begann und so tragisch zu Ende geht.