Edeltraut John (in der Mitte mit Hut) führte bei der 20. Auflage des „Literarische Spaziergangs“ die Gruppe auf pomologische Pfade und auf die Spur des Apfels. Foto: Georg Linsenmann

Der 20. Literarische Spaziergang in Stuttgart-Weilimdorf hat sich auf die Spuren des Glücks begeben, das im Apfel liegt.

Weilimdorf - Sagenhafte 15 Meter breit war die Solitudestraße einst! Damit konnte man imponieren, und damit kamen auch die herzoglichen Kutschen-Gespanne mühelos aneinander vorbei. Und nicht zuletzt: Die Straße war auch eine Allee von Apfelbäumen, die denen, die den Luxus zur Muse und zum Flanieren hatten, auch als Schattenspender dienten, wie Edeltraut John beim aktuellen „Literarischen Spaziergang“ anmerkte. Solche waren bei der 20. Auflage der poetisch angereicherten Ortserkundung angesichts des glühenden Spätsommertages ebenfalls heiß begehrt, was verkürzte Wege mit längerem Verweilen an Schattenplätzchen zeitigte.

Ganz gewohnt aber war dies: John hatte einmal mehr einen Berg von Material ausgegraben, diesmal zur Historie des Obstanbaus in Weilimdorf, und staunte selbst, „was für Leute über Weilimdorf geschrieben haben“. Gotthilf Kleemann zum Beispiel, der Feuerbacher Historiker und „große Kenner von Schloß Solitude“. Ihm ist etwa die Wiederentdeckung von Johann Kaspar Schiller zu danken, dem vormaligem Hofgärtner des Herzogs von Württemberg und Vater des Dichters Friedrich Schiller. Da der Dichter-Vater nicht nur das 1993 wieder aufgelegte Buch „Die Baumzucht im Großen“ verfasst, sondern im Zuge seines Wirkens auf der Solitude auch Beziehungen nach Weilimdorf gepflegt hatte, etwa zum Bergheimer Hof, wo er eine Baumschule initiierte, galt Johann Kaspar der erste große Exkurs. Weil dabei auch Friedrichs Schwester Christophine eine tragende Rolle zukam, galt das von John zitierte Wort gleich mehrfach: „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.“

Weilimdorfer hatten ihr „Bäumstückle“

Bis tief ins vergangene Jahrhundert hatten Weilimdorfer im Westen ihr „Bäumstückle“, also jene Streuobstwiesen, als deren „Erfinder“ Schiller gilt. Der Grund, auf dem die hochstämmigen Bäume standen, wurde auch als Acker genutzt. In der Widdumhofstraße ist noch eine letzte Bauernscheune aus dieser Zeit zu sehen. Über Jahrhunderte viel bedeutender als der Obstanbau war im Dorf der Weinbau, auf bis zu 75 Hektar Grund und bis ins 13. Jahrhundert zurückreichend. Die heimischen Tropfen schätzte während der Habsburger Herrschaft sogar der österreichische König Ferdinand, der für die 1424 erstmals urkundlich erwähnte Kelter an der Glemsgaustraße einen Kelterbaum spendierte. Als die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus Amerika eingeschleppte Reblaus den Weinbergen den Garaus machte, hatten, so John, „die Bauern wohl nicht das Kapital für eine Neubepflanzung“ und stiegen vollends auf Obstbau um.

Einen Hinweis auf schon früheren Niedergang des Weinbaus und ein Umschwenken auf Apfelkulturen gibt ein Chronist 1843, wenn er „die schönen Obstkulturen“ beschreibt. So zahlreich seien sie, dass „selbst der ärmere Tagelöhner versucht, davon im Herbst einzulegen“. Dabei beschreibt er die Bewohner als „bieder, offen und ehrlich, daher als sehr vorteilhaft zu schildern“. Die Blüte des Obstbaus unterstreicht 1906 die Gründung des genossenschaftlichen Obst- und Gartenbauvereins. Von der Linde dann noch ein Blick in die Ditzinger Straße, die keine Spur mehr zeigt von der einstigen „Bauerngasse“.

Abstecher zum Obsthof Hörnle

In die unmittelbare Gegenwart führte der Abstecher zum Obsthof Hörnle, wo die Gruppe mit frischem Apfelsaft, mit Kaffee und Apfelkuchen empfangen wurde. Seniorchef Ulrich Hörnle demonstrierte nicht nur die Leistungsfähigkeit des in 30 Metern Tiefe befindlichen Brunnens, sondern gab auch Hinweise auf die eminente Herausforderung, unterm Druck von Discountern wirtschaftlich zu bestehen. Immerhin, die bis zu sieben Meter dicke Löss-Schicht bietet fruchtbaren Boden. Noch nicht ausgesiedelt, hatte die Familie schon 1965 am Fasanengarten auf Niederstämme umgestellt. Auch Beerenobst ist wirtschaftlich wichtig geworden. Und nicht zuletzt die Selbstvermarktung auf dem Wochenmarkt und im Hofladen. Um stets knackig-frische Früchte bieten zu können, betreibt Hörnle dreierlei Kühlhäuser. Im CA-Lager dürfen die Äpfel regelrecht schlummern. Zu Weihnachten werden sie aufgeweckt, und dann nochmals im Frühjahr. Klar, dass Hörnle zum Schluss wieder sein Apfel-Gedicht zückte, in dem Äpfel beste Speise sind, das Blut erneuern, die Stirn glätten und manches mehr. Kurzum: „Mensch, im Apfel liegt Dein Glück!“