An Sommerabenden verwandelt sich die Hauptstadt Litauens und ihre Altstadt in ein Freiluftcafé.

Die Hauptstadt Litauens ist die Stadt der Glocken und Gotteshäuser. An Sommerabenden verwandelt sich die barocke Altstadt mit ihren Höfen, Museen und Kirchen in ein Freiluftcafé.

Vilnius ist eine Stadt mit vielen Namen und einer bewegten Geschichte. Die Litauer nennen ihre Hauptstadt Vilnius, die Polen Wilno, die Deutschen Wilna und die Juden sprechen von Vilné. Über Jahrhunderte hinweg war der Ort ein Schmelztiegel, an dem Sprachen, Kulturen und Religionen friedlich nebeneinander existierten – wie in Triest oder Czernowitz. "Vilnius hat stets die fremden Einflüsse aufgesogen und daraus etwas Einzigartiges gemacht", sagt Tomas Venclova, bedeutendster Dichter des baltischen Landes. Venclova, 1977 aus der Sowjetunion ausgebürgert, lehrt heute an der US-Universität Yale. Der Essay "Vilnius. Eine Stadt in Europa" (Suhrkamp) und der Kunstreiseführer des 72-Jährigen bilden die ideale Reiselektüre.

Wer sich zum Lesen zurückziehen will, findet im Skonis ir Kvapas in der Traku gatve eine große Auswahl an Tees, leckeren Kuchen und Crêpes. Am besten aber streifen Novizen auf eigene Faust durch die Gassen der barocken Altstadt mit ihren Höfen, Museen und Kirchen. Vilnius ist die Stadt der Glocken und Gotteshäuser – wohin der Blick schweift, ein Kirchturm ist stets zu sehen. Während die Orthodoxen auf Ukrainisch und Russisch beten, werden die katholischen Messen auf Litauisch und Polnisch gelesen.

Eng und doch nicht ganz spannungsfrei ist das Verhältnis zwischen Litauen und Polen, die beide seit 2004 der Nato und EU angehören. Litauens Großfürsten regierten von Vilnius aus ein Reich mit sechs Amtssprachen, das im 16. Jahrhundert von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer reichte – oft hört man nachts in einer Bar den Spruch "from the Black Sea to the Baltic Sea". 1569 wurde der Staatenbund Polen-Litauen gegründet und Vilnius blieb neben Krakau Regierungssitz. Aus Italien kamen mehrere Prinzessinnen, die Künstler und Architekten mitbrachten.

Die barocken Bauten, welche die Silhouette der Stadt prägen, entstanden in dieser Zeit wie auch die Universität. Die älteste Hochschule Osteuropas besteht aus 13 prachtvoll verzierten Höfen und bildet eine Mini-Stadt in der Stadt. Der Uni-Buchladen ist wegen der Fresken sehenswert – die anderen Kunstschätze sind bei einer Führung zu sehen.

1795 übernahm der Zar die Kontrolle über Vilnius, bis im Ersten Weltkrieg die Deutschen kamen. 1919 wurde Litauen unabhängig, aber Vilnius gehörte zum Mini-Staat Mittelpolen. Zu dieser Zeit redeten nur drei Prozent der Bewohner litauisch. Ein gutes Drittel sprach polnisch, viele russisch, knapp die Hälfte sprach jiddisch. "Vilné war jahrhundertelang ein Zentrum jüdischer Gelehrsamkeit", sagt Dovid Katz, der in Brooklyn geboren wurde und heute Professor an der Universität ist. Das moderne Hebräisch als auch das Jiddische wurden hier entwickelt, erzählt Katz im Gemeindehaus in der Pylimo gatve. Nirgends hatten Juden geringere Überlebenschancen: 90 Prozent wurden von den Nazis und deren litauischen Helfershelfern ermordet. Die Suche nach dem Jerusalem des Nordens führt in das Ghetto-Museum, das in einem Holzhaus in der Pamenkalno-Straße untergebracht ist. Schockierend ist das KGB-Museum nahe des Boulevards Gedimino Prospektas: Hier sind die Kellerzellen zu sehen, in denen Agenten des Sowjet-Geheimdiensts und der Gestapo Litauer folterten.

Nach so viel Geschichte braucht es Ablenkung, und die findet sich in Vilnius überall: Im Sommer verwandelt sich die Altstadt in ein Freiluftcafé. Gemütlich ist es auf der großen Terrasse der Užupio kavine, unter der der Fluss Vilnele fließt. Wer die Brücke überquert, verlässt Litauen, denn die Kneipe ist das Parlament der 1997 gegründeten Künstler-Republik Užupis – Užupis heißt "jenseits des Flusses". Es gibt einen eigenen Präsidenten, eine Hymne und eine Verfassung. Laut Artikel 16 darf jeder "glücklich sein" und Artikel 20 besagt: "Jeder darf alles teilen, was er besitzt." Das Essen in der Užupio kavine ist typisch litauisch-deftig: Fleisch und Kartoffeln, dazu viel Gemüse wie Kohl oder Rote Beete. Unbedingt probieren: Šaltibaršciai, die kalte Rote-Beete-Suppe mit Bratkartoffeln, und das Nationalgericht Cepelinai – mit Quark oder Fleisch gefüllte Kartoffelklöße.

Die Užupio gatve führt an einem Engel vorbei, der auf einem Ei steht und in ein Horn bläst – das Symbol von Užupis. Auf dem Hügel liegt das Restaurant Tores: Von dort hat man den besten Blick auf die Altstadt und erkennt die drei Farben der litauischen Fahne. Tomas Venclova gerät ins Schwärmen über das "Grün der Gärten, das Rot der Dachziegel und das Gelb der Hauswände".

Der neueste Trend ist der Besuch in einer vynine: Immer mehr Weinbars wie In Vino oder La Boheme bieten edle Tropfen an. Bier ist das beliebteste Getränk im Savas Kampas oder der Nachtleben-Legende Brodvejus, wo stets Live-Konzerte stattfinden. Freunde von Elektromusik pilgern ins Woo oder ins Gravity – in dem alten Sowjetbunker legen DJs aus aller Welt Platten auf.

Weitere Informationen

Anreise

Lufthansa fliegt von Frankfurt nach Vilnius. Mit Air Baltic kommt man täglich von München und Frankfurt über Riga nach Vilnius. Hin- und Rückflug gibt es über www.airbaltic.com ab 256 Euro, Gepäck kostet extra.

Wer Hotel und Flug bei www.airbaltic.com bucht, spart mindestens zwanzig Prozent beim Flug. Wer gerne mit Einheimischen reist, kann für 70 Euro mit dem Bus fahren (www.eurolines.de).

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Litauen gehört nicht zur Eurozone, die nationale Währung ist der Litas. Ein Euro entspricht 3,45 Litai.

Das kostet Vilnius

Bier (0,5 Liter): 2 Euro
Kaffee: 1 Euro
Abendessen: 5-15 Euro
Taxifahrt vom Flughafen ins Zentrum: 8-10 Euro

Das Hotel Apia (www.apia.lt) liegt in einer ruhigen Straße in der Altstadt, DZ 49 bis 59 Euro. Teurer, aber sehr stilvoll eingerichtet ist das Hotel Shakespeare (DZ ab 120 Euro, www.shakespeare.lt). Noch spezieller ist das Domus Maria (www.domusmaria.lt), ein altes Karmeliterkloster. Hier schlafen Sie in den früheren Zellen der Mönche, EZ 58 Euro/DZ 78 Euro. Zudem sind auch internationale Ketten wie Radisson SAS, Scandic Hotels oder Accor präsent. Mehr Infos unter www.vilnius-tourism.lt.

Wetter

September und Oktober sowie Mai und Juni sind ideal für einen Trip nach Litauen: Die Temperaturen sind angenehm, und in der Stadt ist viel los.

Was Sie tun und lassen sollten

Auf alle Fälle sollten Sie das Museum für zeitgenössische Kunst (www.cac.lt/en) besuchen und in der Boutique Aukso Avis (www.auksoavis.lt) Schmuck und Accessoires von jungen Designerinnen kaufen. Auf keinen Fall sollten Sie Vilnius verlassen, ohne ein litauisches Bier getrunken zu haben. Besonders gut schmeckt es im Lokal Busi trecias (www.busitrecias.lt).