...begeistert ihr Publikum aber noch immer. Foto: Lichtgut-Oliver Willikonsky

Die Soulstimme der frühen 90er Jahre begeistert im Theaterhaus: Lisa Stansfield bringt alte Hits und neue Songs mit – und ein perfektes Programm, das nicht nur alle Facetten ihre Stimme zeigt.

Stuttgart - Sie war die große Soulstimme der späten 1980er Jahre, der frühen 1990er. Am Dienstagabend stehen neun versierte Musiker auf der Bühne des größten Saales im Theaterhaus, neun Strahler gießen mit leicht gesenktem Haupt ein warmes Licht auf diese Musiker und den Vorhang in ihrem Rücken, ein lebhafter, scharfer Groove füllt den Saal, und Lisa Stansfield tritt auf, kommt mit schnellem Schritt von rechts her auf die Bühne, sehr locker, schwebend, steigt ohne Umschweife ein in ihr Stück, singt „Everything“, einen Titel ihres neuen Albums, wirft leichthin, schnell ihre Zeilen in den Rhythmus ihrer Band, holt weit aus für den Refrain.

Stansfield, 52 Jahre alt seit dem 11. April, hat sie noch, die ungeheuer flexible Stimme, mit der sie vor 29 Jahren berühmt wurde. Damals gehörten die ersten Plätze der Hitparaden ihr; erst im Laufe der 1990er Jahre sank ihr Stern sehr langsam. Mit „Deeper“, ihrem achten Studioalbum, erschienen im April, sucht sie Anschluss an ihre großen Zeiten, findet ihn – und auf der Bühne, im Theaterhaus, gelingt ihr das noch besser, denn hier bettet sie ihre Stimme nicht in eine zeitgemäße R’n’B-Produktion, einen ausgefeilten Sound, gespickt mit elektronischen Kanten, sondern auf den warmen, vollen Sound ihrer enorm spielfreudigen Band.

Der Bass schreitet wuchtig aus

Hinter ihr, mittig der Bühne, das Schlagzeug; zur Rechten, zur Linken Keyboarder, Percussion, Gitarre, Bläser, ein Bass vor allem, der wuchtig ausschreitet, jeden Song sehr lebhaft grundiert. Dazu Hände, die über Congas fliegen, Gitarren, die den Rhythmus schärfen, zwei Bläser: ein Saxofon, das wild aus Stanfields Refrain ausbricht und wieder wieder in ihn zurückfällt – später wird die Sängerin einen kleinen Tanz mit dem Saxofonistin wagen. Der Trompeter wechselt bei der akustischen Version von „So natural“ zum Flügelhorn, ein Solo schmiegt sich zerbrechlich ins Arrangement; später dann spielt er eine Querflöte, die Hand in Hand mit dem Keyboard geht. Augenblicklich holen Lisa Stansfield und ihre Musiker Zeiten in die Gegenwart, die viel weiter noch zurückliegen als ihre Erfolge, spielen den klassischen Soul. Und sie benötigen keine fünf Minuten, um mit dieser Mischung den ganzen großen Saal auf die Beine zu bringen.

Aber Lisa Stansfield will ihr ganzes Temperament nicht gleich zu Beginn des Abends ausspielen, ihr Publikum nicht gleich erschöpfen. Auf eine mitreißende Uptempo-Nummer lässt sie immer eine Ballade oder ein Stück im gemäßigten Tempo folgen. Das Publikum setzt sich, springt auf, ein Vorgang, der sich oft wiederholt. Das neue Album dominiert sehr deutlich an diesem Abend mit acht Titeln, die keine Wünsche offen lassen, aber bald schon holt Stansfield mit „The Real Thing“ auch das erste Ass aus dem Ärmel. „All around the World“ folgt noch vor der Zugabe, bleibt ganz nahe am Original, mit voll geschlagenem Bass, einer Synthesizerwand, die sich im Hintergrund langsam aufrichtet – und das alte Gefühl wieder da. „Billionaire“ vom neuen Album kommt hervorragend an; Coverversionen von Barry White und The Family Tree runden das Programm ab.

Ihr größter Hit forumliert die Botschaft des Abends

Ein perfektes Programm Lisa Stansfields ist das, die bei jedem neuen Songs neue Facetten ihrer Stimme zeigt, bei der Stimme und Körper sich gegenseitig abzubilden scheinen, jede Bewegung, jeder Schritt, den sie auf der Bühne tut, zu Musik wird. Sie singt mit samtigweicher Tiefe, steigt hinauf in klare Höhen, immer beherrscht, niemals ohne Gefühl, eine schlanke, hochgewachsene Frau, die über die Bühne zu fließen scheint, mit eleganter Geste durch die Luft fährt, energisch ausschreitet, die Finger spreizt, die sich aufs Podest ihres Schlagzeugers setzt, zum lockeren Funk der Gitarre singt.

Im tiefblauen Bühnenlicht zelebrieren Keyboard und Sopransaxofon das Ende der Show. Der Saal fordert seine Zugabe, bekommt sie. Keyboard und Schlagzeug spielen nun lange mit futuristischen Klängen, die Musiker schreiten wieder zu ihren Instrumenten. Noch einmal kehrt die „british Queen of white Soul“ zurück auf die Bühne, in einem schwarzen Jäckchen nun, gefiedert, mit offenem Haar und strahlendem Lächeln, ganz Diva. Sie lässt ihre Stimme erst schweben, taucht dann ein, in ihren größten Hit, der ihre Botschaft ist, an diesem Abend: „This song“, sagt sie, „is just as relevant now as it was back then, and it‘s all about living together. It‘s the only way.“ Wir müssen zusammenleben, im Jahr 2018 gelte das so viel wie im Jahr 1990, sagt Lisa Stansfield – und singt „We‘ve got to live together“, das Theaterhaus tanzt.