Die Ärztin Lisa Federle hat in Schönaich aus ihrem Buch „Auf krummen Wegen geradeaus“ gelesen. Und die Tübingerin traf mit den Erinnerungen und Geschichten aus ihrem bewegten Leben den Nerv des Publikums.
War das eine Autorenlesung? Ja, auch. Dennoch hatte die Veranstaltung mit Lisa Federle zeitweise den Charakter eines Familienfestes. Die Tübinger Ärztin war auf Einladung der Buchhandlung Colibri in die voll besetzte Gemeindehalle nach Schönaich gekommen. Gleich zu Beginn identifizierte sie ihre Tante im Publikum und gestand zudem, dass ihr Vater aus Weil im Schönbuch stammt. Zu ihren Erinnerungen gehört auch, dass sie ihre Tübinger Freundinnen immer beneidet habe, weil sie in die legendäre Disco Filmklause nach Schönaich fahren durften. Spätestens mit dieser Anekdote hatte sie den Letzten im Publikum auf ihre Seite gezogen. Für gemütliche Stimmung war gesorgt, auch wenn man sich die Begrüßungsreden der Bürgermeisterin Anna Walther und der gastgebenden Buchhändlerin Conny Benning etwas kürzer gewünscht hätte.
Massentests im Dienste eines unbeschwerten Weihnachtsfestes
„Auf krummen Wegen geradeaus“ lautet der Titel von Federles Buch – und damit sie nicht so allein auf der Bühne war, boten der Gitarrist Philipp Feldtkeller und der Schlagersänger Dieter Thomas Kuhn klingende Unterstützung für die Szenen aus einem bewegten Leben, die Lisa Federle erzählte und zum Teil auch vorlas.
Die beiden Musiker waren es auch, die bei der legendär gewordenen Massentestung der Tübinger Bevölkerung zu Beginn der Coronazeit praktische Hilfe geleistet hatten. Tausende von Testwilligen kamen so in den Genuss, unkompliziert zu erfahren, ob ihr Testergebnis positiv oder negativ war.
In dem entsprechenden Kapitel ihres Buches erklärt Federle, warum sie diese Massentests organisiert hatte: Sie wollte viele Tests durchführen, damit möglichst viele Weihnachten mit der Familie zu Hause feiern konnten. Nicht nur dieses Bekenntnis sicherte ihr die Sympathie der Zuhörerinnen und Zuhörer, denn die charakterstarke Ärztin präsentierte sich als Mensch, der etwas tut, das viele sich zwar vorstellen könnten, sich aber nicht zutrauen.
Sie will etwas für benachteiligte Menschen tun
Natürlich durften bei der Lesung auch bunte Geschichten oder mancher Tiefpunkt im wirklichen Leben nicht fehlen. So erzählte Federle etwa, wie sie einst mit hungrigen Kindern mangels Geld aus den Anlieferungskartons eines Supermarktes nächtens ein paar Lebensmittel „organisierte“. Federle kommentiert das so: „Den geklauten Käse kann ich bis heute noch nicht wieder essen.“
Erstaunlich dürfte für manche ihre Wandlung von der SPD-Anhängerin zum CDU-Mitglied sein: „Ich wollte etwas Soziales tun, für die benachteiligten Menschen. Ich habe dann gelernt, dass man das Geld, das man dazu braucht, vorher verdienen muss. Und das geht nur über Firmen, die Arbeitsplätze anbieten, so bin ich in die CDU eingetreten, um dort das soziale Gewissen zu realisieren.“
Nicht unerwähnt blieben an dem Abend die Gerüchte um die Väter ihrer vier Kinder. War es Rezzo Schlauch oder gar der Tübinger Oberbürgermeister Palmer? Zu Letzterem sagte Federle: „Gott behüte.“ Die Geschichten und Geschichtchen, die Federle zum Besten gab, sind unterhaltsam, zeigen aber beispielhaft, wie selbstlos und unprätentiös die Medizinerin agiert. Mittlerweile führt sie in Tübingen eine hausärztliche Praxis, um hilfsbedürftigen Menschen mehr Zeit widmen zu können. Sie hat mit ihrem risikofreudigen Engagement gezeigt, dass man auch Widerstände überwinden kann, wenn man es denn will. Die 61-Jährige kann auch ganz gut damit leben, wie sie eingestand, dass man dadurch zur TV-Prominenz wird. Stolz ist sie zudem, dass sie mit ihrem Team rund 200 ukrainischen Kindern Beschäftigungsmöglichkeiten bieten kann.
Beträchtlicher Andrang in der Gemeindehalle
Die beiden Musiker spielten bekannte deutsche Schlager wie „Fremde oder Freunde“, und sie mussten den Song „Über den Wolken“ von Reinhard Mey als Zugabe wiederholen. Erleichtert und begeistert waren auch die beiden Buchhändlerinnen von Colibri, die kurz nach ihrer Geschäftseröffnung von den Coronamaßnahmen getroffen wurden und deshalb erst jetzt, nach zwei Jahren, ihre erste Autorenlesung veranstalten konnten. Und der Andrang war beträchtlich: Schon vor der Veranstaltung warteten viele Leute vor der Gemeindehalle, die Warteschlange derjenigen, die ein Buch mit Autogramm haben wollten, reichte ebenfalls weit bis nach draußen.
Lisa Federle
Engagement
Lisa Federle, geboren 1961, führte 2015 im Kreis Tübingen eine „rollende Arztpraxis“ zur Behandlung Geflüchteter in Notunterkünften sowie von obdachlosen Menschen ein. Während der Coronapandemie 2020 wurde diese zur mobilen Fieber- und Abstrichambulanz. Damit leistete sie einen entscheidenden Beitrag zum Tübinger Modell zur zielgerichteten Pandemiebekämpfung. 2020 wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet
Werdegang
Erst nach der Familiengründung absolvierte die Mutter von vier Kindern ab 1986 das Abendgymnasium in Reutlingen und legte dort 1990 auf dem zweiten Bildungsweg das Abitur ab. Seit 2001 ist sie als Notfallmedizinerin tätig, seit 2004 als leitende Notärztin. Sie betreibt in Tübingen eine privatärztliche Hausarztpraxis.