Gamsige Lotter und Dorfmatrazen: Lisa Eckhart erzählt aus dem Leben ihrer Großmutter. Weitere Neuerscheinungen finden Sie in unserer Bildergalerie. Foto: dpa/Hans Punz

Die Kabarettistin Lisa Eckhart tritt derzeit in verschiedenen Rollen auf: als Gott-sei bei-uns der politischen Korrektheit, als Märtyrerin moralischer Zensur und als Romanautorin. An diesem Montag erscheint ihr Debüt „Omama“. Wie gehört das alles zusammen?

Stuttgart - Tutteln, Zumpferln, Popscherln sind die eigentlichen Helden dieser Geschichte. Meistens geht es darum, dass irgendein gamsiger Lotter sein Zumpferl in die Ritze irgendeiner Dorfmatraze schieben möchte, die gerade zu safteln angefangen hat. Und wenn man einmal kurzzeitig den Faden verliert, weil die ein oder andere Pointe erst mühsam aufgebaut werden will, dauert es meistens nicht lange, bis wieder ein Flitscherl von irgendeinem Deppen ausgegriffen wird – und schon ist das Zumpferl wieder im Spiel.

Es ist, gelinde gesagt, ein überschaubares Motivationsgeflecht, das die österreichische Kabarettistin Lisa Eckhart in ihrem Romandebüt „Omama“ entwirft. Nimmt man noch eine Neigung zur Trunksucht mit all ihren unappetitlichen Folgen hinzu, ein großes Interesse für das Leistungsvermögen des menschlichen Verdauungsapparats sowie eine beachtliche Tendenz zu Bösartigkeit und Niedertracht, dann hat man eigentlich die Elemente der robusten Anthropologie schon beisammen, die die 27-jährige Autorin nicht müde wird, in immer neue sprachliche Gewänder zu kleiden.

Es ist eine alte Geschichte, die in der österreichischen Literatur immer wieder festlich erzählt worden ist und deren kürzeste Fassung lautet: der Mensch ist doch ein rechtes Tier. Und wäre da nicht jene andere aktuelle Vorfall – wer weiß ob man der literarischen Debütantin auf knapp 400 Seiten durch das Leben ihrer Großmutter gefolgt wäre, um sich an ihrem Beispiel die Welt erklären zu lassen.

Moralisch mobilisierter Mob

Jene andere Geschichte handelt von dem Streit, der im Vorfeld des Erscheinens von „Omama“ entbrannt ist. Denn als Welterklärerin ist Lisa Eckhart auch auf ihrem bisherigen Kerngebiet des Kabaretts in Verruf geraten, weil ihre satirische Indienstnahme sexistischer, antisemitischer oder homophober Klischees bisweilen Sexismus, Antisemitismus und Homophobie zum Verwechseln ähnlich sehen.

Mit ihrem Roman war sie für den Debütpreis des Hamburger Harbourfront Festivals nominiert. Nach angeblich „linksextremen Drohungen“ und der Weigerung eines Autors, mit ihr auf der Bühne zu lesen, wurde sie in der vergangenen Woche wieder ausgeladen. Die angekündigten Proteste entpuppten sich bei näherer Betrachtung freilich nur als voreilige Warnungen besorgter Nachbarn. Der PEN übte Kritik. Die Ausladung wurde zurückgezogen. Doch irgendwann stieß auch die brachiale Humorbereitschaft Lisa Eckharts bei dieser Art des Rein-Raus-Spiels an ihre Grenzen. Sie lehnte ihre Teilnahme ab.

Seitdem wird heiß über eine sogenannte „Cancel Culture“ diskutiert: ob ein moralisch mobilisierter Mob dabei sei, ihm unliebsame Stimmen aus der Öffentlichkeit zu verbannen. Und nicht nur die literarische Welt wartet nun gespannt auf den Roman, dem damit eine Publizität zuteil wurde, mit der es ein noch so wohlbeleumundeter Debüt-Preis nie hätte aufnehmen können. Womit wir wieder bei den Tutteln, Zumpferln und Popscherln wären.

Schießbudenfiguren im Aufklärungsunterricht

Die Geschichte beginnt mit einer kolossalen Verstopfung des Säuglings, der später zu der kabarettistischen Kunstfigur heranwachsen wird, deren penibles Styling in sprechendem Kontrast zu den verwilderten Anstößigkeiten steht, die sie in blasiertem Austro-Singsang serviert. Hier liegt sie nun in ihrer Krippe, „strampelnde Fäkalien, von einer dünnen Schicht Säugling ummantelt“. Und beinahe ist man geneigt, den minutiös geschilderten Akt der Abführung als ein symbolisches Öffnen der Büchse der Pandora zu begreifen, aus der sich dieses humoristische Ingenium speist.

Zwei Großmütter ringen zunächst um die Enkelin. Eine wird schon rasch bei einem Fahrradunfall aus dem Rennen geboxt. Alle Enkel berichten von zwei Großmüttern, schreibt Lisa Eckhart, einer guten und einer bösen: „Ich werde niemals wissen, welche von beiden am Straßenrand starb.“ Doch nicht nur wegen solcher Unentschiedenheit zögert man, den Roman für eine Hommage an diejenige zu halten, bei der die Autorin im wirklichen Leben die ersten Jahre ihrer Kindheit verbracht hat.

Denn es sind vor allem Schießbudenfiguren, auf die Lisa Eckhart ihren Aufklärungsunterricht anlegt. Da ist der Russe, vor dem Großmutter Helgas schöne Schwester Inge unter dem Bett versteckt werden muss. In Wirklichkeit hat er jedoch ein viel größeres Interesse an dem selbstgebrannten Marillenschnaps des Urgroßvaters. Der Russe eben. Später verdingen sich die Mädchen als Hausmädchen, „Helga passt auf die Kinder auf und die Inge, dass sie keins kriegt.“ Jene vergreift sich am Parfüm, diese am Professor, der es vor allem liebt, in Inges Wissenslücken zu stoßen. Das Flitscherl eben.

Lose halten zwischen Altklugheit und Regression flackernde Scherze die Fragmente der großmütterlichen Biografie zusammen. Von der Jugendgeschichte, die auf den vier „sakralen Säulen jeder dörflichen Gemeinschaft“ ruht: auf Schönling, Matraze, Depp und Trinker, bis zur Verklärung im Alter als Muttergottes der Mehlspeisen, deren Flatulenzen die Enkelin in bewunderungswürdige Sprachgebilde übersetzt.

Manchmal klingt das wie Elfriede Jelinek im Sonderangebot, manchmal wie Werner Schwab für Snobs. Doch wo es in den Werken jener um Entlarvung geht, geht es Lisa Eckhart um Einkleidung. Jede Niedrigkeit brezelt sie auf zur schrillen Pointe. Und es ist die Frage, ob man es überhaupt mit einem Roman zu tun hat oder nicht eher mit einer kabarettistischen Resterampe.

Aber all dies ist noch kein Verbrechen, sondern schlimmstenfalls ein misslungenes Debüt. Es bedarf schon eines enormen Maßes an Einfalt, wie man es nach der Lektüre von „Omama“ eher in den hintersten Winkeln der Steiermark vermutet hätte, Eckharts inständiges Bemühen um Provokation mit der Märtyrerkrone der zensierten Künstlerin zu adeln. Damit verschafft man ihr erst recht eine Bühne auch außerhalb der humoristischen Kampfzone, in der es offenbar zum guten Ton gehört, die Grenzen des Sagbaren immer weiter zu verschieben. Doch ein Zumpferl, das sich wichtig nimmt, findet man überall. Das macht die Sache nicht besser, weder den Roman noch die Affäre.

Lisa Eckhart: Omama. Roman. Zsolnay Verlag. 384 Seiten, 24 Euro.