Trotz der milliardenschweren Zusagen von Präsident Emmanuel Macron gehen in Frankreich die Proteste der Gelbwesten weiter. Foto: AFP, dpa

Bieten die Gelbwesten in Frankreich ein Vorbild für massive Gegenwehr auf deutschen Straßen? Die Linkspartei sieht in deren Aktionen eine „Ermutigung“. Allerdings würden solche Massenproteste hierzulande anders organisiert, meint Parteichef Bernd Riexinger.

Stuttgart - Die Proteste der Gelbwesten in Frankreich sind am Wochenende etwas abgeflaut: Von starken Polizeikräften bewacht, gingen landesweit nur gut 66 000 auf die Straße. Es gab viele Festnahmen, doch Krawalle blieben aus. Aus Solidarität mit den Gelbwesten haben in München etwa 200 Menschen protestiert. Bernd Riexinger, Co-Chef der Linkspartei, wünscht sich in Deutschland mehr Gegenwehr – aber anders organisiert, als Fraktionschefin Sahra Wagenknecht sich dies mit ihrer Bewegung Aufstehen vorstellt.

Herr Riexinger, sind die Gelbwesten eine erfolgreiche Protestbewegung, die Präsident Macron noch mehr zurückdrängen sollte?

Die Gelbwesten haben Zugeständnisse erreicht, die in bestimmten Bereichen einen echten materiellen Zugewinn bringen. Sie haben bisher nicht erreichen können, dass Macrons Politik in eine grundlegend andere Richtung geht. Er verschont nach wie vor die Reichen sowie Kapitalbesitzer und will keine gerechteren Verteilungsverhältnisse schaffen. Sein Programm ist ähnlich der Agenda 2010. Eine Mehrheit der Franzosen lehnt Macrons Politik ab. Deshalb ist klar, dass die Gelbwesten jetzt sagen: Es ist nur ein Bruchteil unserer Forderungen erfüllt, wir müssen nachlegen. Über 50 Prozent der Bevölkerung stehen weiter dahinter.

Der Vorstand der Linken hat sich solidarisch erklärt. War der Beschluss umstritten?

Der war einstimmig.

Der Vorstand sieht „in der Breite des sozialen Widerstands auch eine Ermutigung für Deutschland“. Ist das quasi der Aufruf zu französischen Verhältnissen hierzulande?

Jedes Land entwickelt eigene Protestformen. Man kann die Methoden der Gelbwesten, die ja nicht von irgendwelchen Organisationen dominiert werden, nicht ohne Weiteres auf Deutschland übertragen. Ich bin aber sehr dafür, dass hier Protest gegen die Politik der großen Koalition organisiert wird. Wir haben ähnliche Probleme, dass die Menschen im unteren und mittleren Einkommensbereich sich abstrampeln, ohne auf einen grünen Zweig zu kommen. Die Bevölkerung bei uns ist geduldiger, da dauert es länger, bis es vom Kopf in die Füße geht. Aber ich bin überzeugt davon: Auch bei uns will die Mehrheit der Menschen an den sozialen Verhältnissen etwas ändern. Große Proteste sind möglich. Sie finden schon statt. So verbinden sich die starken Bewegungen gegen rechts und gegen Rassismus gerade stärker mit sozialen Fragen.

Ist es nachteilig, dass keine Partei oder Gewerkschaft die Gelbwesten anführt?

Spontaner Protest ist gut. Es ist es aber wichtig, dass politische Verbände, Gewerkschaften oder Parteien die Proteste stärken. In Deutschland sind sie stärker organisiert. Beim Pflegenotstand zum Beispiel haben wir erreicht, dass Gesundheitsminister Spahn Zugeständnisse bei der Personalbesetzung in den Krankenhäusern machen musste.

Zunächst hatten Sie sich skeptisch gezeigt?

Ich habe von Anfang an gesagt, dass ich volles Verständnis habe für den Protest. Zu Beginn versuchten die Rechten den Protest zu vereinnahmen. Das ist ihnen aber nicht gelungen, weil Schüler, Studenten, linke Parteien und Gewerkschaften reingegangen sind – so konnte die Bewegung nicht von rechts übernommen werden.

Wie wahrscheinlich ist es, dass Linke und Rechte sich hierzulande bei Aktionen verbinden? Es wählen doch auch Linke die AfD?

Die AfD probiert es immer, sich auf Proteste draufzusetzen. Wir dürfen den Rechten aber auf keinen Fall den sozialen Protest überlassen. Die wollen keine Lösungen für die sozialen Fragen. Sie benutzen diese nur für ihre Sündenbocktheorien und Ideologien. Das sieht man auch im Bundestag, wo sie gegen alle sozialen Verbesserungen sind. Deswegen ist es eine besondere Aufgabe linker Kräfte und auch der Gewerkschaften, den Rechten bei solchen Protesten keinen Spielraum zu überlassen.

Sind die Gelbwesten nicht eine Graswurzelbewegung wie das von Sahra Wagenknecht angestoßene Projekt Aufstehen, die mittlerweile 167 000 Unterstützer haben soll?

Das kann man nicht vergleichen. Die Gelbwesten sind ja keine Internetgründung, sondern haben vielerorts zum Protest aufgerufen und ihn dann massiv auf die Straße getragen. Manchmal genügt ja ein symbolischer Akt, wenn die Unzufriedenheit da ist. In Frankreich war die Erhöhung der Benzinsteuern der Auslöser. Dann hat sich das auf die Straße bewegt – während die Mobilisierung von Aufstehen auf der Straße ja kaum vorhanden ist.

Wagenknecht hofft aber auf eine ebensolche Mobilisierung im neuen Jahr?

Ich bin sehr dafür, mehr Protest auf die Straße zu bringen. Alle Kräfte, die einen Beitrag dazu leisten, sind willkommen. Den Protest gibt es ja auch schon – bei „Unteilbar“, im Hambacher Forst oder gegen den Pflegenotstand. Überall war die Linkspartei als Bündnispartner dabei. Wir bringen Akteure mit gleichen Interessen zusammen. Am ehesten sehe ich das gerade beim Widerstand gegen die Wohnungspolitik: Da kommt gerade eine breite Mieterbewegung in Gang. Wir machen dazu eine Kampagne, und ich bin überzeugt davon: Am Ende werden in Berlin mehr als 100 000 Menschen auf der Straße stehen.

Eine Regierung damit in Bedrängnis zu bringen ist in Deutschland unwahrscheinlich?

Warum nicht? Wenn es nicht bei einer Demonstrationen bleibt, sondern der Protest sich verstetigt und wellenförmig bewegt, dann ist diese nicht mehr besonders starke Bundesregierung durchaus unter Druck zu setzen.