Seit mehr als acht Jahren führt Bernd Riexinger die Linkspartei, viermal wurde er zum Vorsitzenden gewählt. Nun tritt Bernd Riexinger nicht wieder an. Im Interview erklärt er seine Gründe.
Berlin - Linksparteichef Bernd Riexinger will auf dem Parteitag im Oktober nicht wieder für den Parteivorsitz kandidieren. Für seine Partei ist das ein Einschnitt. Wir sprachen mit dem scheidenden Linken-Chef über die Bilanz seiner Amtszeit.
Herr, Riexinger, was hat den Ausschlag für Ihre Entscheidung gegeben, nicht ein weiteres Mal für den Parteivorsitz zu kandidieren?
Ich bin jetzt knapp achteinhalb Jahre Vorsitzender der Partei. Das umfasst deutlich mehr als die Hälfte der Zeit ihrer Existenz. In dieser Zeit konnten wir die Linke als stabile und wahrnehmbare gesamtdeutsche Partei aufbauen und etablieren. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt um den Weg für einen Generationswechsel frei zu machen.
Ein roter Faden Ihrer Amtszeit ist zweifellos das Ringen um die Einheit der Linken. Finden Sie, dass dieses Bemühen tatsächlich von Erfolg gekrönt gewesen ist?
In einer linkspluralistischen Partei kann es natürlich nie eine vollkommene Einheit geben. Aber die Linke hat es geschafft, ganz unterschiedliche Traditionslinien und Gruppen zu vereinen. Das halte ich für eine historische Leistung. Es bleibt einer Daueraufgabe für jede Parteiführung, das Gemeinsame in den Vordergrund zu stellen und Kontroversen so zu gestalten, dass in den Debatten die Partei vorankommt. Als Katja Kipping und ich 2012 gewählt wurden, hatten wir eine Partei übernommen, die in innerparteilichen Flügelkämpfen zerrieben war. Manche malten damals sogar die Gefahr einer Spaltung an die Wand. Wir konnten die Partei auf das Einende konzentrieren – mit dem Ergebnis, dass wir bei der nächsten Bundestagswahl als drittstärkste Kraft hervorgegangen sind. Aber nochmal: Richtungs- und Flügeldebatten wird und soll es in einer linkspluralistischen Partei immer geben.
Lesen Sie außerdem: Das sagte Riexinger zu Corona-Hilfen für den VfB
Die vielen Fraktionierungen der Linken sind den Bürgern gar nicht geläufig – bis auf eine: Die Gräben, die aufgrund Sarah Wagenknechts Thesen die Partei durchzogen, konnten niemandem verborgen bleiben. Würde die Partei heute besser dastehen, wenn es diese auch verletzenden Dispute nicht gegeben hätte?
Auf alle Fälle hat uns das geschadet. Wir hatten nach der vergangenen Bundestagswahl einen enormen Zulauf an jungen Mitgliedern. Die sind gekommen, weil sie über den Erfolg der AfD erschrocken waren und weil wir gerade in der Abgrenzung gegenüber den Rechten – und das hieß ja vor allem in der Flüchtlingsfrage – eine ganz eindeutige Haltung einnehmen. Dann haben wir genau an dieser Stelle widersprüchliche Signale ausgesendet. Das hatte natürlich mit den Thesen Sarah Wagenknechts zu tun. Das hat uns sicher nicht genützt. Aber wir haben das geklärt. Das war für die Partei ein wichtiger Prozess. In dieser zentralen gesellschaftlichen Frage gab es deutliche Mehrheiten auf den Parteitagen für unseren Kurs, der Flüchtlingen nicht die Tür zuschlägt. Das hat uns in den Umfragen stabilisiert und trägt dazu bei, dass wir auch bei den Mitgliedern wieder wachsen.
In Ihre Amtszeit fällt auch das Erstarken der AfD. Die Linke hält es für eine ihrer Aufgaben, Stimmen, die parlamentarisch nicht zu Wort kommen, zu vertreten. Ist deshalb das Anwachsen der Rechten auch ein Versagen der Linkspartei?
Nein, das allein auf unsere Schultern zu legen wäre eine Überforderung. Verantwortlich sind in erster Linie die politischen Parteien, die für soziale Unsicherheit und Abstiegsängste gesorgt haben. Geschichtlich ist es immer so gewesen, dass sich in Zeiten verstärkender Krisen auch die politische Landschaft polarisiert. Ich glaube, dass unser Kurs langfristig vollkommen richtig war und ist: Die Rechten haben die Geflüchteten ganz gezielt zu Sündenböcken gemacht. In einer solchen Situation muss die Linke klare Kante zeigen. Wir müssen die wirklichen Ursachen für soziale Probleme benennen. Das ist uns natürlich unterschiedlich gut gelungen.
Lesen Sie außerdem: „Wir brauchen Einfluss auf die Konzerne“ – Riexinger setzt sich für Systemwandel ein
Ist in den acht Jahren Ihrer Amtszeit die Wahrscheinlichkeit eines rot-rot-grünen Bündnisses nicht eher geringer geworden?
In zwölf von 16 Regierungsjahren Angela Merkels hätte es im Parlament eine rot-rot-grüne Mehrheit gegeben. Über lange Jahre hat vor allem die SPD geblockt. Das war ein schwerer Fehler. Jetzt befinden wir uns in einer geschichtlichen Umbruchphase, in der sich mehrere Krisen verschränken: die soziale, die wirtschaftliche und die Klimakrise. Es kann also kein Weiter-So geben. Deshalb glaube ich, dass die Linke für einen grundlegenden politischen Richtungswechsel und andere Mehrheiten nach der nächsten Bundestagswahl kämpfen muss. Dafür wollen wir selber stärker werden. Die Grünen müssen dabei klären, ob sie sich überhaupt noch als linke Partei verstehen. Winfried Kretschmann tritt ja offen für Schwarz-Grün ein.
Wie regierungsfähig sind die Linken denn heute, wenn man vor allem auf die abstrusen Ideen gerade der linken Außenpolitiker schaut?
Die Linke ist durchaus regierungsfähig. Aber niemand darf von uns verlangen, unsere Identität aufzugeben. Wir verfolgen einen klaren Friedens- und Abrüstungskurs. Es gibt eine rote Linie: Militäreinsätze der Bundeswehr im Ausland. Kein solcher Einsatz hat irgendwo Frieden oder Demokratie gebracht. Maßstab der Regierungsfähigkeit sind übrigens nicht irgendwelche Äußerungen Einzelner, sondern unser Bundestagswahlprogramm.
Inhaltlich steht die Linke wieder einmal vor einer grundsätzlichen Selbstbestimmung: Parlamentarisch gestaltende Kraft oder politische Stimme von außerparlamentarischen Bewegungen und Bündnissen. Was rät der scheidende Vorsitzende?
In diesen Gegensätzen wollen wir gar nicht denken. Die Frage des Regierens ist ja längst entschieden. Es geht nicht um das „Ob“, sondern um das „Wie“. Wir müssen klarmachen, was unsere inhaltlichen Anliegen sind. Als Regierungspartei im Wartezustand dürfen wir nie erscheinen. Es geht um die Durchsetzung unserer Inhalte. Deshalb müssen wir immer offensiv aufzeigen, wofür wir stehen, statt in Ablehnungen zu verharren. Für mich würde die Frage eines grundlegenden sozial-ökologischen Umbaus von Wirtschaft und Gesellschaft im Zentrum stehen. Wir müssen die Fragen der sozialen Gerechtigkeit und eines konsequenten Klimaschutzes zusammenführen. Aber die Linke ist auch dann wirkungsvoll, wenn sie in der Opposition ist. Da hilft uns natürlich eine gute Vernetzung zu außerparlamentarischen Bewegungen. Die Grünen haben als Opposition im aufmüpfigen Teil ihrer Geschichte mehr verändert als in ihren Regierungszeiten. Die Linke kann im Bündnis mit sozialen Bewegungen, Gewerkschaften und Sozialverbänden Druck auf Regierungen ausüben. Das gehört zusammen. Deshalb darf man da keine falschen Gegensätze aufbauen.
Sind Sie eigentlich auch etwas erleichtert, bald die Führungsfunktion los zu sein?
Ich habe den Parteivorsitz gerne ausgeübt und höre nicht deshalb auf, weil ich keine Lust mehr hätte. Ich wurde viermal mit klaren Mehrheiten gewählt. Aber Spitzenpositionen sind immer Ämter auf Zeit. Dass ich bald etwas mehr Spielräume habe, werde ich dennoch genießen. Aber ich bleibe ja Bundestagsabgeordneter. Für die Region Stuttgart gibt es da viel zu tun. Und ich werde mich immer mit großem Einsatz für eine starke Linke einsetzen.