Linken-Spitzenpolitikerin Sahra Wagenknecht Foto: dpa

Die Fraktionschefin der Linken – Sahra Wagenknecht – spricht über das schwierige Verhältnis zur SPD, über höhere Steuern für Reiche und was sie von Angela Merkel hält.

Berlin - Die Spitzenkandidatin der Linken für die kommende Bundestagswahl, Sahra Wagenknecht, hält das Reden über ein linkes Lager für eine Illusion. Dennoch signalisiert sie den Sozialdemokraten in einer wichtigen Frage Kompromissgbereitschaft: bei der Vermögenssteuer.

Frau Wagenknecht, wann sind Sie eigentlich das letzte Mal einen Kompromiss eingegangen?
Politik besteht doch immer aus Kompromissen. Damit habe ich kein Problem. Ich finde nur, dass man bei Kompromissen seine Grundsätze nicht aufgeben darf. In Deutschland gibt es genügen Parteien, die sich kaum noch voneinander unterscheiden. Es ist gut, dass mit der Linken wenigstens eine Opposition gegen Sozialabbau und Aufrüstung existiert.
So unerbittlich, wie Sie mitunter gezeichnet werden, sind Sie also gar nicht?
Dann wäre ich vermutlich nie Fraktionsvorsitzende geworden. Da muss man auch kompromissfähig sein. Auch die Doppelspitze mit Dietmar Bartsch würde nicht so gut funktionieren, wenn wir nicht beide immer das Gemeinsame suchen würden.
Sie betonen, dass die Linke in ihrer Schärfe alleine steht. Muss man dann nicht so konsequent sein zu sagen: Es gibt gar kein linkes Lager in Deutschland?
Das Reden von einem linken Lager halte ich gegenwärtig für eine Illusion. Wenn ich mir die Politik von SPD und Grünen in den letzten 20 Jahren ansehe, dann ist das das Gegenteil linker Politik. Linke Politik bedeutet die Verteidigung sozialer Rechte. Rot-Grün hat unter Kanzler Schröder massiven Sozialabbau durchgesetzt. Sie haben die gesellschaftliche Ungleichheit durch Steuergeschenke an Reiche und Konzerne vergrößert. Die SPD hat mit der Erhöhung der Mehrwertsteuer Mittel- und Geringverdiener belastet. In der großen Koalition trägt sie die Aufrüstung und die Beteiligung an Kriegen wie in Syrien mit. Das alles ist das Gegenteil linker Politik.

„Die Hoffnung, dass sich die SPD besinnt, sollte man nicht aufgeben“

Ist das Gerede um Rot-Rot-Grün also von Anfang an eine Luftblase gewesen?
Wir verlangen nicht, dass sich SPD und Grüne neu erfinden. Es genügt, wenn sie zu ihren Wurzeln zurückkehren. Wenn die SPD wieder eine sozialdemokratische Partei wäre, würden wir in vielen Dingen übereinstimmen. Und die Grünen waren mal Teil der Friedensbewegung. Wenn die Linke bei den Bundestagwahlen ein sehr starkes Ergebnis einfährt, besteht vielleicht die Chance, dass SPD und Grüne ihre Politik verändern.
Was heißt das? Nach einem linken Wahlsieg soll in der SPD das große Nachdenken einsetzen?
Die Hoffnung, dass sich die SPD besinnt, sollte man nicht aufgeben. Aber im aktuellen Wahlprogramm ist davon leider nichts zu sehen. Sie traut sich nicht mal mehr, eine Vermögenssteuer für Superreiche zu fordern. Die Rente mit 67 und die vielen Rentenkürzungen werden gar nicht mehr infrage gestellt.
Sie sind aber, falls rechnerisch möglich, für ernsthafte Verhandlungen über Rot-Rot-Grün?
Wenn wir mit der SPD gemeinsam für mehr soziale Sicherheit, Abrüstung und eine friedensorientierte Außenpolitik sorgen könnten, dann wollen wir selbstverständlich regieren. Aber wir werden in keine Regierung gehen, die praktisch die bisherige Politik fortsetzt.

„Natürlich würden wir Kompromisse eingehen“

Aber sie könnten aus Ihrer Sicht Schlimmeres verhindern. Ist das nichts?
Natürlich würden wir Kompromisse eingehen. Ein Beispiel ist die Vermögenssteuer: Wir wollen damit große Vermögen über einer Million Euro belasten. Ich weiß aber, dass in vielen Ballungsräumen allein die Immobilienwerte so hoch sind, dass man diese Grenze schnell überschreitet. Und dass Selbstständige für ihr Alter vorsorgen müssen. Wenn man sich auf eine Vermögenssteuer einigen könnte, die höhere Freibeträge ermöglicht, wäre das immer noch ein Fortschritt. Denn es geht ja letztlich um Riesenvermögen von vielen Millionen oder gar Milliarden, die bisher viel zu viel Einfluss auf die Politik haben. Die wollen wir belasten, nicht die Mittelschicht.
Und das soll kein wirtschaftliches Abwanderungsprogramm sein?
Wir könnten es ja machen wie die USA und die Steuerpflicht mit der Staatsbürgerschaft verbinden. Zusätzlich müssen wir dringend etwas gegen die Steuerflucht großer Konzerne tun. Niemand kann mir erzählen, dass Apple auf den deutschen Markt verzichten würde, wenn sie hier ihre Gewinne versteuern müssten. Dazu ist es ein viel zu attraktiver Markt.

„Die Linke will wirtschaftliche Macht verhindern“

Ist die Linke eigentlich eine Partei der sozialen Marktwirtschaft oder eine anti-kapitalistische Partei?
Die Linke will wirtschaftliche Macht verhindern, will funktionierende Märkte und fairen Wettbewerb. Gerade deshalb lehnen wir den Raubtierkapitalismus ab, der all das untergräbt. Immer mehr Märkte werden von wenigen Konzernen dominiert, die Zulieferer unter Druck setzen und beim Kundenservice sparen. Jede Möglichkeit, Löhne und Steuern zu sparen, wird von ihnen ausgenutzt.
Die Ehe für alle war doch ein kleiner rot-rot-grüner Moment. Steckt da Signalkraft drin?
Das neue Gesetz war überfällig. Aber es ist schon traurig, dass die SPD diese Mehrheit, die es seit vier Jahren im Bundestag gibt, nicht auch für wichtige soziale Verbesserungen genutzt hat. Etwa um befristete Arbeitsverträge zurückzudrängen oder die Zusatzbeiträge abzuschaffen. Wir hatten das mehrfach beantragt, die SPD hat immer dagegen gestimmt.
Umgekehrt ließe sich aus SPD-Sicht sagen: Die SPD verlangt von der Linken nicht mehr, als sich zu EU und Nato zu bekennen.
Wir wollen ein Europa der guten Nachbarschaft und ein Verteidigungsbündnis unter Einschluss Russlands. Die SPD hat als Regierungspartei zugelassen, dass wir den europäischen Nachbarn Sozialabbau vorschreiben und dass aus der NATO ein Kriegsführungsbündnis wurde, das auf Aufrüstung und Konfrontation setzt.
Sind aus ihrer Sicht Reformen innerhalb der EU möglich oder schwebt ihnen ein ganz anderes politisches Modell vor?
Wir wollen, dass die europäischen Länder besser zusammenarbeiten. Dazu sind die aktuellen Verträge keine gute Grundlage. Es ist beispielsweise vertragswidrig, wenn ein Land zu viele Schulden macht. Das ist auch in Ordnung. Es ist aber nicht vertragswidrig, wenn es ein Land zum Geschäftsmodell erhebt, großen Konzernen Steuersparmodelle anzubieten, die alle anderen Länder Milliarden kosten und deren Verschuldung nach oben treiben.

„Die EU-Kommission regiert immer unverschämter“

Nochmal: Ist das eine Kritik gegen eine konkrete Politik der EU oder gegen die Institution an sich?
Unsere Kritik richtet sich gegen die aktuellen EU-Verträge, die einen sehr starken Druck in Richtung Privatisierung, Sozialabbau und Deregulierung am Arbeitsmarkt ausüben. Die EU-Kommission regiert immer unverschämter in die einzelnen Länder hinein. Sie mischt sich ein in die Finanz- und Haushaltspolitik, in die Arbeitsmarktpolitik. Das ist mit Demokratie unvereinbar. Die einzelnen Länder müssen die Hoheit haben, über ihre Politik selbst zu entscheiden. Gemeinsam sollte nur entschieden werden, was in den einzelnen Ländern nicht geregelt werden kann. Die Steuerpolitik ist ein gutes Beispiel. Eine Strategie zur gemeinsamen Besteuerung großer Konzerne wäre wichtig. Das passiert aber nicht.
Wie müsste eine Außenpolitik aussehen, die die Linke mittragen könnte?
Sie sollte auf Entspannung und zivile Konfliktlösung setzen. Dazu brauchen wir auch ein gutes Verhältnis zu Russland. Das heutige Russland ist wie die USA ein Oligarchen-Kapitalismus. Das hat nichts mit meinen Idealen zu tun. Aber es geht um etwas anderes: Frieden und Sicherheit in Europa gibt es nur mit Russland. Vor 27 Jahren sind die russischen Soldaten freiwillig aus Deutschland und Osteuropa abgezogen. Dazu hätte sie keine Macht der Welt zwingen können. Darauf zu antworten, indem man die Nato bis an die russische Grenze erweitert, Manöver dicht an der Grenze abhält, deutsche Soldaten in Osteuropa stationiert, war ein großer Fehler.
Mit Verlaub, der Auslöser der Probleme mit Putin war ein Akt russischen Imperialismus in der Ukraine.
Zum ganzen Bild gehört, dass in der Ukraine mit massiver US-Unterstützung eine Regierung an die Macht gebracht wurde, die in die Nato drängte, was den Stützpunkt der russischen Schwarzmeer-Flotte auf der Krim infrage stellte. Ganz klar: Grenzverschiebungen sind inakzeptabel, wenn sie gegen den Willen eines Landes stattfinden. Aber auch die Nato-Osterweiterung war ein Akt imperialer Politik, sie hat die US-Hegemonie in Europa befestigt. Die Frage ist: Musste man die Ukraine zwingen, sich zwischen dem Westen und Russland zu entscheiden?

„Angela Merkel ist sehr wendig“

Zum Schluss: Was halten Sie eigentlich von Frau Merkel?
Sie wird gern als Anker der Stabilität und Sicherheit in einer unruhigen Welt dargestellt. Aber ihre Regierung hat das Leben der Menschen in Deutschland nicht sicherer gemacht. Im Gegenteil. In den letzten 12 Jahren ist die Zahl prekärer Jobs weiter gewachsen, ebenso die Abstiegsängste, die Angst vor Altersarmut. Die deutschen Kriegsbeteiligungen haben auch unser Land zur Zielscheibe islamistischen Terrors gemacht. Und Merkels Alleingänge haben zu einer Erosion des europäischen Zusammenhalts geführt.
Was schätzen Sie denn an Angela Merkel?
Sie ist sehr wendig. Sie kann Stimmungen aufnehmen und reagieren. Ich glaube auch nicht, dass sie nach ihrem Ausscheiden aus der aktiven Politik das dicke Geld in der Wirtschaft machen wird wie wir das von ihrem Vorgänger und vielen Ministern kennen. In dem Sinne ist sie nicht käuflich. Ihre Politik ist dennoch im Interesse der Konzernlobbys.
Martin Schulz hat ihren Regierungsstil als „Anschlag auf die Demokratie“ bezeichnet. Sehen Sie das auch so?
Das war ein Eigentor. Merkel ist wie sie ist. Es wäre Aufgabe der SPD, ein Gegenprogramm aufzustellen. Genau das macht sie nicht. Das erzeugt ein Ohnmachtsgefühl bei den Menschen. Viele denken: Bei diesem unterschiedslosen Einerlei ändert sich nie was. Tatsächlich kann nur ein überraschend starkes Ergebnis der Linken die Wahl noch spannend machen.