Die scheidende Vorsitzende der Liga der freien Wohlfahrtspflege Eva-Maria Armbruster. Foto: Diakonie

Eva-Maria Armbruster, scheidende Vorsitzende der Liga der freien Wohlfahrtspflege in Baden-Württemberg, zieht Bilanz: Was waren die größten Aufgaben der Liga? Wie lässt sich der Bedarf an Pflegekräften und Sozialarbeitern decken und was haben Flüchtlinge damit zu tun?

Stuttgart -

Frau Armbruster, in Ihrer Amtszeit kam zu den klassischen Aufgaben der Wohlfahrtsverbände die Betreuung von Flüchtlingen. Was waren neben der Unterbringung die größten Aufgaben für die Liga?
Es gab eine lange Diskussion, ob junge unbegleitete Flüchtlinge in das klassische Jugendhilfe-System integriert oder ob für sie ein besonderes System, mit anderen Standards und Betreuungsformen sowie Schwerpunktzentren in Deutschland, geschaffen werden sollte. Letzteres ist zum Glück nicht passiert. Wir haben alle Jugendhilfeangebote geöffnet für Flüchtlinge, wir haben Notaufnahmen geschaffen und die Jugendlichen schnell in Wohngruppen integriert. Wenn diese jungen Menschen länger bleiben, ist es wichtig, an die Integration zu denken. Ein Sondersystem würde dem widersprechen. Aber wir müssen weitere Probleme lösen.
Welche denn?
Wir sind nicht erfreut darüber, dass der Bundesrat beschlossen hat, dass mit dem 18. Lebensjahr die Zuständigkeit der Jugendhilfe enden soll. Einige brauchen länger Unterstützung, um Wohnung und Arbeit zu finden oder zu behalten, oder auch mehr Zeit für soziales Lernen und die Integration in die Gesellschaft. Das gilt vor allem für diejenigen, die erst kurze Zeit durch die Jugendhilfe begleitet werden. Da werden frühe Erfolge wieder zunichte gemacht, weil man die jungen Menschen sich selbst überlässt. Für alle, egal ob geflüchtet oder schon lange hier, müsste die Zuständigkeit der Jugendhilfe bis 27 Jahren genutzt werden.
Neben den jungen Flüchtlingen gibt es auch viele andere Kinder und Jugendliche, die in der Familie nicht die nötige Unterstützung erhalten. Kommen diese wegen der neuen Aufgaben zu kurz?
Nein, wir versuchen, allen gerecht zu werden. Wir haben viele zusätzliche Plätze geschaffen. Bei allen, die in eine Krise geraten oder traumatisiert sind, hilft es, wenn wir uns für eine begrenzte Zeit intensiv um sie kümmern. Das erleichtert ihnen den Schritt in die Normalität, und es fällt ihnen leichter, sich in Kindergarten oder Schule einzugliedern.
Haben Sie denn genügend Sozialarbeiter?
In den vergangenen Monaten konnten wir viele jungen Sozialarbeiter gewinnen, die wir für die Arbeit in den Erstaufnahmeeinrichtungen und Notaufnahmen qualifiziert haben. Wir haben einen guten Stamm von Migrationsberatern, und diese haben wir zur Begleitung der jungen Kollegen eingesetzt. Auch viele Heimerzieher interessierten sich dafür, sich weiterzubilden. Sie alle könnten jetzt gut bei der Integration in den Kommunen helfen. Es gibt also keine Gründe, dort die Standards zu senken.
Finden Sie für diese Berufe noch genügend Nachwuchs?
Wir brauchen eine deutliche Initiative für die Sozialarbeit - vor allem weitere Studienplätze. Die Zahl der Interessenten ist viermal so groß wie die der Plätze. Neben der Integration gibt es viele weiteren Aufgaben, etwa die Inklusion von Menschen mit Behinderungen, die Koordination des sozialen Miteinanders in den Quartieren oder die Sozialplanung. Unsere Branche – von Kindergarten und Jugendhilfe, Gesundheitsdiensten, Altenpflege und anderen - übertrifft mit 380 000 Beschäftigten in Baden-Württemberg die Automobilindustrie
Land und Kommunen verhandeln derzeit, wie sie die Integration in den Kommunen finanzieren wollen. Was erwarten Sie?
Wir würden gern an den Gesprächen beteiligt. Die Haupt- und Ehrenamtlichen von Rotem Kreuz und Arbeiterwohlfahrt, Kirchengemeinden und andere Initiativen kommen aus der Zivilgesellschaft und sind dort vernetzt und verankert. Deshalb halten wir wenig davon, wenn alles Geld erst an die Kommunen geht und diese dann entscheiden, was sie selbst machen und was die freien Wohlfahrtsverbände tun sollen. Sinnvoll wäre ein Fördersystem für motivierte und kompetente Anbieter, die sich sofort mit den anderen Gruppen vor Ort vernetzen und einen lokalen Pakt für Integration schließen. So würden die Ressourcen optimal genutzt.
Die Wirtschaft hofft, dass Flüchtlinge den drohenden Fachkräftemangel entschärfen. Auch die Wohlfahrtsverbände haben Interesse, etwa an Pflegekräften. Was tun Sie da?
Wir haben in vielen Altenpflegeeinrichtungen Schüler, die als Flüchtlinge gekommen sind. Schon seit vielen Jahren bilden wir auch Pflegekräfte aus anderen Ländern aus - denn der Bedarf steigt. Wir brauchen noch mehr Ausbildungs- und Schulplätze. Ausländischen Auszubildenden bieten wir auch Sprachkurse an. Denn Pflege ist ein anspruchsvoller Fachberuf - die Verständigung mit alten Menschen, aber auch mit Ärzten und anderen ist wichtig.
Klappt das?
Wir haben Mitarbeiter aus aller Welt, kultursensible Pflege spielt in den Teams eine zunehmend wichtige Rolle. Und alte Menschen sind sehr offen. Ihnen kommt es vor allem auf freundliche, kompetente und verlässliche Unterstützung an. Um den Beruf attraktiv zu machen, müssen aber auch Bezahlung und Rahmenbedingungen verbessert werden. Die meisten Pflegekräfte kommen mit der Motivation, ältere Menschen gut zu versorgen. Wenn sie dafür keine Zeit haben, scheiden sie schnell wieder aus.
Rechnen Sie damit, dass dieses Dauerthema bald abgeschlossen wird?
Ich glaube, die Kassen haben inzwischen erkannt, dass eine fachlich gute Pflege Kosten spart. Die stationäre Pflege wird immer kürzer – doch am Lebensende braucht es intensivere Pflege. Ambulante Angebote sind auch nicht automatisch billiger. Hilfreich ist eine gute Koordination, damit die Betroffenen gut versorgt sind und nicht alle möglichen Angebote beantragen. Gegen höhere Pflegesätze sind aber nicht nur die Kassen, sondern auch die kommunalen Träger. Denn sie müssen die Kosten übernehmen, wenn ältere Menschen diese nicht selbst bezahlen können. Deshalb muss die Pflegeversicherung mehr übernehmen.
Die Landesregierung erwartet von der Digitalisierung auch Verbesserungen etwa in der Pflege. Sehen Sie diese auch?
Einiges gib es ja schon. Eine gute Computerdokumentation erleichtert Pflegekräften und Ärzten die Arbeit. Klingelsensoren und andere Kontrollsysteme etwa für Menschen mit Demenz können diesen Freiraum in einem beschützten Umfeld geben. Aber das hat auch mit Überwachung zu tun - deshalb muss man sensibel damit umgehen. Skeptisch bin ich, was die viel gerühmten Pflegeroboter aus Japan betrifft. Ich glaube, wir haben einen andere Kultur. Und es kommt nicht nur darauf an, satt und sauber gepflegt zu sein, wichtig ist auch die persönliche Begleitung. Menschen haben das Bedürfnis nach Gesprächen. Unsere Pflegekräfte sind zu einem gewissen Teil auch Berater und Seelsorger. Wenn wir darauf verzichten, würden wir als Gesellschaft arm dastehen.