Der Apotheker Christoph Gulde in der Solitude-Apotheke in Weilimdorf. Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Die Menge, die Länge und auch die Auswirkungen der Lieferengpässe bei Medikamenten ist deutlich dramatischer geworden. Derzeit fehlen über 300 Arzneimittel. Das stellt auch die Apotheken in Stuttgart vor Probleme.

Schon seit längerer Zeit muss Christoph Gulde Mangelverwaltung betreiben. Gezwungenermaßen. Denn Gulde ist Inhaber der Solitude-Apotheke in Weilimdorf – und als solcher kennt er Lieferengpässe. Allerdings seien die Menge, die Länge und auch die Auswirkungen dieser Engpässe deutlich dramatischer geworden: Die Liste der fehlenden Medikamente ist mittlerweile auf mehr als 300 Arzneimittel angewachsen, im Juli lag sie noch bei knapp über 200.

Darunter sind nach wie vor Standardmedikamente wie Fiebersäfte für Kinder, etwa Paracetamolsaft. Gru nd für die Knappheit sei, dass die Anzahl der Hersteller für flüssige Paracetamol-Zubereitungen in den vergangenen Jahren stark abgenommen habe. Laut Gulde gibt es diese Marktverengung, weil der Festbetrag pro Paracetamol-Saft, also der maximale Betrag, den die gesetzlichen Krankenkassen für dieses Arzneimittel bezahlen, so niedrig sei. Obwohl die Preise für Energie, Logistik und Wirkstoffe ansteigen, habe sich der Betrag, den die Hersteller von den Krankenkassen erhalten, seit einem Jahrzehnt nicht verändert.

Dabei habe sich nicht nur der Preis für das Paracetamol deutlich erhöht, sondern etwa auch der Preis für die Glasflasche, in der der Saft geliefert würde – vor allem wegen der hohen Energiekosten. „Bei den Festpreisen muss dringend nachgesteuert werden, sonst besteht generell die Gefahr, dass Zulassungsinhaber darauf verzichten, ein Medikament herzustellen“, sagt Gulde, der auch Vorsitzender der Region Stuttgart beim Landesapothekenverband ist.

Fehlende Verpackungsmaterialien führen zu Lieferschwierigkeiten

Nicht nur teure, sondern fehlende Verpackungsmaterialien führen derzeit teils zu Lieferschwierigkeiten bei einzelnen Produkten. So etwa beim Hustenlöser ACC akut. Insbesondere die Folien für das Präparat seien schwer erhältlich. Der Mangel an Verpackungsmaterial ist wohl auch einer der Gründe, weshalb Fiebersäfte in dieser Saison nur schwer erhältlich sind: Auch Kartonmaterial ist für die Hersteller mitunter nicht ausreichend zu bekommen.

Auf der Liste der fehlenden Medikamente stehen zudem weitere Erkältungsmittel wie Ibuprofen 400, Prospan Hustensaft, Tantum Verde oder Aspirin Plus C, aber auch Buscopan, ein Medikament, das krampflösend wirkt und etwa bei Regelschmerzen eingesetzt wird, der Blutdrucksenker Amlodipin, Rosuvastatin gegen zu hohe Blutfettwerte und Cotrim bei Blasenentzündung. Auch Antibiotika wie etwa Amoxicillin oder Azithromycin sind betroffen: Da fehle es komplett durch das ganze Programm, sagt Gulde. Um seine Kunden trotzdem so gut wie möglich zu versorgen, sei eine Mitarbeiterin täglich ein bis zwei Stunden damit beschäftigt, doch noch irgendwo Restmengen von nicht lieferbaren Medikamente aufzutun. „Zudem arbeiten wir inzwischen mit zwei oder drei anderen Apotheken zusammen, wir fragen im Notfall gegenseitig beieinander an, ob einer von uns ein bestimmtes Medikament noch im Bestand hat“, so Gulde. Das machten viele Apotheken so. Oft könne man auch auf ein anderes Medikament innerhalb der Wirkstoffgruppe ausweichen, immer gehe das aber nicht. Besonders davon betroffen seien etwa Frauen, die Tamoxifen zur Behandlung von Brustkrebs nehmen müssten. Auch das ist seit Monaten nicht lieferbar, da viele Hersteller aus der Produktion ausgestiegen seien. Laut Gulde „ist der Preis nicht angemessen für die komplizierte Herstellung“. In der Folge müssten die Patientinnen auf eine komplett andere Therapie umgestellt werden.

Mehrere Apotheken helfen sich gegenseitig aus

Allen seinen Kunden kann er also nicht helfen. „Letztens wollte ein Vater einen Impfstoff für sein Kind, der allerdings derzeit auch nicht lieferbar ist. Er fragte dann: ‚Wann ist er wieder da – geht das bis in zwei Wochen?‘“, erinnert sich Christoph Gulde. Er musste den Mann enttäuschen: „Bis man eine Charge Impfstoff hergestellt hat, dauert es sechs Monate.“