Die Lage in den Apotheken ist derzeit extrem angespannt. Die Nachfrage an Fiebersäften kann nicht mehr bedient werden. Foto: Imago/Rolf Poss

Vor allem Fiebersaft und fiebersenkende Arzneien für Kinder und Jugendliche sind derzeit knapp. Ein Grund sind Lieferengpässe aus China und Indien. In Deutschland gibt es kaum noch Hersteller. Der Grund: Der Preisdruck hat sie aus dem Markt getrieben.

Die Lage ist durchaus ernst – oder in den Worten von Frank Eickmann, dem Sprecher des Landes-Apothekenverbands Baden-Württemberg: „überall gleich schlecht“. In vielen Gegenden Deutschlands ist es derzeit äußerst schwierig, Fiebersäfte für Kinder zu bekommen. „Es kann passieren, dass Kunden nicht bedient werden können“, sagt Eickmann. Angesichts der hohen Zahl von Erkältungskrankheiten, die gerade kursieren, sind sehr viele Familien unmittelbar betroffen. Eickmann spricht von einer „absolut grenzwertigen Situation“. Die Engpässen entstehen vor allem bei Fiebersäften und Zäpfchen mit den Wirkstoffen Paracetamol und Ibuprofen.

Nachfrage sprengt alle üblichen Grenzen

Die Apotheker tun, was sie können. Christian Splett, stellvertretender Sprecher der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, schildert, was sich dort gerade tut: „Mehrere Großhändler werden angefragt, benachbarte Apotheken kontaktiert, andere Packungsgrößen, Wirkstärken oder Darreichungsformen in Betracht gezogen.“ Bei den Fiebersäften könne die Apotheke mit den Eltern klären, ob zumindest für ältere Kinder statt des Safts auch Tabletten geschluckt werden können. Manche Apotheken fertigen im Notfall auch Rezepturen selbst an.

Dass sich die Lage bei den Fiebersäften so zuspitzt, hat viele Gründe. Einer ist die derzeit absolut außergewöhnliche Häufung von Atemwegserkrankungen. Die Nachfrage sprengt bei Weitem die üblichen Grenzen und liegt inzwischen ungefähr beim Achtfachen des sonst saisonal Üblichen. Es ist nämlich durchaus nicht so, dass gar nicht geliefert würde. Vorhandene Bestände entsprechen etwa der Größenordnung aus Vor-Pandemie-Zeiten.

Hohe Nachfrage trifft auf Markt mit wenigen Anbietern

Das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat die Lage genau im Auge. In einer aktuellen Stellungnahme heißt es: „Dem BfArM vorliegende Daten lassen keinen Rückschluss auf einen bundesweiten Lieferabriss erkennen. Dennoch führt eine festgestellte erhöhte Atemwegsinfektionsrate zu einem Mehrbedarf der betroffenen Arzneimittel, dem derzeit nicht im vollen Umfang nachgekommen werden kann.“ Das Bundesamt weist darauf hin, dass neben der allgemeinen Knappheit auch „von einer Verteilproblematik auszugehen“ sei. Der Hintergrund: Als im Sommer ein Hersteller mitteilte, dass es im Winter mit der Belieferung Schwierigkeiten geben dürfte, haben manche Apotheken sich mit Vorräten eingedeckt, was den Markt zusätzlich verknappt hat und zu den regionalen Verwerfungen führt.

Was die Lage so angespannt werden lässt, ist das Aufeinandertreffen einer ungewöhnlich hohen Nachfrage und einem Markt mit äußerst wenig Anbietern. Seit dem Sommer gibt es in Deutschland überhaupt nur noch eine einzige Firma, die Paracetamol-Fiebersaft herstellt. Die Ulmer Firma Teva mit ihrer Arzneimarke Ratiopharm hält einen Marktanteil von über 90 Prozent. Bei Fiebersaft mit dem Wirkstoff Ibuprofen sieht es ähnlich aus. Da versorgt der Pharmakonzern Zentiva rund 70 Prozent des Markts. Die riesige Nachfragesteigerung können die Hersteller nicht allein auffangen.

Lauterbach: „Wir haben die Ökonomie zu weit getrieben“

Dass es so wenig Hersteller gibt, liegt daran, dass mit Generika, also nicht patentgeschützten Medikamenten, nicht mehr viel zu verdienen ist. Der Preisdruck drängt Hersteller entweder ganz aus dem Markt oder führt zu einer Verlagerung der Produktion nach Asien, was zu zusätzlichen Anfälligkeiten aufgrund der langen Logistikkette führt. Verschärfend wirkt mitunter der Effekt, dass Krankenkassen über ihre Rabattverträge exklusive Verbindungen mit jeweils einem oder zwei Herstellern eingehen. Wenn dann Lieferungen ausfallen, ist der Markt leer. Zudem sind die Kassen im Prinzip gehalten, stets den billigsten Anbieter bei ihren Ausschreibungen zu bevorzugen. Da diese strukturellen Gründe sich nicht nur bei Fiebersäften niederschlagen, erstaunt es nicht, dass die offizielle Liste gemeldeter Lieferengpässe des BfArM derzeit über 300 Positionen aufweist.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach will das nun ändern. Wie in Sachen Krankenhausfinanzierung habe man es auch bei der Versorgung mit Arzneimitteln „mit der Ökonomie zu weit getrieben“, sagt er. Das führe dazu, „dass der billigste Anbieter bevorzugt werden muss, selbst wenn ein Engpass dadurch absehbar ist“. Er hat nun angekündigt, schon in der nächsten Woche einen Gesetzentwurf vorzulegen, der das Problem angeht. Es wird damit gerechnet, dass die Vorgaben zu den Rabattverträgen so verändert werden, dass die Liefersicherheit ein wichtigeres Kriterium für die Vergabe wird. Daneben arbeitet Lauterbach mit Wirtschaftsminister Habeck an einem Reformvorschlag für das europäische Ausschreibungs- und Vergaberecht. Hier sollen Wirkstoffe aus unterschiedlichen Regionen gleichwertig berücksichtigt werden, um die Abhängigkeit von Asien zu reduzieren. Für den aktuellen Fall der Fiebersäfte können die Maßnahmen nicht rechtzeitig kommen.