An vielen Brücken wie hier in Köln findet sich kaum noch ein Platz für ein Liebesschloss - alles voll. Foto: dpa

Unser Autor geht dem Ritual von Liebesschlössern auf den Grund, das auf einer Brücke in Rom begann und inzwischen weltweit praktiziert wird.

„Total romantisch“, findet Katrin den Liebesschloss-Kult. Die 19 Jahre alte Studentin aus Aachen hat mit ihrem Freund Kevin ein Vorhängeschloss aus Messing in einem Baumarkt gekauft und mit einem roten wasserfesten Stift beschriftet: „K&K4ever“ (Katrin und Kevin für immer). Sie wollen es an der Kölner Hohenzollernbrücke befestigen. Geschätzte 40 000 Stück hängen bereits am Geländer der Eisenbahnbrücke über den Rhein - nicht weit vom berühmten Dom. Eine freie Stelle zu finden ist nicht leicht. Das Gitter zwischen dem Fußweg und den Bahngleisen ist kaum noch zu erkennen. Es gleicht vielmehr einem kunterbunten Relief.

„Du und ich für immer“ oder „Dreimal um die Sonne und fünfmal um den Mond“ - solche Sprüche zieren besonders ausgefallene Modelle. Die meisten Schlösser sind jedoch schlicht und einfach mit Vornamen oder Initialen und einem Datum geschmückt - einige selbst geritzt, andere professionell graviert. An der Rampe Richtung Dom und Innenstadt stehen Händler, die Messingschlösser inklusive Beschriftung zum Stückpreis von drei Euro anbieten. Katrin und Kevin müssen fast bis ans Deutzer Ufer laufen, um endlich einen Platz für ihr Zeichen der ewigen Liebe zu finden. Sie klemmen das Schloss neben das von „Spatzi & Schatzi“. Es macht „klick“, Katrin wirft den Schlüssel in hohem Bogen über die Schulter in den Rhein und sagt: „Niemand wird es je wieder öffnen können!“ Dann küsst sie ihren Freund auf den Mund. Für das Stadtmarketing war es ein Glück, dass die Bahn als Brückenbesitzerin nur kurz murrte und die Pärchen dann gewähren ließ. Manche kommen zwei- oder dreimal zurück, um zu schauen, ob ihr Schloss noch da ist - und machen nicht selten ein Liebeswochenende daraus.

Bolzenschneider löst Proteststurm aus

Die Hohenzollernbrücke ist eine neue Touristenattraktion geworden. Die Stadtverwaltung Lübeck zeigte dagegen anfangs wenig Herz für die eisernen Treueschwüre und schickte zu ersten Liebesschlössern an der Obertravebrücke Arbeiter mit Bolzenschneidern. Das löste einen Proteststurm aus. Inzwischen sind die Schlösser auf der „Lübecker Liebesbrücke“ ausdrücklich erwünscht. Zur Weihnachtszeit ordnete man gar per Schild unter einem Mistelzweig am Brückenzugang an: „Hier küssen!“ Anders in Rom. Hier lässt die Stadtverwaltung sämtliche „lucchetti dell’amore“ entfernen, seit auf der Milvischen Brücke eine Laterne unter der Last der Liebesschlösser umgeknickt war.

Dabei soll der weltweite Trend auf eben dieser Tiberbrücke seinen Ausgangspunkt haben. In Federico Moccias Jugendroman „Ho voglia di te“ (Ich steh auf dich) aus dem Jahr 2006 und einem dazugehörenden Video befestigen zwei junge Verliebte ein Vorhängeschloss an einer Laterne und schleudern den Schlüssel in den Tiber mit dem Ausruf „Per sempre!“ (Für immer!). Unzählige Liebespaare machten es nach - bis die Behörden einschritten. Wer heute in Venedig ein Liebesschloss befestigt, riskiert eine Strafe von 3000 Euro. In der Zeitung „La Repubblica“ wurde sogar eine einjährige Gefängnisstrafe für die Liebestäter gefordert. Dagmar Hänel und Mirko Uhlig vom Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte in Bonn haben Geschichte und Bedeutung des Rituals entschlüsselt. Vor allem junge Menschen wollen an „Orten des Übergangs“ den Wunsch nach Beständigkeit ihrer Beziehung demonstrieren, sind die beiden überzeugt.

„Du bist beslozzen / in minem herzen, / verlorn ist das sluzzelin“ (Du bist eingeschlossen / in meinem Herzen, / verloren ist das Schlüsselchen) heißt es schon in einem Minnelied aus dem 12. Jahrhundert. Schloss und Schlüssel seien Symbol „des ineinander und zueinander Passens“, resümieren Hänel und Uhlig und attestieren dabei dem Ritual eine durchaus erotische Komponente. Unstrittig sind Vorhängeschlösser als Zeichen der Liebe aber nicht. „Liebe hat nichts mit Eigentum und Besitz zu tun“, kritisiert die in Paris geborene Autorin Agnès Catherine Poirier. In einem Beitrag für die „New York Times“ kritisiert sie die ausufernden Züge des Kults in ihrer Heimatstadt: „Die Idee, man könne die Liebe zweier Menschen ein für alle Mal verschließen und den Schlüssel wegwerfen, ist pure Fantasie.“ Geschätzte 700 000 Liebesschlösser hängen an den Brücken von Paris. Auch für die Amerikanerinnen Lisa Anselmo und Lisa Taylor Huff, die in der Metropole an der Seine leben, sind diese „Massen von Metallklumpen“ eine Plage.

„Das ist keine Liebe. Das ist Vandalismus.“

Anfang des Jahres gründeten die beiden Frauen die Initiative „No Love Locks“. Das Motto: „Befreit eure Liebe. Rettet unsere Brücken“. Ihre Petition für ein Verbot der Liebesschlösser fand im Internet bislang knapp 8000 Unterstützer, Drei Viertel davon aus Frankreich. Die Schlösser verschandelten die schönsten Stadtansichten, Gewicht und Rost seien schädlich für die historischen Brücken, und Tausende weggeworfene Schlüssel vergifteten den Fluss, sind die beiden Frauen überzeugt. „Das ist keine Liebe. Das ist Vandalismus“, sagt Lisa Taylor Huff. Lisa Anselmo empfiehlt den Romantikern, auf andere Weise ihre Zuneigung auszudrücken: „Küsst euch doch lieber oben auf dem Eiffelturm!“ Dass am Pfingstsonntag ein 2,40 m langes Geländerstück der Pont des Arts unter der Last der Schlösser einstürzte, erhitzt die Gemüter zusätzlich.

Um die Brückengeländer zu entlasten, stellten die Stadtväter in Moskau eine Alternative auf, sogenannte Bäume der Liebe. Auch in Seoul, der Hauptstadt Südkoreas, stehen künstliche Bäume, an die Verliebte die metallischen Zeichen ihrer Verbundenheit hängen können. Ob ein Liebesschwur mit Schloss und Riegel allerdings länger hält, ist ohnehin nicht bewiesen. Zumal das mit der Ewigkeit nicht einmal allen Liebenden selbst geheuer zu sein scheint. In Köln, berichtet ein Freund des Autors, habe er schon Männer beobachtet, die den Ersatzschlüssel in der Hosentasche verschwinden ließen, während die Partnerin den vermeintlich einzigen Schlüssel in den Fluten versenkte. Und auf der Südbrücke in Mainz sind die Gittermaschen an einigen Stellen aufgeschnitten. Mehr als 1000 Vorhängeschlösser hängen hier an dem Zaun, der den kombinierten Rad- und Fußweg von den Gleisen trennt. „Ewig dein, ewig mein“, schreiben Susanne und Uwe. Auch Familien und Singles bezeugen ihre Liebe. Einer schreibt „Bin mir treu geblieben“. Toi, toi, toi!