Die polnische Künstlerin Karolina Halatek ist Stipendiatin an der Akademie Schloss Solitude.In Gerlingen können die Besucher durch einen Lichttunnel gehen. Foto: factum/Granville

Die polnische Künstlerin Karolina Halatek installiert im Rahmen des Lichtkunstfestivals einen Lichttunnel auf dem Rathausplatz. Ihr Wunsch: den Besucher vollkommen in das Erlebnis hineinzuziehen.

Gerlingen - Kunst kann vieles sein – für Karolina Halatek ist es ein Weg, sich den existenziellen Fragen unseres Daseins zu widmen. Dem Besucher will sie nichts vorschreiben, sondern ihn zum Nachdenken anregen.

Frau Halatek, Sie sind Lichtkünstlerin. Das ist nicht sehr verbreitet, oder?
Nein, nicht wirklich. Licht ist ein Weg, Dinge simpel auszudrücken. Als Künstler spiegelt man die Welt auf eine Weise wider, die einem angemessen erscheint. Für mich ist das meistens Licht.
Was genau machen Sie auf dem Gerlinger Rathausplatz?
Ich mache etwas Verrücktes: Es wird eine großflächige Installation, ein Lichttunnel, durch den die Menschen durchlaufen können. Es gibt keinen Anfang und kein Ende. Mir ist wichtig, dass die Leute ein Teil meiner Arbeit werden, dass es für sie nicht nur etwas ist, das man sieht und wieder vergisst. Inspiriert haben mich Nahtoderfahrungen. Wenn Leute ihren Körper verlassen, weil sie klinisch tot sind, sehen sie einen Tunnel und etwas sehr Helles, Fantastisches und Schönes. Das wollte ich einfließen lassen: dass man in dieser Welt ist, aber in eine andere übertreten kann.
Hatten Sie eine solche Erfahrung selbst?
Nein, aber ich habe mit Leuten gesprochen, die eine Nahtoderfahrung hatten, und ich habe Dokumentationen gesehen. Unsere Gesellschaft ist so darauf fokussiert, was hier und jetzt passiert, viele denken nicht darüber nach, was danach ist. Andererseits gibt es so viele Leute, die erfahren, dass es da noch etwas anderes gibt – und die davon zu hundert Prozent überzeugt sind. Darauf liegt mein Fokus, weil ich finde, dass es ein wahnsinnig wichtiges Thema ist.
Wie kommen Sie auf solche Ideen?
Andere Künstler inspirieren mich, aber natürlich das Leben an sich, von unserer Existenz und allem, was uns umgibt. Was mich sehr stark beeinflusst, sind Versuche, die Welt zu verstehen und hinter das zu schauen, was man sieht – also Wissenschaft, Physik, Spiritualität. In diesen Bereichen gibt es einige große Themen, die man nicht einfach ignorieren kann. Ich bin sehr empfänglich für solche existenziellen Fragen, nach der Bedeutung des Lebens und der Suche nach der Wahrheit.
Keine einfachen Fragen.
Stimmt, aber ich denke, sie sind immer präsent bei jeder Art von Kunst. Das muss auch so sein.
Wonach entscheiden Sie, welche Ideen Sie tatsächlich umsetzen?
Es muss immer einen wichtigen Grund dafür geben, es muss einen Sinn erfüllen. Wenn ich ein neues Projekt anfange, frage ich mich immer, was das Wichtigste in diesem Punkt in meinem Leben ist – auch, als es um die Installation in Gerlingen ging. Die Arbeit hat viele Schichten, eine davon ist die Andeutung, dass es da noch etwas geben könnte nach dem Tod, und die verschwimmenden Dimensionen. Heutzutage ist jeder virtuell unterwegs und driftet mehr und mehr in eine virtuelle Realität ab. Ich wollte die Aufmerksamkeit stärker zurück auf das Körperliche lenken, um die Realität wieder zu erleben.
Eine Rückbesinnung also?
Die Realität ist so reich und großartig. Natürlich gibt es auch tolle Aspekte an der virtuellen Realität, aber wenn ich die Entwicklung sehe, vermisse ich mich und die Wirklichkeit. Wir haben so viele verschiedene Möglichkeiten, und das ist schön, ich würde sagen, schöner als das Virtuelle. Deshalb möchte ich Kunst machen, die die ganze Aufmerksamkeit des Betrachters fordert. In die man hineingezogen wird, egal, wo man ist und worüber man gerade nachdenkt. Man soll nicht nur geistig dabei, sondern auch körperlich – nicht zu 50 oder 60, sondern zu 100 Prozent.
War Ihnen immer klar, dass Sie Künstlerin werden wollen?
Auf gewisse Weise schon, es ging einfach immer in diese Richtung. Als ich klein war, habe ich gern gezeichnet, aber ich bin nicht gerne in den Kindergarten gegangen. Also hat meine Großmutter angefangen, auf mich aufzupassen – und meine Eltern haben mich zu einem Kunstkurs angemeldet. Mein ganzes Leben lang habe ich kreative Sachen gemacht, aber es gab einen Punkt, an dem ich darüber nachgedacht habe, ob ich lieber Architektur machen soll oder Set Design, also Bühnenbild. Eine Zeit lang habe ich Set Design gemacht, aber dann erkannt, dass es einfach nicht mein Ding ist. Aber es war ein großes Risiko, weil es eben in dem Bereich Jobs gab. Danach habe ich Bildende Künste studiert – ich meine, was fängt man damit an? Es waren schwierige Entscheidungen, aber am Ende muss es sich richtig anfühlen. Ich habe viel ausprobiert, und jede dieser Erfahrungen hat mir weitergeholfen, es spiegelt sich alles in meiner Arbeit wider.
Wie ist es denn, auf der Solitude zu leben?
Ich mag es hier sehr gerne. Nur das Zeitgefühl ist komisch, weil man zwar einen Zeitplan hat, der aber sehr individuell ist. Man ist also einerseits aus der Zeit gefallen, komplett frei in der Planung. Aber gleichermaßen hat man Zugang zu diesen Leuten, die interessant sind und inspirierend. Es ist eine sehr spezielle Mischung aus Isolation und doch wieder nicht. Viele Leute hier denken den ganzen Tag über sehr viel, weshalb wir das Bedürfnis haben, etwas Körperliches zu tun. Deshalb spielen wir Fußball, und ich gehe joggen. Es ist einfach schön hier, die Sonnenuntergänge und die frische Luft, das ist alles sehr inspirierend für Künstler. Es ist bloß schade, dass es kein Meer hier gibt – das wäre perfekt.