Informationen werden Kunst mit Licht: Ryoji Ikeda in Ludwigsburg Foto: Frank Kleinbach

Vor 25 Jahren gegründet, um die Impulse aus der Olympiabewerbung zu nutzen, wartet die Kulturregion Stuttgart aktuell erstmals mit einem Lichtkunstfestival auf. Was ist das Besondere des Projekts, was verbindet die Werke?

Stuttgart - Kann Kunst, wie es der 2005 gestorbene Stuttgarter Bildhauer und Maler Otto-Herbert Hajek hoffte, Orte „ortieren“, Orten also eine im besten Sinn bezeichnende Kraft geben? Diese Frage mag nicht ursprünglich hinter dem Lichtkunstprojekt „Aufstiege“ gestanden haben.

Joachim Fleischer aber, selbst ausgewiesen als Künstler, der das Licht als Material und Medium nutzt, um die Verhältnisse an einem jeweiligen Ort zu befragen, hat alle eventuellen Hoffnungen auf eine die Region Stuttgart kunterbunt erhellende Nachtbeleuchtung früh unterlaufen. Erst nach und nach aber zeigt sich, wie folgenreich der Auftrag der Kulturregion an Fleischer war, im Jubiläumsjahr des 25-jährigen Bestehens der 1991 gegründeten Kulturregion die Konzeption für ein Panorama internationaler aktueller Lichtkunst zu schaffen.

Licht als Befragung eines Ortes

Der Künstler als Kurator – das lässt auf eine Präzisierung der Fragestellung hoffen. Grob heißt es da über das Kulturregion-Projekt „Aufstiege“: „Nach Einbruch der Dunkelheit lassen sich drei Wochen lang Installationen und Projektionen auf zahlreichen Treppen und Anstiegen entdecken“. Das klingt nach Beleuchtung, Ausleuchtung, nach der Fortsetzung eines Missverständnisses, das im Stadtmarketing ein Lichtevent nach dem anderen verspricht und Lichtkunst zur bloßen Illumination macht. Nur schön aber würde, das machte Joachim Fleischer mit seiner Künstlerauswahl früh deutlich, das „Aufstiege“-Szenario nicht werden. Und das ebenso erhoffte Spektakuläre? Wird geboten – in aller Härte wie in der Galerie Stihl in Waiblingen mit und durch Siegrun Appelts Installation „Erinnertes Licht“, in aller Stille durch Pablo Wendels Projekt „Sternenfänger“ auf der Uhlandshöhe in Stuttgart, in aller konzeptuellen Dichte mit Ryoji Ikedas Fortführung seines „pattern“-Zyklus auf der Bühne der Akademie für Darstellende Kunst in Ludwigsburg.

Ikedas „test pattern [n°10]“ verbündet sich dabei in doppelter Weise mit Appelts „Erinnertes Licht“. Wie Appelt nützt auch Ikeda die halbtransparente Fassade, und ebenso wie die Wienerin macht auch der weltweit tätige gebürtige Japaner die Besucherinnen und Besucher zu Beteiligten seiner Arbeit. Ikeda, der ein System verwendet, das in Echtzeit jede Art von Daten in ein Strukturmuster aus Nullen und Einsen umwandelt, lässt die Besucher über und in schwarz-weißen Barcodes wandeln. Als Künstlerforscher macht Ikeda, wie Joachim Fleischer zu Recht sagt, „die digitale Welt abstrakt, aber sinnlich wahrnehmbar“.

Teil der Installation wird man auch in „Erinnertes Licht“, aber Appelt geht noch einen Schritt weiter, wenn sie erstmals überhaupt die Eigenheiten der ewig jung erscheinenden Architektur der Stihl-Galerie nutzt. Muss die transparente Fassade sonst abgedichtet werden, um den Anforderungen der Galeriekonzeption als Bühne für die Kunst mit und auf Papier gerecht zu werden, wird die schimmernde Hülle nun selbst zum Aktionsfeld, wenn um 20 Uhr die (tagsüber nun auch für Appelt wichtige) Abdichtung elektronisch weggenommen wird.

„Erinnertes Licht“, eigentlich eine Anspielung darauf, dass wir im von Appelt provozierten Stroboskop-Hagel mit verzögerter Wahrnehmung reagieren, um die Situation beherrschen zu können, macht die Galerie nun auch bis 24 Uhr zur Skulptur, zu einer Architekturfigur.

Nikolaus Koliusis spiegelt Stuttgart

Nicht von ungefähr dominiert das Weiß – wie auch bei Appelt – das „Aufstiege“-Szenario. Natürlich ist da Joachim Fleischers eigene Konzentration auf die Verdichtung aller Farben in einem von uns als Weiß definierten Ton – hier nun mit der Arbeit „Continuum“ am einstufigen Anstieg am Wasserwehr an der Stadtbrücke in Nürtingen. Und natürlich ist da auch die Botschaft, dass die vermeintliche Nichtfarbigkeit, die doch erst durch Vielfarbigkeit in sich entsteht, jener Punkt für das Projekt „Aufstiege“ ist, von dem aus es kein Zurück mehr gibt. Unmissverständlich zeigt sich Lichtkunst hier als Kunst mit Licht. Besonders deutlich mag dies bei der Arbeit „Wir brauchen Licht“ des französischen Künstlers Michel Verjux für die Bahnhofshalle und einen benachbarten Büroturm in Göppingen sowie für Nikolaus Koliusis’ „Selbstverständliches Blau“ für den Aussichtspunkt an der Birkenwaldstraße in Stuttgart werden.

Besucher werden „Akteure des Lichts“

Verjux wie Koliusis thematisieren die Frage eines Davor beziehungsweise Dahinter, machen geometrische Formen ebenso zur Eigenfiguration wie auch zu Bühnen, von denen aus das scheinbar Selbstverständliche, die scheinbare Realität (des Bahnhofs, der Stadt) als eigentliche Aufführung wahrgenommen wird. Und beide auch spielen mit jenem Moment, da sich das Kunstlicht mit dem Tageslicht vermengt – und in der Folge die Menschen zu „Akteuren des Lichts“ werden, wie denn auch einmal eine Ausstellung zum Schaffen des Stuttgarters Nikolaus Koliusis hieß.

Das Aufrufen historischer Bezüge eines Ortes, einer Handlung oder eines Gegenstandes ist – wie nicht zuletzt die an diesem Sonntag zu Ende gehende Internationale Triennale Kleinplastik unter dem Titel „Food – Ökologien des Alltags“ zeigt – ein zentrales Thema in der aktuellen Kunst. Das Kulturregion-Projekt „Aufstiege“ hält auch hierfür ein Beispiel bereit – die Installation „Lines up. Lighthouse“ der Südkoreanerin Jeongmoon Choi im ehemaligen Wasserturm auf dem Leonberg. Weit spannen sich im Engelbergturm von Choi gespannte Fäden – zurück in eine Vergangenheit, die erst durch diese künstlerische Gegenwart wieder erlebbar wird.

„Aufstiege“ zeigt sich so zuletzt als Projekt einer Haltung: Nicht als Demonstration, sondern als Hommage an die Möglichkeiten einer Kunst mit Licht.