Seit Freitagabend ist der Bonatzbau abends bunt. Foto: ubo

Die Graffiti-Schau im Hauptbahnhof bekommt farbenfrohe Unterstützung: Der Medienkünstler Laurenz Theinert zaubert, wenn es dunkel wird, Lichtsinfonien ins Innere des Bonatzbaus. Die Begeisterung der Reisenden ist groß.

Stuttgart - Als der Stuttgarter Fotograf und Lichtkünstler Laurenz Theinert einen Anruf von der Bahn bekam, dachte er, die sind aber schnell. Kurz zuvor hatte der Dozent der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart seine Bahncard gekündigt, weil er für seine Arbeit Corona-bedingt kaum noch reist. Sollte er nun überredet werden, die Kündigung zurückzunehmen? „Ich wollte die netten Dame am Telefon abwimmeln, weil ich im Moment keine Rabattkarte für Züge brauch’“, sagt der 57-Jährige. Die „nette Dame“ war Alessa Becker von der Bau- und Projektkommunikation Bonatzbau, die den Medienkünstler für eine Aktion im Advent gewinnen wollte.

Trotz Corona will die Bahn die Fahrgäste in Weihnachtsstimmung versetzen – und Laurenz Theinert hat daran seit Freitagabend einen wesentlichen Anteil. Mit Hightech-Beamern, die etwa 400-mal so stark sind wie Beamer für den Hausgebrauch, projiziert der Künstler langsam wechselnde Farbenpracht auf die Decke der großen, bald 100 Jahre alten Bahnhofshalle sowie auf die beiden Stirnseiten. Immer um 17 Uhr, wenn es dunkel wird, geht es damit los. Davor sind schon kontrastreiche Linien und Striche zu sehen (von 6 Uhr bis 17 Uhr). Die Lichtkunst kann bis 1 Uhr nachts bewundert werden.

Graffiti-Schau des Kunstmuseums geht in die Verlängerung

Eigentlich sollte der Bonatzbau längst geschlossen sein, damit der bei Freunden des alten Bahnhofs heftig umstrittene Umbau in ein Shopping-Center mit Hotel auf zwei Ebenen beginnen kann. Doch Corona macht ein Strich durch die Rechnung. Weil die neue Wartehalle nicht genutzt werden kann – darin würden sich die Menschen zu nahe kommen –, bleibt die große Bahnhofshalle nun länger offen als geplant. Dies bedeutet: Auch die hochgelobte Graffiti-Ausstellung „Secret Walls“ des Kunstmuseums muss nicht abbauen und geht in die Verlängerung. Zu der Streetart aus der Spraydose kommt nun Streetart mit dem Licht.

„Der Künstler hat die Lichtinstallation eigens für uns konzipiert, sodass sie sich in die Atmosphäre der Halle mit der Graffitikunst einfügt“, freut sich Projektentwicklerin Alessa Becker. Laurenz Theinert erklärt seine Kunst so: „Mir geht es um die Verwandlung von bekannter Architektur durch Licht.“ Er wolle etwas Schönes schaffen und damit den Menschen eine Freude machen. „Kunst muss nicht immer nur provozieren“, findet er, „sondern auch Spaß machen.“ Mit Licht mache man obendrein „nichts kaputt“ und könne also die Installation rasch problemlos verschwinden lassen.

Bei vielen ist die Überraschung perfekt

Am ersten Abend der neuen Lichtperformance kann man beobachten, wie sich viele Fahrgäste freuen und Fotos mit dem Handy machen. Kaum einer hat gewusst, dass sich was in der Vorweihnachtszeit verändert im Bonatzbau. Die Überraschung ist perfekt. Der Künstler wollte ein Lichtwerk schaffen, das gefällt, aber nicht für Menschenansammlungen sorgt. „Wir haben deshalb ein langsames Tempo der Projektionen gewählt“, erkärt Theinert. Entspannend wirkt die Sinfonie der bunten Strahlen.

Die Lichtinstallationen und der neun Meter hohe Tannenbaum sind erst der Anfang im Bonatzbau in der Vorweihnachtszeit. Am 1. Dezember startet ein musikalische Adventskalender. Tag für Tag geht eine Türe auf, hinter der sich ein oder eine Stuttgarter Promi verbirgt, der oder die sich ein Weihnachtslied gewünscht haben, das dann gespielt wird. Viele Fotos in diesem Adventskalender hat Wilhelm Betz gemacht. Sie sind den Büchern der „Stuttgarter Charakterköpfe“ entnommen.