Die Nato streitet über die Führungsrolle bei den Luftangriffen auf Libyen.

Berlin - Die Nato streitet über die Führungsrolle bei den Luftangriffen auf Libyen. Berlin bleibt bei seinem militärischen Nein - und der frühere Planungsstabschef Stützle kritisiert Paris und London scharf.

Herr Stützle, bugsiert sich Deutschland mit seinem Nein zu einem Militäreinsatz in Libyen ins Abseits?

Wenn es einen Fehler gegeben hat, dann erfolgte der deutlich vor dem Beschluss, militärisch einzugreifen: Der Fehler war, nicht stärker auf einen politischen Prozess zu dringen und zu versuchen, mit Gaddafi ins Gespräch zu kommen, bevor militärische Vorbereitungen getroffen werden. Es ist nicht einsichtig, warum mit Gaddafi gesprochen wurde, als es um Waffenverkauf ging - aber nicht mit ihm verhandelt wurde, um einen Krieg zu verhindern.

Ist die internationale Gemeinschaft also unter ihren Möglichkeiten geblieben?

Eindeutig: ja.

Weil sich niemand kümmerte oder weil die Erfolgschancen schlecht standen?

Es ist mir bis heute unerklärlich, warum UN-Generalsekretär Ban Ki Moon nicht nach Tripolis gereist ist, um mit Gaddafi den Ernst der Lage zu erörtern. Willy Brandt hat 1990 in den sauren Apfel gebissen und ist nach Bagdad gereist, um den damaligen Diktator und Verbrecher Saddam Hussein davon abzuhalten, deutsche Geiseln zu missbrauchen. Saddam war sicher auch nicht Brandts bevorzugter Gesprächspartner, aber trotzdem hat er es versucht. Sarkozy war ganz offensichtlich aus unterschiedlichen Gründen frühzeitig auf einen Militärschlag gegen Libyen gebürstet.

Aus nationalem Interesse?

Die Sonderrolle Frankreichs und Englands in Afrika ist sehr viel älter, als die gegenwärtige Krise es andeutet. Die beiden haben schon 1998 in St. Malo eine Verabredung über ihre angeblich besondere Rolle in Afrika beschlossen - dieser 2010 erneuerte Bilateralismus ist der Todesstoß für die angestrebte gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union und damit auch für eine gemeinsame Verteidigungspolitik. Sarkozy praktiziert einen überholten nationalen Machtanspruch zulasten der EU.

Was ist Sarkozys strategisches Interesse?

Ein vernünftiges strategisches Interesse ist nicht auszumachen. Wir erleben jedenfalls die Renationalisierung von Außenpolitik.

"Außenpolitiker haben aus Irak-Desaster gelernt"

Kann die Atommacht Großbritannien Sarkozys Einfluss gegensteuern?

Die Briten waren immer europakritisch und werden den Prozess der europäischen Integration folgerichtig immer zu behindern wissen. Das Wort von Außenminister Eden aus dem Jahr 1952 gilt: "Integration is something we cannot do" - Integration ist uns nicht gegeben.

Wie glaubwürdig ist die deutsche Haltung, sich militärisch nicht zu beteiligen?

Ich halte diese Entscheidung für richtig. Sie trägt dem Umstand Rechnung, dass es sich um einen inneren Revolutionsprozess im gesamten nordafrikanischen Raum handelt - und dass die Außenpolitiker nicht zuletzt aus dem Irak- und dem Afghanistan-Desaster gelernt haben sollten, dass innere Veränderungen durch militärische Interventionen von außen nur beschädigt werden. Es ist Sache der Völker, ihren Weg zu finden - und nicht unsere, durch Waffengang die Demokratieapostel zu spielen.

Obwohl die Aufständischen die Intervention herbeibaten?

So verständlich deren Anliegen nach äußerer militärischer Hilfe ist - wir müssen das Ende bedenken, wie es Verteidigungsminister de Maizière angemahnt hat. Was soll nach dem militärischen Eingreifen kommen? Welche politischen Strukturen sollen gestärkt, mit welchem Teil der Aufständischen verhandelt werden? Wer soll die politische Führung sein? Die Antworten lassen sich nicht herbeibomben. Sarkozy hat eine andere Agenda - und mit seinem militärischen Vorpreschen jede Hoffnung auf eine europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik für lange Zeit zerstört.

Also kein Nato-Engagement?

Die Nato ist gut beraten, sich von einem militärischen Engagement weit entfernt zu halten und auch keine Anstalten zu machen, ein solches vorzubereiten oder gar vorzunehmen. Sie hat dort als Organisation keine Funktion. Ihr Eingreifen würde den Gegnern des revolutionären Umbruchs in Nordafrika ein zusätzliches Feindbild liefern, mit dem sie den Prozess ersticken könnten. Es ist vordringlichste Sache der Vereinten Nationen, der Arabischen Liga und einzelner Staaten, in Tripolis herauszufinden, ob es noch einen Kurswechsel geben kann. Die US-Militärführung schließt nicht einmal aus, dass Gaddafi selbst nach einer kriegerischen Intervention des Westens am Ruder bleibt - dass die internationale Gemeinschaft also hernach mit ihm verhandeln müsste. Und dann stellt sich die Frage: Warum hat sie das nicht früher getan?

Was ist jetzt zu tun?

Erstens Waffenruhe. Zweitens mit Gaddafi verhandeln. Drittens Abkehr von der Idee, einen Regimewechsel herbeizwingen zu müssen. Das ist kurzatmig und nicht vom Ende her gedacht.