Li Edelkoort bei ihrem Trendseminar bei Liganova in Stuttgart Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Li Edelkoort, eine der bekanntesten Trendforscherinnen im Bereich Mode und Lifestyle, hat in Stuttgart die Zukunft erklärt. 70 handverlesene Zuhörer hängen der Dame aus New York regelrecht an den Lippen.

Stuttgart - Selbst in der Kirche ist es oft nicht so andächtig. Kaum einer wagt zu flüstern, geschweige denn zu reden. Jede Minute wird sie im Showroom der Firma Liganova am Herdweg erwartet. Die Landung einer Ikone aus New York naht. Genauer gesagt: einer Stilikone. Denn das ist Li Edelkoort inzwischen. Sie ist eine der berühmtesten Trendforscherinnen im Bereich Mode und Lifestyle. Die gebürtige Holländerin gibt einer ganzen Industrie nicht nur die Richtung vor, sie ist selbst ein Wegweiser.

So viel Ehrfurcht vor Li Edelkoort macht die 70 Besucher des 700 Euro teuren Trendseminars nicht nur stumm, sondern auch unsicher. Edelkoorts Kreativ-Direktorin fasst diese Beklommenheit in einen Satz. „Gell“, sagt sie, „es war niemals so schwer wie heute, das richtige Outfit auszuwählen.“ Alle wollen vor Edelkoort eine gute Figur machen. Die 70 Zuhörer aus der Mode- und Beauty-Industrie, neudeutsch wohl Influencer genannt, erlauben sich nun zu lachen. Immerhin: Schließlich geht es um ein ernstes Thema – die Zukunft.

Das Wort fällt an diesem Tag mindestens so inflationär wie „corazón“ (spanisch: Herz) in einer alten Tango-Schnulze von Carlos Gardel. Zu diesem Pathos passt die ganze, fast rituelle Inszenierung. Li Edelkoort schwebt, in einen silbernen Talar gehüllt, im dunklen Raum aufs Podium ins Rampenlicht. Ihr Thema: „Göttinnen. Die Archetypen der Frau von morgen.“ Konkret: die Frau des Frühjahrs und Sommers 2019. Über allem steht nun also die Göttin.

Edelkoort prohezeit eine Trendwende

Warum? Mit der Antwort steigt Edelkoort in ihren Vortrag ein: „Die Göttin ist eine archetypische Person, die universelle Charakterzüge trägt, die in jeder Gesellschaft, in Legenden und Märchen zu finden sind.“

Was etwas abgehoben klingt, wird im Laufe ihres Vortrages deutlicher. Nämlich, dass alles ursprünglicher, erd- und naturverbundener wird. Das Buch von Jean Shinoda Bolen „Goddesses in Everywoman“ (Das Göttliche in jeder Frau) bekomme plötzlich wieder große Bedeutung: „Diese Göttinnen-Bewegung wird für eine Trendwende in der Mode sorgen und die Kleidung der Frau nachhaltig beeinflussen.“

Ganz so wie sie selbst gewandet ist, so soll auch die Silhouette einer Frau in Zukunft durch die Straßen gehen. In einer Tunika, in langen Röcken oder einer Toga. „Zudem wird neues Schuhwerk die Wurzel zu Mutter Erde bilden“, sagt sie. Die Grundmuster werden Sandalen, Espadrilles und Babouches sein. Nicht zu vergessen: „Modeschmuck wird diese neue Schönheit durch Diademe sowie die Wiederkehr von Ohrringen krönen.“

Wem all das bekannt vorkommt, der ist keineswegs auf dem Holzweg. Das Alte wird in der Mode gerne zum Neuen erkoren. Erst das vermeintlich Neue setzt den Reiz. Es bewegt die Menschen von Saison zu Saison. So bekommt das Neue in der Gesellschaft einen eigenen Wert. Es heißt dann nicht, die Sache ist gut oder schlecht. Es heißt: Sie ist neu. Und deshalb verkauft sie sich. So werden aus diesen Offenbarungen zum Neuen plötzlich wichtige Entscheidungsfragen. Und Li Edelkoort bedient dieses Bedürfnis wie keine andere.

Für die Industrie ist sie eine Inspiration

„Für mich ist es sehr inspirierend zu hören, woher die neuen Trends kommen und wie sie sich entwickeln“, sagt etwa Juliane Riemer, die für ihren Arbeitgeber, die Katag AG aus Bielefeld, zu Edelkoorts Trendseminar gepilgert ist. Was letztlich davon in die Kollektionen für den Handel aus Edelkoorts Trend-Bibel einfließt, weiß sie noch nicht: „Es sind ja keine fertigen Rezepte, sondern nur Inspirationen.“ Oder wie es Li Edelkoort nennt: Archetypen. So gibt sie ihren Zuhörern 17 verschiedene Frauen-Grundtypen an die Hand, mit denen die Designer und Kreativen ihre Stücke basteln sollen.

„Li ist wirklich outstanding“, bestätigt Angelika Ebeleseder-Will, die für einen Haar- und Kosmetikhersteller nach Stuttgart gekommen ist: „Sie fasziniert mich seit 20 Jahren. Ich bin hier, um zu sehen, in welche Richtung ich die Augen offen halten muss.“ Die Trefferquote des Mode-Orakels aus New York liege bei 50 Prozent. Ein hoher Wert, wie Angelika Ebeleseder-Will meint: „Für meine Branche ist es wichtig zu wissen, wie die Menschen in Zukunft konsumieren.“

Bis zum Ende des Seminars bleibt bei vielen eine Frage offen: Erforscht und erspürt Edelkoort die Zukunft, oder setzt sie mit ihren Statements die Trends selbst? „Tja“, sagt die Dame des Haar- und Kosmetikherstellers, „das ist die Frage nach dem Anfang: Was war zuerst da? Die Henne oder das Ei.“ Einer möglichen Klärung dient ein Lieblingssatz von Edelkoort: „Wir müssen die Regeln, das Spiel und den Inhalt verändern.“ Es geht also wieder mal um alles, vielleicht aber um nichts.