Bei seiner Lesung im Theaterhaus gibt sich Peter Grohmann selbstkritisch, ist nachdenklich und selbstironisch. Foto: Martin Bernklau

Peter Grohmann liest im Theaterhaus aus seiner politischen Biografie „Alles Lüge außer ich“. Da der Tag der Lesung sein 76. Geburtstag war, stimmte das Publikum spontan ein „Happy Birthday“ an.

S-Nord - Peter Grohmann plaudert gern, vielleicht noch mitreißender als er schreibt. Und das will viel heißen. Denn „Alles Lüge außer ich“ ist glänzend geschrieben. In einem voll besetzten Saal hat der Stuttgarter Alt-Linke gestern im Theaterhaus erstmals aus seiner druckfrischen „politischen Biografie“ gelesen. Politisch, was denn sonst?

Gesprächsweise Annäherung an seine Kindheit

Der Tag der Lesung war auch sein 76. Geburtstag, und so stimmte das Publikum spontan ein „Happy Birthday“ an, als Co-Moderator Ebbe Kögel von den Anstiftern das ausgeplaudert hatte. Ernst Kies, der mit fröhlich östlich gefärbter Musik den Abend begonnen hatte, stimmte auf seinem Akkordeon in das Ständchen ein. Im Theaterhaus, von Grohmann 1984 gemeinsam mit den Schretzmeiers damals in Wangen gegründet, hat der Autor schon öfters gelesen. Aus diesen vielen „Denkzetteln“ ist in „chaotischer Arbeitsweise“ mit Hilfe der Freunde, Mitarbeiter und Lektoren ein Buch von erstaunlicher Klarheit und Stringenz entstanden.

An diesem Abend sprach Peter Grohmann zunächst mit Anekdoten und Sottisen über sich und sein Stuttgart. Auf Harmonie sei er eigentlich aus, obwohl die Welt mit Krieg und Ausbeutung und all den Sachen wenig Grund zur Fröhlichkeit gebe. „Aber in der Trauer und im Zorn lässt sich’s schlecht kämpfen.“ Auch seiner Kindheit näherte er sich zunächst gesprächsweise an. Einer Kindheit, die der Moderator im Buch „erstaunlich positiv besetzt“ findet, trotz all der furchtbaren Erlebnisse und schlimmen Umstände. Verschüttet in den Dresdener Bombennächten, war der 1937 geborene Peter Grohmann mit der Mutter noch einmal ins heimische Breslau zurückgekehrt, hat deren Vergewaltigung mit ansehen müssen, war in die Wälder, nochmals nach Dresden, dann nach Westen geflohen und aufgewachsen als Flüchtling, Außenseiter, Vertriebenenkind unter Schwaben, in Zwiefalten, später in Weingarten, Pfullingen. So kam er unter die Stuttgarter.

Sprühender Witz, aber auch selbstkritische Nachdenklichkeit

Über Breslau, heute Wroclaw, und seine Geschichte las er seinen ersten Denkzettel vor. Zweimal zerstört worden sei es, „beim Mongolensturm 1241 und 700 Jahre später, beim Nazisturm“. Grohmann erinnerte unter den vielen bekannten Breslauern beispielsweise an den zu Weimarer Zeiten berühmten Tenor Joseph Schmidt, dem zwar als Sohn deutschsprachiger Juden die Flucht gelungen war, der aber, noch nicht 40 Jahre alt, in einem Schweizer Flüchtlingslagers krank und entkräftet starb.

In Stuttgart prägte den jungen Schriftsetzer Grohmann, Gewerkschafter und Aktivist der sozialistischen Falken, auch ein Mann wie Fritz Lamm, Sozialist, Jude, Homosexueller und Naturfreund, der aus dem Exil in Palästina wieder ins Land der Täter zurückgekehrt war. Sprühender Witz, aber auch selbstkritische Nachdenklichkeit mit viel Selbstironie sind in den Erzählungen Peter Grohmanns ebenso zu hören wie in den gelesenen Passagen aus dem Buch.

Der Kabarettist, Schriftsteller und Gründer des Sozialistischen Büros wie des Club Voltaire, streitbarer Anreger und Weggefährte vieler linker Aktivisten, wurde nach seiner vorläufigen Lebensbilanz gefragt. „Zwiespältig“ falle sie aus, mit all den Erfolgen und all dem Scheitern, „aber Stuttgart ist unglaublich lebendig geworden.“ Auch dafür feierten ihn seine Hörer nach dem Schlusssatz über seine „momentan sehr langfristig geplante“ Beerdigung: „Es soll ein Fest werden. Ich hoffe, Sie sind dabei. Ich auch.“