Achlam Kabahas Sohn wäre fast wegen eines Missverständnissen gestorben. Foto: Malte Klein

Achlam Kabaha, deren Eltern aus dem Westjordanland stammen, ist in Bernhausen aufgewachsen und lebt seit 27 Jahren in Israel.

Stuttgart-Plieningen - Alle Augen im Saal des Alten Rathauses in Plieningen sind auf Achlam Kabaha gerichtet. Sie liest aus ihrem Buch „Überall zu Hause und trotzdem heimatlos“. Auf dem Cover sind Menschen und Stacheldraht zu sehen. Für die meisten Zuhörer im Raum sind die Erlebnisse Kabahas die aus einer anderen Welt. Denn sie lebt als Palästinenserin in Israel.

Die 46-Jährige ist in Filderstadt-Bernhausen als Tochter von Palästinensern aus dem Westjordanland aufgewachsen und spricht fließend Deutsch. Ihre Eltern und Geschwister leben noch immer in Bernhausen. Einmal im Jahr kommt sie zu Besuch, so wie jetzt gerade. Seit bereits 27 Jahren lebt Kabaha in Israel. Sie arbeitet dort als Englischlehrerin und ist mit einem arabischen Israeli verheiratet. Das Paar hat drei Kinder.

Sie wünscht sich endlich Frieden

Von einem ihrer Söhne, der vor zwei Jahren mit dem Zug nach Tel Aviv pendelte, handelt eine Passage im Buch. Als Journalist schreibt ihr Sohn für ein Online-Magazin über internationalen Fußball. Auf der Fahrt erlebte er Bedrohliches als er einmal spät dran war und der Zug einfuhr. „Bei der Kontrolle, erzählte er mir später, hatte er, weil er es so eilig hatte, seinen Ausweis bereits in der Hand und wollte an der Frau vorbei, nachdem sie diesen gesehen hatte.“ Er habe die Frau nicht gekannt. Kabaha: „Plötzlich fängt die Frau an zu brüllen: Michabeel, Michabeel ein Terrorist, ein Terrorist. Auf einmal lagen alle auf dem Boden, auch die Frau von der Kontrolle. Sofort waren Polizisten in Zivil da und packten mich.“ Ein Hund habe ihn angefallen. Endlich habe ein anderer Kontrolleur gesagt, dass Kabahas Sohn kein Terrorist sei.

Das Publikum lauscht angespannt. „Die Frau, die das Ganze ausgelöst hatte, sagte der Polizei, er habe sie geschlagen, deshalb habe sie geschrien. Außerdem habe man erfahren, dass heute ein Anschlag verübt werden sollte.“ Der potenzielle Attentäter habe grüne Augen, so wie Kabahas Sohn. Es habe sich herausgestellt, dass die Frau gelogen habe. „Aber außer einer Entschuldigung hat er nichts bekommen. Er hatte Glück, dass er nicht erschossen wurde.“

Kabaha erklärt, wie es zu dem Buch kam: „Ich habe schon immer gern geschrieben. Als ich im deutschen Fernsehen einen Islam-Experten in einer Talkshow gesehen habe, der keine Ahnung hatte, habe ich begonnen, das Buch zu schreiben.“ Sie wünscht sich gerade vor dem Hintergrund der jüngsten Geschehnisse in Israel endlich Frieden. „Als ich jetzt gehört habe, was in Tel Aviv passiert ist, habe ich einen Schock bekommen. Denn mein Mann lebt dort.“ Sie sieht zwei Staaten als Lösung. „Juden und Palästinenser müssen vergessen, was mal war – um unserer Kinder willen.“

Kabaha hat sie mitunter Heimweh nach Deutschland

Ein Junge fragt Kabaha, warum ein Schlüssel an ihrer Halskette hängt. „Als die palästinensischen Flüchtlinge ihre Häuser verlassen mussten, schlossen sie ab und nahmen die Schlüssel mit.“ Das Tragen des Schlüssels symbolisiere, dass die palästinensischen Flüchtlinge eines Tages in ihre Häuser zurückkehren können. „Er wird auch weitergegeben an Kinder, die Palästina nie gesehen haben.“ Kabaha trägt Kopftuch. „Die Religion spielt für mich eine große Rolle. Durch sie habe ich meine Stärke gefunden.“ Nun, wo sie in Israel lebt, hat sie mitunter Heimweh nach Deutschland. „Ich vermisse besonders den Schnee und Weihnachten.“ Neu war für Kabaha, dass Konflikte im Arabischen nicht direkt angesprochen werden, sondern blumig umschrieben werden. „Und sie schwören auf alles mögliche. Lehnt jemand einen Tee ab, schwört der Anbieter, dass er sich scheiden lässt, wenn der Gast das Getränk nicht nimmt.“

Suhad Demirci, eine Freundin von Kabaha, hat die Lesung im Alten Rathaus organisiert. Ihre Eltern sind auch aus dem Westjordanland. Das Buch kennt sie schon. „Aber wenn sie liest, sehe ich auch mich im Buch und fühle mit“, sagt Demirci.