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Mit streichholzdünnen Beinen, flachen Brüsten und schmaler Hüfte war in der Modewelt der 50er Jahre kein Blumentopf zu gewinnen. Bis Twiggy kam.

London - Magermodels sind heute nicht mehr aus der Modewelt wegzudenken. Als Lesley Lawson ihre Modelkarriere Mitte der 60er Jahre begann, war das anders. "Jede Modelagentur hätte mich abgelehnt, ich war nur 1,68 Meter groß, und ich war auf jeden Fall zu dünn. Ich sah aus wie ein kleiner Junge", erinnerte sich die Frau, die als Twiggy berühmt wurde und am Samstag ihren 60. Geburtstag feiert.

Ihren Ruhm hatte sie dem Zufall zu verdanken - und dem Jugendhype, der in den Sixties einsetzte. "Auf einmal musste jeder jung sein. Das war die Stimmung der Zeit. Und jeder Designer brauchte junge Models." Ein Mini-Po passt eben besser in den Mini-Rock, der damals zum Siegeszug ansetzte.

Also schickte eine Bekannte die junge Lesley, Tochter eines Schreiners aus einem einfachen Londoner Vorort, in einen schicken Friseursalon im Nobelviertel Mayfair. Schon damals trug sie wegen ihrer spindeldürren Beine den Spitznamen Twiggy, zu Deutsch: Zweiglein. Der Friseur schnippelte ihr einen blonden Bubikopf, ein berühmter Fotograf lichtete das knabenhafte Wesen mit den kugelrunden Augen und den riesigen künstlichen Wimpern ab, und das Bild hing im Haarsalon.

Eine Journalistin von der Zeitung "Daily Express" entdeckte das Foto und schrieb einen Artikel. Die Schlagzeile: "Twiggy: The Face of 66". Ein Supermodel war geboren. Twiggy war damals gerade 16 Jahre alt.

Eine wahre Hysterie begann. Böse Zungen wisperten am Rande einer Modenschau, "die hält sich vielleicht ein paar Wochen". Aber sie hatten unrecht: Twiggy eroberte als Model ohne Kurven die Titel der "Vogue" und anderer angesehener Magazine, jettete um die Welt und lief über alle wichtigen Laufstege. Ein Foto von ihr wurde sogar ins All geschossen, der Spielzeugriese Mattel erschuf eine Twiggy-Barbie, und zahllose Mädchen hungerten sich der idealen Dürre entgegen. Twiggy entsprach dem Zeitgeist der Swinging Sixties.

"Ich wurde bekannt, weil ich den Look der Ära verkörperte." Der Ruhm kam so schnell, dass das Mädchen mit dem Ostlondoner Arbeiterakzent noch nicht einmal wusste, was ein Interview war, als es zum ersten Gespräch mit Journalisten gebeten wurde. Wilde Partys, Alkohol und Drogen? Twiggy war davon weit entfernt. "Einmal habe ich nach einer Pariser Schau eine Cola im Restaurant bestellt. Der Kellner fragte mich nur, was für ein Qualitätswein das sein soll", erzählte sie.

So schnell der Ruhm kam, so schnell verabschiedete sich Twiggy wieder von der Modewelt. Mit 20 entschied sie sich, ihre Karriere als Hungerhaken aufzugeben. "Models haben den Ruf, dumm zu sein. Also habe ich gedacht, ich will als Schauspielerin ernstgenommen werden." Sie machte Filme und Musik. Für den Streifen "The Boyfriend" erhielt sie 1972 zwei Golden Globes. Am Broadway trat sie in dem Musical "My One And Only" auf. Es folgten weitere Rollen, aber: Bekannt blieb Twiggy vor allem als erstes Topmodel der Welt.

Aus dem spindeldürren Mädchen wurde eine Frau, die mit ihrem zweiten Mann Leigh Lawson lange Spaziergänge und Abendessen genießt. Zwar arbeitet sie wieder als Model. Doch als Gesicht der etwas biederen Kaufhauskette Marks & Spencer erinnert Twiggy mehr an die Hausfrau von nebenan als an eine Stilikone der 60er Jahre. "Ich hasse es, wie ich früher ausgesehen habe", bekannte sie einmal. Und nein, sie sei nicht magersüchtig gewesen, sondern habe "wie ein Scheunendrescher" gegessen. Vergebens. Erst als ihre Tochter kam, habe sie ein wenig Speck angesetzt.

Inzwischen hat Lawson akzeptiert, dass sie für immer Twiggy bleiben wird: "Sie ist diese andere Person, die ich gelernt habe zu lieben. Gott segne sie, ich habe ihr viel zu verdanken."