Ein Ort der Leselust: die Stadtbibliothek am Mailänder Platz. Hier ist auch der Verein Leseohren aktiv. Foto: Lichtgut/Verena Ecker

Der Verein vermittelt seit 15 Jahren Paten, die Kindern vorlesen. Mittlerweile sind es schon über 500, doch die Mitarbeiter haben noch große Ziele

Stuttgart - Bettina Kaiser sitzt an einem Besprechungstisch im zweiten Obergeschoss der Stadtbibliothek. Vor ihr öffnet sich der Blick auf die Baustelle am Mailänder Platz. Man könne diese fast ein wenig mit den Leseohren vergleichen, meint die Geschäftsführerin des gleichnamigen Vereins: „Wir bauen stetig weiter an unserem Projekt, sind aber auch schon so weit gekommen.“

Ein gewisser Stolz in ihrer Stimme ist nicht zu überhören. Ihr Wunsch für die Zukunft: irgendwann einmal allen Kindern im Stuttgarter Stadtgebiet vorlesen zu können. „Es gibt Stadtteile mit sozial benachteiligten Kindern, die wir immer noch nicht so gut erschlossen haben, wie wir es uns wünschen“, sagt die Geschäftsführerin.

Valentina Közle steht ihrer Chefin in Sachen Zielstrebigkeit in nichts nach. Sie sei noch lange nicht da, wo sie hinwolle, sagt die Mitarbeiterin. Bettina Kaiser sieht diesen Elan mit Freude, – und blickt zufrieden auf das bisher Erreichte. Mittlerweile gibt es mehr als 500 ehrenamtliche Lesepaten, die in Kindertagesstätten, Schulen, Bibliotheken und weiteren Einrichtungen Kindern vorlesen. „Manche sind sogar schon länger dabei als ich“, sagt sie und muss schmunzelt. Sie selbst ist auch schon einige Zeit an Bord. Der Verein wurde 2002 gegründet, seit 2004 ist Kaiser mit von der Partie. 2006 hat sie die Leitung übernommen. Dass die Begeisterung der Paten am Vorlesen so dauerhaft ist, damit hatte sie allerdings nicht gerechnet: „Die machen das ja alles ehrenamtlich. Ihre Ausdauer ist beeindruckend.“ Das gilt auch für sie und ihre Mitstreiterinnen. Immerhin haben sie fünf verschiedene Projekte zu organisieren.

Flüchtlingskinder kommen in die Bibliothek, die Paten lesen ihnen vor

Eines davon ist die Lese-Heimat Stuttgart: Valentina Közle betreut es seit 2015. Flüchtlingskinder kommen dabei in die Stadtbibliothek und die Paten lesen ihnen dort vor. Die Bibliothek ist für die Kinder ein Rückzugsraum, ein Ort, an dem sie Vertrauen fassen können. Es sei berührend zu sehen, wie Kinder aus sich herausgingen, die vorher noch verschreckt in der Ecke gesessen hätten. „Für viele Kinder ist das eine Seelenmassage“, sagt Valentina Közle. Nicht nur die Kinder profitieren vom Vorlesen, sondern auch die Lesepaten selbst.

Eltern sind dabei aber wichtig, meint Bettina Kaiser. Sie geben den Kindern als Erstes die Sprache weiter. Häufig sei das nicht deutsch. Dafür gibt es das Projekt Lesebrücke. Das Besondere daran ist: Paten lesen Kindern auf Türkisch oder Italienisch vor. „Eine Umgebung, in der man sich wohlfühlt, ist für ein Kind das Wichtigste“, sagt Kaiser. Für viele Kinder sei Türkisch vertrauter als Deutsch. „Häufig heißt es ja: Die Kinder sollen zuerst Deutsch lernen.“ Kinder sind dann dem latenten Vorwurf ausgesetzt, in der Fremdsprache hängen zu bleiben. „Ich bin fest davon überzeugt, dass das Vorlesen in der Muttersprache eine gute Basis dafür ist, später auch besser Deutsch zu lernen“, sagt Kaiser.

Nützlich sei es, schon sehr früh mit dem Vorlesen anzufangen. Häufig werde aber vergessen, dass auch ältere Kinder davon profitieren. Um das zu ändern, dafür ist Mareike Reents zuständig. Sie absolviert gerade ihr Freiwilliges Soziales Jahr Kultur und betreut dabei das Projekt „chill’n’listen“. Dabei geht sie mit mehreren Lesepaten in die fünfte Klasse einer Werkrealschule. Die Klassen werden in kleinere Gruppen aufgeteilt, denen dann von den Paten vorgelesen wird. „So können Kinder und Paten schneller Vertrauen zueinander fassen“, sagt Reents. Über ein ganzes Schuljahr hinweg kommen die Paten jede Woche in die Schule.

Häufig ist bei Kindern Lesen negativ behaftet

Häufig ist bei den Kindern das Lesen negativ behaftet. „Das liegt daran, dass sie bisher keine Erfolgserlebnisse damit hatten.“ Bei „chill’n’listen“ ändert sich das oft schlagartig. „Nach ein paar Wochen fragen die Zehnjährigen sogar, ob sie selbst einmal vorlesen dürfen. Die Basis dafür ist das Vertrauen zu den Paten und in die eigene Stärke“, erzählt sie. Der Grund dafür ist einfach, sagt Reents: „In kleinen Gruppen haben sie keine Angst bloßgestellt zu werden.“

Für Bettina Kaiser ist das ein Teil des Erfolges: „Das Konzept der kleinen Gruppen ermöglicht den Kindern einen geschützten Rahmen, der klein und vertraut ist“, sagt sie. Wenn Kinder sich trauen, selbst zu lesen und merken, wie es ihnen gelingt, haben sie Erfolgserlebnisse. Das sei elementar, damit Kinder Lesen als etwas Positives sehen. Die Paten tragen durch ihre langjährige Arbeit das ihre dazu bei: „ Dadurch haben die Kinder immer dieselbe Bezugsperson, sie empfinden Geborgenheit und öffnen sich für Sprache, Geschichten und Bücher.“

Infos für Interessierte

Der Verein „Leseohren aufgeklappt“ veranstaltet regelmäßig Informationsabende in der Stadtbibliothek am Mailänder Platz. Dort können sich Interessierte mit Lesepaten austauschen. Nächster Termin ist der 31. Mai um 18 Uhr in Rudolfs Küche und Café im Treffpunkt Rotebühlbau. Um Anmeldung per Mail an info@leseohren-aufgeklappt.de wird gebeten. Weitere Informationen gibt es im Internet unter www.leseohren-aufgeklappt.de.