Das Angebot „Besuch und Buch“ in Plochingen wird gut angenommen – auch wenn Bücher dabei nicht ganz die Rolle spielen, die ihnen zugedacht war.
Vorleserunde im Seniorenzentrum Haus Edelberg in Plochingen. Heike Renz hält ein aufgeschlagenes Buch in die Runde und zeigt ein Bild von der Kartoffelernte in den Nachkriegsjahren. Sie wird prompt korrigiert: Das sei nicht die Kartoffel-, sondern die Rübenernte, erklärt die Seniorenrunde zu Recht. Sieben Frauen und Männer sind zu dem offenen Angebot gekommen und kommentieren die Fotos ebenso wie die Kurzgeschichten, die Renz vorliest. Die Ehrenamtliche knüpft mit Fragen ans Gehörte oder Gesehene an: „Wo sind Sie aufgewachsen, auf dem Land oder in der Stadt?“, fragt sie. „Und was hatten Sie für Nachbarn?“ Das weckt Erinnerungen und den Redefluss. Die Bücher, die Renz nutzt, haben in der Stadtbücherei ein eigenes Regalfach; die Freiwilligen des Projekts wissen, dass sie hier geeignetes Material finden.
„Besuch und Buch“ ist ein Dienst der evangelischen Kirchengemeinde in Kooperation mit der Plochinger Stadtbücherei. Die Idee, alten oder nicht mobilen Menschen aus einem Buch vorzulesen und dann darüber zu sprechen, die anfangs hinter dem Projekt stand, hat allerdings nicht wirklich gegriffen. So erzählt Ute Thiele, eine andere Ehrenamtliche, von dem Mann, den sie besucht: Er habe „gleich gesagt, dass er keine Bücher vorgelesen bekommen möchte und auch nichts mit Kirche“. Stattdessen unterhalte sie sich einfach sehr gern mit ihm, zumal er wie sie selbst aus Norddeutschland komme. Der Austausch mit einem, dem der Schnabel ähnlich gewachsen ist, tue ihr richtig gut.
Diakonin bringt die Paare zusammen
Auch in anderen Fällen hat sich aus den Besuchen schon fast eine Freundschaft entwickelt, die beide Seiten schätzen. Dass es so gut funktioniert, führen die Frauen auch darauf zurück, dass Diakonin Sabine Speidel „eine unglaublich glückliche Hand“ beim Zusammenstellen der Paare hat. Wenn bei ihr eine Anfrage von Besuchsdienst-Interessierten eingeht, macht sie zunächst selbst einen Hausbesuch. Das schafft eine Vertrauensbasis, vor allem aber hat sie danach eine Vorstellung, welche Ehrenamtliche zur jeweiligen Person passen könnte. Derzeit gibt es neun Ehrenamtliche, drei davon besuchen sogar zwei verschiedene Personen. Zu ihnen gehört Monika Barner, die dafür oft den ganzen Nachmittag reserviert, wobei auch mal Gartenarbeit, Singen, ein Spaziergang oder Essengehen auf dem Programm stehen. Ihre Besuchspersonen seien sehr unterschiedlich und beide „sehr bereichernd“, findet sie.
Diakonin Speidel freut sich über die hohe Nachfrage, ob mit oder ohne Vorlesen. „Bei den meisten ist es tatsächlich so, dass Gesprächspartner oder -partnerinnen fehlen“, weiß sie. Die Bücher seien eigentlich das Mittel zum Zweck, um miteinander ins Gespräch zu kommen, meint Büchereileiterin Alexandra Frisch, das passe gut zum Anspruch der Bücherei.
Projekt hat keinen Missionsauftrag
Einige der Besuchten lesen zwar gerne, können das aber noch selbst – sie können sich von ihren Freiwilligen auch etwas in der Bücherei ausleihen lassen. Und ein Paar spricht tatsächlich regelmäßig über ein Buch, genauer: über die Bibel. Das ist der Wunsch der Besuchten, dem die Besucherin gerne nachkommt. Einen Missionsauftrag verfolge das Projekt aber auf keinen Fall, betont Speidel.
Den Besuchsrhythmus legen die Paare jeweils selbst fest, mal wöchentlich, mal seltener, mal nach telefonischer Absprache. Die Freiwilligen sind zwischen Ende 40 und Mitte 70 und damit im Durchschnitt noch recht jung für diese Art des Engagements. Sie bekommen als „Bonbon“ den Leihausweis für die Bücherei kostenlos und tauschen sich regelmäßig untereinander aus. Einmal jährlich findet eine Fortbildung statt, die auch für die Allgemeinheit ausgeschrieben wird – „in der Hoffnung, dass vielleicht auch jemand beim Projekt hängenbleibt“, sagt Sabine Speidel.
Neue Engagierte sind willkommen
Das Projekt
In gut zwei Jahren hat sich „Besuch und Buch“ gut etabliert. Vorbild war ein ähnliches Projekt in Nürtingen. Besucht werden nicht nur alte Menschen, sondern auch andere, die eingeschränkt oder chronisch krank sind. Wer einen Besuch wünscht, kann sich bei Diakonin Sabine Speidel melden: Telefon 0151 54400093 oder E-Mail sabine.speidel@elkw.de.
Mitmachen
Wer sich engagieren möchte, findet bei Besuch und Buch eine offene Gruppe von Ehrenamtlichen, die gerne neue Engagierte integriert. Auch dafür ist Sabine Speidel die Kontaktperson. In der Regel macht man einmal pro Woche oder einmal alle zwei Wochen einen Besuch, der etwa eine Stunde dauert.