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Wirtschaftsingenieur-Studenten lernen, wie sie besser mit Stress umgehen können.

Stuttgart - Studenten leiden zunehmend unter Zeitdruck und Überforderung. Am Karlsruher Institut für Technologie gibt es jetzt ein Anti-Stress-Seminar. Wir haben gut zugehört und viel gelernt.

"Wer hat an der Uhr gedreht, ist es wirklich schon so spät?" Ich nehme am Seminar gegen Stress für Studenten am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) teil. Das Thema lautet Zeit- und Lernmanagement. Mir fallen sofort Paulchen Panthers Liedzeilen ein. Und das Thema kommt mir gelegen. Ich gehöre nämlich zu den Menschen, denen dauernd die Zeit wegrennt. Die Folge: Ich muss hetzen oder Aufgaben unerledigt liegen lassen, die eigentlich wichtig sind.

Es beruhigt mich, dass auch andere nicht mit ihrer verfügbaren Zeit zurechtkommen. Zum Beispiel angehende Wirtschaftsingenieuren am KIT. In einer Studie hat der Psychologe Ulrich Ebner-Priemer herausgefunden, dass die Studenten in der Prüfungszeit im Schritt wöchentlich 42 Stunden als reine Lernzeit aufbringen. Zwölf von ihnen lernen nun in 14 Sitzungen, wie sie ihre Stresstreiber erkennen, was sie dagegen tun können und wie sie optimistischer und vor allem effizienter an Aufgaben herangehen statt sich unter Druck zu setzen. Die Mannheimer Diplompsychologin Marcia Duriska entwickelte das Seminar im Rahmen ihrer Doktorarbeit. Mit Stress kennt sie sich gut aus. Sie sagt, dass sie als Studentin eine 60-Stunden-Woche hatte. So bald wie möglich sollen die Anti-Stress-Trainings landesweit an Universitäten angeboten werden. Duriska ist davon überzeugt, dass die Studenten das Angebot dankbar annehmen. "Viele gehen nicht zum Psychologen, weil ihre Hemmschwelle zu groß ist."

Vier von zehn zeigen Konzentrationsschwäche

Dabei leiden immer mehr Studenten im Südwesten an psychischen Problemen. Vier von zehn zeigten Konzentrationsschwierigkeiten, ein Drittel Nervosität, ein Sechstel hat depressive Verstimmungen, sagt Nicole Battenfeld von der Techniker Krankenkasse (TK) Baden-Württemberg. "Eine Ursache ist die Umstellung auf Bachelor und Master und die damit gestiegene Arbeitsbelastung." Zudem reagierten Studenten verschieden empfindlich auf Leistungs- und Prüfungsdruck. "Manche kommen damit besser klar als andere. Immer mehr Studenten lassen sich Antidepressiva verschreiben." Die Krankenkasse finanziert das Anti-Stress-Seminar. Über die Summe schweigt Battenfeld.

Ich sitze also inmitten von zwölf Studenten. Außer zwei kommen wir alle pünktlich. Mein Sitznachbar sagt, dass er besonders in den Prüfungsphasen nicht abschalten kann. "Selbst wenn ich drei Stunden Pause habe, lerne ich." Seine Kommilitonin stressen die vielen Klausuren. Der Stoff sei schwierig, deshalb müsse sie eine Menge büffeln.

Studenten vertun sich oft, wenn sie ihre Lern- und Prüfungszeit einschätzen, sagt Duriska. Mit der Alpen-Methode gelinge eine bessere Zeitplanung. In mir keimt Hoffnung. Eine realistische Zeitplanung fiel mir bislang so leicht wie auf einer Hand zu laufen. "Für ein gutes Zeitmanagement sollte man höchstens 70 Prozent der Zeit verplanen", rät Duriska. Die restlichen 30 Prozent solle man als Puffer für Unerwartetes frei halten.

Alpen also. A bedeutet Aufgaben notieren, die zu erledigen sind. Wie eine To-do-Liste, die oft in Form eines Schmierzettels auf meinem Tisch liegt, denke ich. "Es hilft, alles aufzuschreiben", sagt Duriska. L bedeutet Länge der Aufgabendauer schätzen und P Pufferzeiten einplanen. E steht für Entscheidungen treffen: Welche Aufgabe kommt zuerst? N heißt Nachkontrolle am Abend und unerledigte Aufgaben auf den nächsten Tag verschieben.

Die beste Zeitplanung bringt aber nichts, wenn wir uns von Zeitdieben die kostbaren Stunden klauen lassen. Leider entpuppen sich die Zeitdiebe als die eigentlich angenehmen Dinge des Alltags: das Telefon oder unerwarteter Besuch. Trotzdem ist es einfach, sie abzustellen oder loszuwerden. Man muss es nur wollen. Den Anrufbeantworter einschalten, geplante Anrufe abends erledigen, Handy ausschalten, anrufen, wenn man weiß, dass keiner ans Telefon geht, eine E-Mail schreiben, weil der Gesprächspartner redet wie ein Wasserfall. "Unangemeldetem Besuch sollte man ein Zeitlimit setzen oder mit ihm einen Termin verabreden", sagt Duriska. Gegen die Zeitfresser Unentschlossenheit, Müdigkeit und mangelnde Motivation hilft eigentlich nur, die Konsequenzen zu bedenken und sich zu fragen, ob ein schlechteres Ergebnis einen auch zufrieden stellt. Oder eine Stunde früher zu Bett gehen.

Mit einer Menge Methoden verlasse ich nach dreieinhalb Stunden den Campus. Ich habe ein gutes Gefühl. Künftig bin ich diejenige, die an der Uhr dreht - und zwar den großen Zeiger zurück.