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Vor 20 Jahren hatten viele Menschen regelrecht Angst davor, in einen Straßentunnel zu fahren. Die Bilder mehrerer Horror-Brände mit zahlreichen Toten hatten sich in das Gedächtnis gebrannt. Seither ist die Wahrscheinlichkeit für solche Unglücke extrem gesunken.

München/Paris - Für die Opfer des Flammeninfernos gab es in der kilometerlangen, rauchgeschwängerten Röhre kein Entkommen. Manche schafften es noch nicht einmal aus ihren Fahrzeugen, bevor sie an den giftigen Dämpfen erstickten. Andere verglühten in den Schutzräumen, die sich auf mehr als 1000 Grad erhitzten. Bei dem verheerenden Brand im Montblanc-Tunnel im Jahr 1999 starben 39 Menschen. Am 24. März jährt sich die Katastrophe zum 20. Mal.

Seither ist in puncto Tunnelsicherheit viel passiert. Nach dem Unglück in der knapp zwölf Kilometer langen Röhre, die Frankreich und Italien miteinander verbindet, und weiteren Horror-Bränden um die Jahrtausendwende herum wurde die Politik aktiv. Inzwischen gibt es EU-weit verbindliche Vorgaben. Neue Bauwerke müssen hohe Standards erfüllen, bei älteren wurden Milliarden Euro in Nachrüstungen gesteckt. Mit Erfolg: 2015 stellte der ADAC seine Tunneltests ein - weil alle geprüften Tunnel die Noten sehr gut oder gut erhielten.

Meilenstein für einheitliches Sicherheitslevel

„Diese EU-Richtlinie war ein Meilenstein für ein einheitliches Sicherheitslevel von Straßentunneln in Europa. Hier wurden Mindestanforderungen für die organisatorische, bauliche, technische und betriebliche Sicherheit von Tunneln festgelegt“, erläutert ADAC-Sprecher Johannes Boos. Die 2006 in Kraft getretene Richtlinie gilt für alle Tunnel des transeuropäischen Straßennetzes, die länger als 500 Meter sind. Auch das Nicht-EU-Land Schweiz hat die Anforderungen übernommen.

Unter anderem Deutschland geht in vielerlei Hinsicht über die Vorgaben aus Brüssel hinaus. „Die stellen für uns Mindeststandards dar, in den meisten Fällen liegen wir darüber“, betont Christof Sistenich von der Bundesanstalt für Straßenwesen. 415 Tunnel mit einer Gesamtröhrenlänge von mehr als 350 Kilometern gab es nach den jüngsten Daten vom vergangenen Sommer in Deutschland. 20 Tunnel befanden sich im Bau, weitere 90 wurden konkret geplant.

Die meisten von ihnen liegen - topographisch bedingt - in Baden-Württemberg und Bayern. Im Schnitt sind die Tunnel in Deutschland rund 670 Meter lang und etwa 25 Jahre alt. Entsprechend viel Geld kostete es, sie auf den neusten Stand zu bringen: 1,2 Milliarden Euro flossen in das Tunnelnachrüstungsprogramm des Bundes.

Fluchtwege nicht gekennzeichnet

Heutzutage kann man sich kaum noch vorstellen, welch düstere Löcher Tunnel früher waren. „Der Nutzer sollte bei seiner Passage im Tunnel nicht irritiert oder abgelenkt werden“, erinnert sich Experte Sistenich. Die Wände waren dunkel, nichts sollte leuchten, blinken oder reflektieren. Eine Folge daraus, die auch beim Unglück im Montblanc eine fatale Rolle spielte: Notausgänge waren möglichst unauffällig markiert, Fluchtwege nicht gekennzeichnet.

„Von dieser Einstellung ist man völlig abgerückt. Man kennzeichnet heute die Notausgänge sehr deutlich, sehr auffällig, und gibt zudem noch Informationen, in welchen Entfernungen die nächsten Notausgänge liegen“, erläutert Sistenich.

Auch bei der Technik und der baulichen Ausstattung hat sich viel getan. „Früher ist man davon ausgegangen: Wenn ich eine hochwertige Rauchabsaugung habe, brauche ich keine Notausgänge“, schildert der Experte. Heute sind nicht nur leistungsfähige Lüftungsanlagen, sondern auch parallel laufende Notstollen oder Stichstollen ins Freie Standard.

Die Sicherheitsfachleute haben auch in anderer Hinsicht aus dem Inferno im Bauch des Montblancs gelernt. Damals waren viele Opfer in den Schutzräumen verglüht, weil die Türen den Hochofen-Temperaturen auf der anderen Seite nicht standhielten. Auch heute noch leisten die dicken Sicherheitstüren den Flammen im Zweifel nur 90 Minuten lang Widerstand. Doch Schutzräume, die auf der Rückseite keinen Ausgang zum Fliehen haben, gibt es in Deutschland gar nicht erst.

Bis 2019 Zeit für die Nachrüstungen

Passiert in den Röhren ein Unfall oder Brand, werden die Bilder aus den Überwachungskameras heute automatisch auf den Monitoren in den Tunnelleitzentralen eingeblendet. Die Fachleuten können dann nicht nur sofort die Einfahrt weiterer Fahrzeuge in den Tunnel stoppen, sondern sich für Durchsagen auch auf die Radiofrequenz aufschalten, die die Fahrer im Tunnel hören können.

In der Schweiz, in der zwölf Prozent der Nationalstraßen unterirdisch verlaufen und wo damals zwei weitere tödliche Tunnelbrände zu betrauern waren, werden bis Ende dieses Jahres alle Röhren mit dem Digitalradioempfang DAB+ ausgestattet. Auch Frankreich, ein weiteres wichtiges Reiseland für die Deutschen, überprüft seine Tunnel intensiv. Nicht allzu glänzend steht im internationalen Vergleich hingegen Italien da. Zwar hatte das Land wegen seiner besonders vielen Tunnel nicht nur bis 2014, sondern bis 2019 Zeit für die Nachrüstungen. Doch Experten gehen nicht davon aus, dass die Hausaufgaben bis Ende des Jahres geschafft sein werden.

Nach dem Brückeneinsturz in Genua im letzten Sommer ist das Vertrauen in die marode Infrastruktur ohnehin angeschlagen. Die Italiener nehmen die Lage mit Galgenhumor. Ihrem Verkehrsminister Danilo Toninelli haben sie nach einer blamablen Aussage zum neuen Brenner-Tunnel kurzerhand einen Spitznamen verpasst: „Tunninelli“.