Axel Röckle (rechts) im Sommergespräch mit Thomas K. Slotwinski an der Leonberger Bosch-Baustelle im August 2024 (linkes Foto) ... und im August 2023. Foto: Simon Granville

Axel Röckle, der Fraktionschef der Freien Wähler in Leonberg, hält es für „skandalös“, dass im Zerwürfnis zwischen OB Cohn und Bürgermeisterin Schmid die Prüfungen der Kommunalaufsicht nach mehr als 13 Monaten immer noch laufen.

Was aus schönen Plänen werden kann, will Axel Röckle mit der Wahl seines Orts für das Sommergespräch zeigen. Zur Bosch-Baustelle in der Leonberger Kernstadt war der Fraktionschef der Freien Wähler schon im vergangenen Jahr erschienen.

 

Herr Dr. Röckle, nun stehen wir ein zweites Mal an der Bosch-Baustelle. Während vor einem Jahr ein riesiges Loch vor uns klaffte, ist nun die Baugrube zugeschüttet. Fast könnte man meinen, hier soll ein Park entstehen.

Das wäre zwar schön, in einem Gewerbegebiet aber keine sinnvolle Lösung. Wir haben ja ohnehin zu wenige Gewerbeflächen. Der Wandel von der tiefen Grube zur platten Fläche zeigt das generelle Dilemma: Die Stadt ist völlig abhängig von den Investitionsentscheidungen der Wirtschaft. Erinnern Sie sich an die Euphorie, die vor gut zwei Jahren geherrscht hatte, als es hieß, dass Bosch aus einem Teil der Poststraße einen Campus machen würde? Immerhin hat das Unternehmen sein erstes Gebäude fast fertiggestellt. Das ist gut für Leonberg, weil es ja ein Standortbekenntnis ist. Weniger gut ist, dass nun eine wertvolle Fläche brach liegt.

Wäre das nicht ein ideales Gelände, um mehr Wohnraum zu schaffen?

Theoretisch ja. Aber wie gesagt: Wir haben jetzt schon zu wenige Gewerbeflächen. Und an der Umsetzung der vorhandenen Flächen in Gebersheim und Höfingen hapert es noch.

Der Hinweis auf fehlende Gewerbeflächen schafft keinen neuen Wohnraum.

In der Tat gehen die Genehmigungen für Wohnungsbau massiv nach unten. Die Rahmenbedingungen sind nicht so, dass viel investiert wird. Das betrifft nicht nur den staatlichen Wohnungsbau, sondern auch die privaten Investitionen für den Eigenbedarf. Früher galt der Grundsatz, dass die eigenen vier Wände die beste Altersversorgung sind. Die von den Grünen ursprünglich angestrebten energetischen Zwangssanierungen führen aber zu einer massiven Entwertung, weil die meisten älteren Menschen diese erheblichen Zusatzkosten gar nicht stemmen können. Von einem erheblichen Vertrauensverlust und einer totalen Verunsicherung ganz abgesehen. Dabei ist es immer noch so, dass neben dem zweifelsfrei hohen Bedarf an bezahlbarem Wohnraum auch viele Einfamilien- und Zweifamilienhäuser fehlen.

Gibt es denn überhaupt noch Flächen?

Grundsätzlich gilt: Kein Wachstum um jeden Preis. Die Infrastruktur, also Schulen, Straßen, Kläranlagen und andere Einrichtungen, müssen immer mithalten.

Stichwort Verunsicherung: Was kommt mit der Grundsteuerreform auf uns zu?

Wir müssen davon ausgehen, dass die allermeisten Grundstücke höher bewertet werden. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die Grundsteuerhebesätze von den Kommunen gesenkt werden müssen, damit am Ende das Ganze kostenneutral bleibt. Das hat eine starke soziale Komponente, weil die Grundsteuer in der Regel auf die Miete umgelegt wird. Aber ich fürchte, dass für viele Kommunen die Versuchung, auf diesem Weg mehr Steuern einzunehmen, sehr hoch sein wird.

„In Leonberg ist der Hangar direkt am Krankenhaus“

In der Diskussion um die Rettungshubschrauber vermehren sich die Signale, dass es in Pattonville Nachtflüge geben könnte.

Das große Manko von Pattonville ist, dass dort die Ärzte nicht unmittelbar am Helikopter präsent sind. So vergehen im Ernstfall womöglich lebensrettende Minuten. In Leonberg ist das Krankenhaus direkt am nachtflugtauglichen Hangar.

Ist das Krankenhaus sicher?

Das Problem liegt im Gesundheitssystem selbst; denn das ist ein Patient. Was hilft es, wenn die Lebenserwartung theoretisch aufgrund des medizinischen Fortschrittes erfreulicherweise zwar steigt, aber die Voraussetzungen für die ärztliche Versorgung vor Ort dafür nicht gegeben sind? Das betrifft nicht nur die Kliniken, sondern auch völlig überlaufene Arztpraxen und Pflegeheime.

Die Diskussionen um die Führung im Rathaus haben zugenommen.

Wir brauchen dringend eine funktionierende Verwaltung. Das ist keinesfalls als Generalkritik an den Mitarbeitern zu verstehen. Viele machen unheimlich viel, damit der Laden überhaupt läuft. Andere sind schon gegangen. Deshalb müssen die Leitungsfunktionen anders wahrgenommen werden.

Das bedeutet?

Die Bundestagswahl ist am 28. September 2025. Ich rechne damit, dass dies auch der Zeitpunkt der Leonberger OB-Wahl ist. Der Gemeinderat sollte dafür Sorge tragen, dass sich geeignete Kandidaten zur Wahl stellen.

Wird es einen gemeinsamen Kandidaten von Freien Wählern und CDU geben?

Wir schauen uns erst einmal um und werden uns dann gegebenenfalls abstimmen.

Die CDU fordert den Abtritt des Oberbürgermeisters.

Ich bin mir durchaus dessen bewusst, dass Herr Cohn an seinem Posten hängt. Das ist auch nicht verwerflich. Die Hauptaufgabe eines Chefs besteht allerdings darin, die Verwaltung so aufzustellen, dass sie läuft und es beispielsweise keine Schlangen vor dem Bürgeramt gibt. Erst wenn alles funktioniert, kann sich ein Oberbürgermeister dem Schreiben von Büchern oder anderen Dingen der Selbstverwirklichung und wie auch immer gearteten Freizeitaktivitäten widmen.

Trägt das Zerwürfnis zwischen dem OB und der Ersten Bürgermeisterin nicht erheblich zu den Problemen bei? Josefa Schmid ist ein Jahr im Zwangsurlaub.

Es ist skandalös, dass es das Regierungspräsidium als Aufsichtsbehörde nach mehr als 13 Monaten nicht geschafft hat, in diesem Fall zu entscheiden. Ich habe den Eindruck, dass man versucht, das Problem zeitlich hinaus zu verwalten. Die Ausrede, dass zunächst die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft abgeschlossen sein müssen, zieht nicht mehr. Das Thema ist von einer solchen Brisanz und öffentlichem Interesse, dass man hätte schneller arbeiten müssen. Denn egal, wie das Regierungspräsidium entscheidet: Eine Seite wird nicht zufrieden sein und vermutlich den Rechtsweg beschreiten…

… und der kann wiederum sehr lang sein. Sind solche Ereignisse mit ein Grund für Politikverdrossenheit?

Ganz grundsätzlich sollte die Politik – egal ob in Berlin oder Leonberg – keine unerfüllbaren Erwartungen wecken. Das fängt bei der Bildung und der Kinderbetreuung an, wo das Personal fehlt, und hört beim Nahverkehr auf. Geht es nach dem grünen Verkehrsminister Hermann, sollen jetzt die Kommunen über Umlagen den Nahverkehr mitfinanzieren. Im Ergebnis liefe das auf eine weitere Abgabe für die Bürger hinaus.

Spielt der Klimawandel keine Rolle?

Durchaus. Wenn ich die Menschen zum Umsteigen bewegen möchte, dann muss doch erst das bestehende Angebot funktionieren. Fragen Sie mal die Pendler, die jeden Tag auf die S-Bahn angewiesen sind. Deshalb ist es die dringlichste Aufgabe, verlässliche Verbindungen sicherzustellen. Dass durch lange Lokführer-Streiks der Unsicherheitsfaktor bei der Bahn noch stärker wird, kommt erschwerend hinzu.

„Nachhaltigkeit hat viel mit finanziellem Handlungsspielraum zu tun“

Also besser mehr E-Autos?

Ich halte es für richtig, über alternative Energien zu sprechen. Wobei jedem, der Umweltschutz als Ganzes sieht, klar sein müsste, dass Elektroantriebe nicht das einzig selig machende sind. Außerdem können wir auch bei Verbrennern was tun. Wer braucht wirklich ein Auto mit 300 PS?

Gegenwärtig wird viel über Standorte für Windkrafträder diskutiert.

Die sind für die Kommunen finanziell interessant, weil sie stark bezuschusst werden. Doch wenn die Förderung wegfällt, fangen die Probleme an: Dann haben wir versiegelte Flächen mitten in der Landschaft. Hier gilt es, das richtige Maß zu finden.

Was kann sich Leonberg noch leisten?

Eine solide Haushaltsführung ist auf den ersten Blick kein attraktives Thema. Wobei Nachhaltigkeit sehr viel mit der eigenen finanziellen Handlungsfähigkeit zu tun hat, gerade mit Blick auf die nachfolgenden Generationen. Der Gemeinderat hatte auf seiner letzten Finanzklausur ein jährliches Investitionsprogramm von 25 Millionen Euro festgelegt. Im aktuellen Haushalt stehen aber Investitionen von 43 Millionen Euro, dabei wissen wir genau, dass wir das nicht umsetzen können. Auch das Regierungspräsidium hat in seiner Stellungnahme zum Haushalt von einem „kaum umsetzbaren Maßnahmenpaket“ gesprochen.