Ärger im Bürgerbüro, ein schwieriges Verhältnis zum Gemeinderat, juristische Auseinandersetzungen mit Bürgermeisterin Josefa Schmid: OB Cohn hat mit vielen Problemen zu kämpfen. Im Interview wehrt er sich gegen Kritik – und teilt selbst aus.
Eine neues Domizil für das Bürgeramt: Das ist eine echte Neuigkeit, mit der der Leonberger Oberbürgermeister Martin Georg Cohn (SPD) beim Sommergespräch unserer Zeitung aufwartet. Doch das ist nicht das einzige spannende Thema.
Herr Cohn, wie geht es Ihnen?
Nach meiner überstandenen Gürtelrosen-Erkrankung geht es mir wieder gut. Meine Tatkraft ist nicht eingeschränkt. Darüber bin ich froh und dankbar.
Ihre Tatkraft werden Sie vor allem benötigen, um die Situation im Bürgeramt zu verbessern. Jüngst hatte es einen Vorfall gegeben – und daraufhin wurden die Mitarbeiterinnen von ihren Vorgesetzten nach Hause geschickt. Dass Sie das Verhalten der Bürgeramts-Besucher in einer Videobotschaft kritisiert haben, hat Ihnen viel Unmut eingebracht.
Es ging mir nicht um Schuldzuweisungen. Vielmehr habe ich zu gegenseitigem Verständnis aufgerufen. Ich glaube unseren Bürgerinnen und Bürgern, dass sie niemanden beleidigen wollten. Die Frage ist, wie es bei den anderen ankommt. Oft genügt da ein falsches Wort, das gar nicht böse gemeint ist. Das ist das Sender- und Empfängerprinzip.
Unabhängig davon ist die Lage im Bürgeramt mehr als angespannt.
Wir haben drei Problemkreise: eine nicht ausreichende Personalausstattung. Die räumliche Ausstattung sowie der bauliche Zustand der Büros im Alten Rathaus entsprechen heutigen Anforderungen nicht. Schließlich erzeugen die Security-Mitarbeiter bei einigen Besucherinnen und Besuchern ein unbehagliches Gefühl: Sie fühlen sich als Bittsteller und als nicht erwünscht.
Wie könnte eine Lösung aussehen?
Mein Vorschlag ist, das Bürgeramt in das Untergeschoss der nun leer stehenden Karstadt-Etagen im Leo-Center zu verlegen.
Das geht so ohne Weiteres?
Das ist machbar. Ich stehe bereits in konkreten Gesprächen mit der Leo-Center-Betreibergesellschaft ECE. Wir hätten dort viel Platz, nicht nur für die Schalter, sondern auch für komfortable Wartebereiche mit Spielecken. Außerdem könnte die Stadt als Untervermieterin für Start-ups und ähnliche Projekte auftreten. Es sollte sich somit ein Marktplatzcharakter entwickeln.
Die Stadt wäre also Mieterin des bisherigen Karstadt-Untergeschosses?
Ja. Das bringt für ECE Verlässlichkeit und erhöht im Leo-Center die Frequenz…
… die vom Marktplatz abgezogen wird.
Deshalb will ich der Post anbieten, die im Leo-Center geschlossene Filiale in das Alte Rathaus zu verlegen. Somit wird am Marktplatz der Publikumsverkehr gehalten.
Wie konkret ist das Ganze?
Der Vertragsentwurf zwischen ECE und Stadt wird derzeit erarbeitet. Damit zeigen wir Verantwortung fürs Leo-Center. Im Oktober möchte ich das Thema in den Gemeinderat zur Entscheidung bringen. Die Security brauchen wir dann nicht mehr. Mit der ECE soll zunächst ein Zehnjahresvertrag mit optionaler Verlängerung geschlossen werden.
Und das Personalproblem?
Wir übernehmen vier Beschäftigte aus der ehemaligen Karstadt-Belegschaft. Drei von ihnen sollen im Oktober im Bürgeramt anfangen. Damit stocken wir das Service-Personal von fünf auf acht auf. Damit bewegen wir uns im Rahmen unseres Stellenplans.
Personalmangel ist überall ein Thema. Hat das mit dem schlechten Image der Stadt oder der Kritik an Ihnen zu tun?
Es ist zu platt, einfach zu sagen, das liegt am Image oder am Oberbürgermeister. Vielmehr kannibalisieren sich die Verwaltungen momentan selbst, indem sie sich gegenseitig Personal abwerben. Der Chef unseres Gebäudemanagements wechselt zum Beispiel wieder nach Kornwestheim, weil er dort eine höher dotierte Position bekommt. Auch der hohe Arbeitsanfall und die zunehmenden Vorschriften tragen zu Kündigungen bei. Doch die Lage ändert sich gerade. Die Wirtschaft bietet zusehends keine sicheren Jobs mehr. VW oder Breuninger sind aktuelle Beispiele. Davon wird der öffentliche Dienst mittelfristig profitieren. Ich habe heute unsere 24 neuen Auszubildenden begrüßt. Da war nicht von einem schlechtem Image der Stadt die Rede, sondern von sicheren Arbeitsplätzen.
Dennoch: Ihr Konflikt mit der Ersten Bürgermeisterin Josefa Schmid belastet das Rathaus und die Stadt stark.
Mir wird vorgeworfen, dass ich ihr aus privaten Befindlichkeiten das Ausüben der Dienstgeschäfte verboten habe. Dem ist nicht so. Die Entscheidung ist auf Grundlage einer juristischen Prüfung gefallen, die von dritter Seite vorgenommen wurde.
Sie haben eine Kanzlei beauftragt?
Ich habe die Vorgänge von zwei unterschiedlichen Anwaltsbüros bewerten lassen, sowohl aus strafrechtlicher als auch aus beamtenrechtlicher Sicht, weil ich mir selbst nicht zugetraut habe, den Fall zu bewerten. Mir wurde geraten, das Dienstverbot auszusprechen, weil ich sonst der Mittäterschaft beschuldigt werden könnte. Von einer persönlich motivierten Fehde ist also keine Rede.
Ein zentraler Kritikpunkt ist, dass das Verfahren mehr als 14 Monate andauert.
Frau Schmid hätte unverzüglich nach dem Aussprechen des Dienstverbots Gelegenheit gehabt, die Entscheidung beim Verwaltungsgericht in einem Eilverfahren überprüfen zu lassen. Das hat sie nicht gemacht. Stattdessen werden von ihr die Fristen vollumfänglich ausgeschöpft sowie in diesem Zusammenhang immer wieder Fristverlängerungen beantragt, so wird das Verfahren hinausgezögert.
In der Kritik steht vor allem das Regierungspräsidium.
Das Regierungspräsidium ist bei der Verfahrensdauer außen vor. Es muss ein Disziplinarverfahren beurteilen und ist damit die letzte Instanz. Der Ball liegt bei der ermittelnden Staatsanwaltschaft und dem Verwaltungsgericht, das die Entscheidung des Dienstverbotes überprüft. Deshalb machen weder der vom CDU-Vorsitzenden Oliver Zander angekündigte Sitzstreik vor dem Regierungspräsidium, noch die von der FDP erwogene Demonstration irgendeinen Sinn.
Fakt bleibt, dass all diese Verfahren sehr lange dauern.
Wie gesagt: Frau Schmid hätte direkt im Juni des vergangenen Jahres sagen können, dass sie damit nicht einverstanden ist. Sie hat dieses Verfahren hinausgezögert. Wir als Stadt haben auf die Dauer keinen Einfluss. Gleichwohl rechne ich damit, dass im Lauf des kommenden Vierteljahres ein Ergebnis kommt.
Und was passiert dann?
Das muss man sehen. Egal, wie die Entscheidung ausfällt, ich werde sie akzeptieren. Dann weiß man wenigstens, woran man ist.
In den bisherigen Sommergesprächen sind die Fraktionssprecher auf deutliche Distanz zu Ihnen gegangen. Ist eine Sacharbeit mit dem Rat noch möglich?
Sie ist immer möglich, es müssen aber beide Seiten aufeinander zugehen. Das Vertrauen muss beiderseits da sein.
Ist das Vertrauen noch vorhanden?
Es muss wieder wachsen. Dazu gehört auch, dass nicht nur über mich, sondern mit mir gesprochen wird.
Die Fraktionen kreiden Ihnen an, dass Sie sie über die Freistellung von Frau Schmid nicht vorab informiert haben.
Ich darf nicht darüber sprechen, sonst würde ich gegen das Gebot der Unschuldsvermutung verstoßen. Man könnte umgekehrt ja auch annehmen, dass der OB triftige Gründe hat, wenn er ein Dienstverbot ausspricht.
Der Gemeinderat ist neu formiert. Eine Chance für einen Neuanfang?
Es ist eine gute Möglichkeit. Zur Professionalität einer jeden Seite gehört, sich für das Wohl der Stadt einzusetzen.
Was ist das dringlichste Thema?
Die Situation im Bürgeramt zu verbessern. Das Postareal und auch das Projekt „Stadt für morgen“ sind auf den Weg gebracht. Es wird vom Land zu 60 Prozent gefördert. Die von der FDP aktuell geforderte Umgehungsstraße halte ich allein schon wegen unserer schwierigen Topografie für unrealistisch, zumal mit einer Umsetzung frühestens 2050 zu rechnen wäre. Wir sollten uns darauf konzentrieren, die Verkehrssituation in Höfingen weit früher zu befrieden.
Das Festival Leonpalooza ist in diesem Jahr ausgefallen. Kommt es wieder?
Angesichts der sehr schwierigen Finanzsituation sehe ich das eher nicht. Dafür haben wir einen tollen Neuanfang in der Stadthalle, den nach dem Weggang von Nils Strassburg niemand für möglich gehalten hätte. Unsere neue Leiterin Kathja Maneke und ihr Team ziehen an einem Strang und haben ein attraktives Programm auf die Beine gestellt. Auch die Rockkonzerte im Reiterstadion waren klasse und sollten fortgeführt werden. Da gilt mein besonderer Dank den Anwohnern.
Herr Cohn, in einem guten Jahr ist in Leonberg OB-Wahl. Treten Sie an?
Diese Entscheidung treffe ich zu einem anderen Zeitpunkt.
Zur Person
Martin Georg Cohn (58)
ist seit Dezember 2017 Oberbürgermeister von Leonberg, damals unter dem Namen Martin Kaufmann. Stand er anfangs für einen Neuanfang, so sind die vergangenen zwei Jahre geprägt vom Konflikt mit seiner Stellvertreterin Josefa Schmid und dem zusehends angespannten Verhältnis zum Gemeinderat. Cohn und Schmid haben sich gegenseitig angezeigt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.