Der Grabstein Julius von Jans ist schon in den Oberlenninger Kirchgarten verlegt. Am Sonntag wird dort seiner gedacht. Foto:  

Am Buß- und Bettag des Jahres 1938 hat der Oberlenninger Dorfpfarrer Julius von Jan den Nazis mutig die Stirn geboten. Jetzt wird er mit einem Gedenkort gewürdigt. Seine Predigt von damals ist aktueller denn je.

Lenningen - Oh Land, Land, Land, höre des Herrn Wort“, so beginnt der Oberlenninger Dorfpfarrer Julius von Jan am 16. November, dem Buß- und Bettag des Jahres 1938, seine Predigt, in deren Verlauf er die herrschenden Nationalsozialisten mit Lügenpredigern gleichsetzten wird und sie als „nationale Schwärmer, die nur Sieg und Heil rufen können“ geißelt. Eine Woche, bevor der damals 41 Jahre alte Pfarrer in der St. Martinskirche von Oberlenningen die nationalsozialistischen Machthaber mit deutlichen Worten, Bezug nehmend auf den biblischen Propheten Jeremia, an den Pranger stellt, haben in Deutschland Synagogen gebrannt und waren jüdische Geschäfte geplündert worden.

Wo ist in Deutschland der Mann, der im Namen Gottes und der Gerechtigkeit ruft, wie Jeremia gerufen hat: Haltet Recht und Gerechtigkeit, errettet den Beraubten von des Frevlers Hand! Schindet nicht die Fremdlinge, Waisen und Witwen und tut niemand Gewalt und vergießt nicht unschuldig Blut?

Die Worte, die der unerschrockene Gottesmann unter dem Eindruck der Reichspogromnacht von der Kanzel herab in die Menge geschleudert hat, sind heute, 81 Jahre später, wieder von erschreckender Aktualität. Wieder werden in diesem Land Menschen ihres Aussehens und ihrer Religion wegen verfolgt. Wieder sind „Gotteshäuser, die anderen heilig sind“, das Ziel von hassgetriebenen Angreifern.

Gott hat uns solche Männer gesandt. Sie sind heute entweder im Konzentrationslager, oder mundtot gemacht. Die aber . . . sind Lügenprediger wie die nationalen Schwärmer zu Jeremias Zeiten und können nur Sieg und Heil rufen.

Schon vor den Angriff auf die Synagoge von Halle, in deren Verlauf der an der Kirchentüre gescheiterte Attentäter zwei Menschen ermordet hatte, war die von der Evangelische Landeskirche in Württemberg und von den Lenninger Kirchengemeinden verschickte Einladung zur Einweihung eines Gedenkorts für Julius von Jan auf den Weg gebracht worden. Der Grabstein des 1964 gestorbenen und auf dem Friedhof in Korntal begrabenen Kirchenmannes war schon vor einer Woche in den idyllischen Kirchengarten nach Oberlenningen verlegt worden. Ein Gedenkstein, ein Bänkchen und die in die Mauer eingelassenen Worte „Oh, Land, Land, Land, höre des Herrn Wort“ komplettieren den Ort der Besinnung.

Die Leidenschaften sind entfesselt, die Gebote Gottes missachtet, Gotteshäuser, die anderen heilig waren, sind ungestraft niedergebrannt worden. Männer die unserem Volk treu gedient haben und ihre Pflicht gewissenhaft erfüllt haben, wurden in Konzentrationslager geworfen, bloß weil sie einer anderen Rasse angehören.

Am Sonntag, 20. Oktober, wird der württembergische Landesbischof Otfried July in der St. Martinskirche den Mut Julius von Jans im Rahmen einer um 14.30 Uhr beginnenden Gedenkfeier in der mehr als 1000 Jahre alten St. Martinskirche würdigen. Anschließend wird der Gedenkort eingeweiht. Susanne Jakubowski vom Vorstand der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg und Richard von Jan, der Sohn des Pfarrers, werden Grußworte sprechen.

Ja, es ist eine entsetzliche Saat des Hasses, die jetzt wieder ausgesät worden ist. Welche entsetzliche Ernte wird daraus erwachsen.

Für den Pfarrer Julius von Jan, dem im Jahr 2018 schon von der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem posthum der Ehrentitel „Gerechter unter den Völkern“ verliehen worden war, sollte sich sein Mut bitter rächen. Kaum eine Woche war nach seiner Predigt vergangen, als er von aus dem Umland herangekarrten Nazischergen zusammengeschlagen wurde. Es folgte ein langer Leidensweg, der ihn über verschiedene Gefängnisse schließlich in ein Strafbataillon an der Ostfront führte. Im September des Jahres 1945 kehrte er noch einmal auf seine Pfarrstelle in Oberlenningen zurück. Danach wirkte er neun Jahre lang in Stuttgart-Zuffenhausen, bevor er im Jahr 1958 seiner angeschlagenen Gesundheit wegen in den Ruhestand ging. Julius von Jan verbrachte seinen Lebensabend in Korntal (Kreis Ludwigsburg). Dort starb er am 21. September 1964.

Schon im Jahr 2013, zum 75. Jahrestag der Bußtagspredigt, hatte sich Otfried July kritisch mit der Rolle der damaligen Kirchenleitung auseinandergesetzt, die im Anschluss an die Predigt Jans sogar ein Disziplinarverfahren gegen den Pfarrer eröffnet hatte. In seiner damaligen Predigt, gehalten auf der gleichen Kanzel, von der herab auch Julius von Jan gesprochen hatte, sagte July über dessen Worte: „Er sprach klar aus, was andere verschwiegen. Es ist gegen Gottes Gebot und Verheißung gehandelt worden.“

Herr, schenke uns und unserem Volk ein neues Hören, ein neues Achten auf Deine Gebote – und fange bei uns an.

Julius von Jan schließt seine Predigt mit den Worten, dass das Bekennen der Schuld, „von der man nicht sprechen zu dürfen glaubte“ wenigstens für ihn wie das Abwerfen einer großen Last gewesen sei. „Es ist ausgesprochen vor Gott und in Gottes Namen. Nun mag die Welt mit uns tun, was sie will.“ Mit ihm ist die Welt in der Folge nicht pfleglich umgegangen.