„Hallo, geht’s noch?“ Für ihre SPD-Kollegen hat Leni Breymaier nicht immer Verständnis. Foto: Leif Piechowski

Als Vizevorsitzende der Regierungspartei SPD müsste sie eigentlich den grün-roten Sparkurs mittragen. Doch als Verdi-Landeschefin geht Leni Breymaier auf Konfrontationskurs.

Stuttgart - In der Nacht, als Rot-Grün das Herzschlagfinale gegen Schwarz-Gelb gewinnt, liegt Leni Breymaier im Bett und schläft. Nicht, dass ihr Niedersachsen egal wäre. Baden-Württembergs SPD-Vize hält die dortige Wahl sogar für ausgesprochen lehrreich. Aber nicht um 24 Uhr. „Ich hab’s heute morgen erfahren“, sagt die 52-Jährige und stimmt ein Lachen an, das ansteckt.

„Geerdet“ nennt man das wohl. Die gelernte Einzelhandelskauffrau, die sich bis zur Verdi-Landeschefin empor gearbeitet hat, ist – bei allem Temperament – nur schwer aus der Fassung zu bringen. Die Fragen zum Zustand der Südwest-SPD schaffen es jedenfalls nicht. Mangelnde Augenhöhe zu den Grünen? Winfried Kretschmann sei ein guter Regierungschef, befindet sie. Schlechte Umfrageergebnisse? Man dürfe sich nicht jagen lassen. Mangelnde Strahlkraft von Parteichef Nils Schmid? Alle hätten sein Naturell gekannt.

Vielleicht hilft ihr dabei ja auch ihr klares Koordinatensystem: Breymaier glaubt genau zu wissen, wo oben und unten ist, links und rechts. Und so zieht sie aus dem Hannoveraner Wahlergebnis den Schluss, dass ihre Partei einen Lagerwahlkampf führen sollte, anstatt zu versuchen, „überall etwas abzuholen“. Und dass sie die soziale Karte spielen muss. Nichts anderes.

Ende des Monats steht ein Tarifkonflikt an

Politik für Arbeitnehmer funktioniere eben nicht ohne die SPD, sagt die Sozialdemokratin – oder hat da gerade die Gewerkschafterin gesprochen? Bisweilen passen beide Hüte gut übereinander. Bisweilen wird das aber schwierig, und das hängt nicht nur mit dem Rentenbeschluss zusammen, den sie wie einen „Holzsplitter im Fingernagel“ spürt. Ende des Monats steht auch ein Tarifkonflikt an, der ihr noch hitzige Diskussionen eintragen wird – auch mit Schmid.

„Da bin ich ganz bei mir, ganz Gewerkschafterin“, verteidigt sie die 6,5-Prozent-Forderung für den öffentlichen Dienst der Länder. Dass Grün-Rot im Landeshaushalt gerade mal 1,5 Prozent Lohnerhöhung veranschlagt, hält sie schlichtweg für falsch. Es gehe nicht an, dass der Finanzminister eines der reichsten Bundesländer „mit der Fackel voran rennt“ und zur Sparsamkeit aufrufe.

Dass 6,5 Prozent maßlos seien, wie man ihr in der Runde entgegen hält, kontert sie. Die drei großen Schuldenbringer – die deutsche Einheit, die Steuersenkungen früherer Bundesregierungen und die Finanzkrise – hätten doch nichts mit dem Gehalt für Polizisten und Lehrer zu tun: „Die sollen’s zahlen! Hallo, geht’s noch?“ Jede Gehaltserhöhung sei schließlich ein kleines Konjunkturprogramm.

„Wir werden jedenfalls nicht jeden Dreck abschließen“

Breymaier glaubt auch nicht, dass dies die Öffentlichkeit gegen die Gewerkschaften aufbringt. Verdi könne sehr wohl vermitteln, dass die Streiks nicht gegen die Bevölkerung gerichtet seien. Die „ganz üblen Beschimpfungen“ früherer Jahre seien insgesamt weniger geworden. „Wir werden jedenfalls nicht jeden Dreck abschließen“, droht die Gewerkschafterin, lässt sich allerdings nicht entlocken, wo ihre Schmerzgrenze ist.

Dann kehrt sie flugs den SPD-Hut nach oben, denn nun geht es ihr um die Grundsätze der Finanzpolitik. Steuererhöhungen seien notwendig, um die Einnahmen des Staates zu verbessern, fordert Breymaier und schlägt gleich ein ganzes Bündel davon vor: Einmalabgabe, Vermögensteuer, Erbschaftssteuer . . . 50 Prozent der Menschen hätten schließlich „nichts oder Schulden“. Da könnten jene, die die Sahne abschöpften, sich ruhig stärker beteiligen.

Dabei will sie eigentlich nicht über Armut reden, sondern über Reichtum: „Ein Prozent der Bevölkerung hat fast ein Viertel des Privatvermögens.“

Auch eine Strukturreform im öffentlichen Dienst hält sie für notwendig: Der Staat soll das Pensionssystem aufgeben und Beamte künftig in die gesetzliche Rentenversicherung überführen. „Das dauert 20 Jahre, aber dann hätten wir’s erledigt.“ Doch die Politik schiele hasenfüßig immer nur auf die Wahltermine. Außerdem müssten ja nicht alle öffentlich Bediensteten Beamte sein, sondern nur jene mit hoheitlichen Aufgaben, fährt sie fort. Wer also nicht? Lehrer zum Beispiel legten selbst keinen Wert mehr darauf, Staatsdiener zu sein. Beamte gegen Angestellte, Rentner gegen Pensionäre – von neidgetriebenen Gegenüberstellungen hält Breymaier ohnehin nichts. Ihr Kredo: „Der einzige Konflikt ist dieser: Reich gegen Arm.“

Wenn sie es für notwendig hält, setzt sich Breymaier auch noch einen dritten Hut auf: den der Frauenrechtlerin. Ohne Quote gehe es nicht, sagt sie kurz und bündig. Frauen würden seit 2000 Jahren mit freiwilligen Selbstverpflichtungen vertröstet. Also benötigten sie die Hilfskonstruktion. Abwertend empfindet sie den Begriff Quote überhaupt nicht: „Quotenfrau? Das bin ich auch, und ich bin stolz darauf.“