Motörhead-Frontmann Ian "Lemmy" Kilmister Foto: dpa

An Heiligabend feiert Motörhead-Frontman Ian "Lemmy" Kilmister seinen 65.Geburtstag.

Stuttgart - Pfarrerssohn Ian "Lemmy" Kilmister begann seine Karriere im Showgeschäft als Roadie von Jimi Hendrix und ist seit 35 Jahren Chef von Motörhead. Am Freitag wird er 65 Jahre alt.

Manche nennen ihn Jesus. Manche sogar Gott. Im Internet kursieren Bilder, die ihn mit Dornenkrone, Heiligenschein oder mit einem Lamm auf dem Arm zeigen. Fast könnte man nachdenklich werden: Ähnelt er mit seinem Bart und seiner Haartracht nicht dem Heiland? Verfügt er nicht über eine beeindruckende Zahl devoter Jünger? Ist er nicht ein Charismatiker, der Glaubensbekenntnisse verfasst hat: "Rock'n'Roll ist die wahre Religion/Sie macht die Lahmen gehen und die Blinden sehen"?

Als wolle das Schicksal die ketzerische These bestätigen, hat es ihn ausgerechnet am 24. Dezember 1945 als Pfarrerssohn zur Welt kommen lassen: Ian "Lemmy" Kilmister, Sänger und Bassist der 1975 in Großbritannien gegründeten Rock- und Metalband Motörhead. Lange Zeit als Trash-Phänomen belächelt, feiert sie seit einigen Jahren wieder verblüffende Erfolge. Gerade ist das Album "The Wörld Is Yours" erschienen, Journalisten reißen sich um Interviews, im Januar 2011 wird der sehenswerte Dokumentarfilm "Lemmy: The Movie" auf DVD veröffentlicht. Es könnte also kaum besser laufen für Lemmy, der in den 1960er Jahren als Roadie und Drogenkurier bei Jimi Hendrix anheuerte, in der Psychedelicband Hawkwind spielte und Bands wie Metallica mit einer Art Bastard aus Rock'n'Roll, Punk und Metal maßgeblich inspirierte.

Die mitunter groteske Vergötterung seiner Person kommt nicht von ungefähr. Wenn Gott ein "unbewegter Beweger" ist, wie Aristoteles schrieb, dann hat Lemmy tatsächlich quasigöttliche Qualitäten. Er bewegt das Showgeschäft, doch er selbst bewegt sich nicht. Anstatt sich an andere anzupassen, wurde er sich selbst immer ähnlicher. Allerdings schränkt er im Gespräch mit dem Autor augenzwinkernd ein: "Ich habe Diabetes. Gott nicht. Also kann ich nicht Gott sein." Auf die Frage, wie sein idealer Platz im Himmel aussähe, entgegnet er knapp: "Ich kann mir keinen Pooltisch im Himmel vorstellen. Fällt also weg." Und in der Hölle? "Solange man in der Hausband spielt, sicher kein schlechter Platz." Man sieht: Wenn dieser Mann Gott ist, dann ging Gott bei Monty Python in die Lehre. Er führt uns nicht ins Licht. Sondern hinters Licht.

"Ich mache sowieso, was ich will"

Noch vor kurzem aber sah alles nicht so göttlich aus. Zwar waren Motörhead nie verschwunden. Doch echte Erfolge wie der Nummer-eins-Hit "Ace Of Spades" (1981) blieben aus. Erst im neuen Jahrtausend holten die Medien Lemmy aus der Versenkung der 1990er Jahre, als Multikulti, Crossover und politische Korrektheit angesagt gewesen waren. Lemmy schmeckte das nicht. Er trug demonstrativ ein Eisernes Kreuz zum Cowboyhut, schimpfte auf Feministinnen, verspottete Vegetarier, pfiff auf Innovation, pries die Wonnen schneller Lust, spielte den Rock'n'Roll kompromisslos simpel, schnell und hart.

Andererseits griff er George W. Bush in scharfen Worten an und distanzierte sich von den Neonazis. Doch eigentlich ging es gar nicht darum. Der Selfmade-Philosoph, Schachspieler und Hobby-Historiker wehrte sich schlicht gegen jegliche Autorität. Er witterte eine Diktatur der Wohlmeinenden. Im Herzen ist Lemmy ein Anarchist geblieben, der alle Formen von Politik, Ideologie und Religion ablehnt - den Rock'n'Roll ausgenommen.

Diese Haltung machte sich bezahlt. Nach der Flut unterwürfiger Casting-Stars lechzte das Publikum nach dem Schein von Authentizität. Und Lemmy war da genau der Richtige. Während andere Altrocker Wellness-Kuren auf Sri Lanka buchten, Golf spielten oder mit Models im Champagnerbad planschten, hockte er wie eh und je mit einem Glas Jack & Coke im Tourbus, schaute Zeichentrickserien, spielte Videospiele, las Bücher über Hitler und drosch auf seinen Rickenbacker-Bass ein. Bis heute haust er in einem schrulligen Ein-Zimmer-Apartment in Los Angeles, vergöttert einerseits den schwarzen, homosexuellen Sänger Little Richard, sammelt andererseits Nazi-Memorabilien. Er kultiviert eben den Widerspruch. Und er sagt ganz klar: "Die Nazis sind Geschichte. Heute gibt es andere Probleme. Man verschwendet öffentliche Gelder, um ein paar 90-Jährige zu fangen, die ohnehin bald abkratzen. Mich interessieren die Nazis in historischer Hinsicht."

Der Hype und der Kult um seine Person lassen Lemmy kalt: "Ich mache sowieso, was ich will. Ich habe am Anfang keine Ermutigung gebraucht, und ich brauche sie weiterhin nicht. Ich tue einfach, was ich tun muss." Es ist zu erwarten, dass er diesen Passionsweg bis zu seinem Tod stoisch weiter beschreiten wird - ein halbes Jahr auf Tour, zwei Monate im Studio, den Rest im Rainbow Bar & Grill in Los Angeles. Ob doch noch eines Tages eine apokryphe Schrift auftaucht, die von Gottes Diabeteserkrankung berichtet?