Neue Leiterin des Hospiz’ St. Martin: Margit Gratz Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Die Theologin und Mathematikerin Margit Gratz hat im Oktober die Leitung des katholischen Hospizes St. Martin in Degerloch übernommen. Im Interview spricht sie über die Professionalisierung der Hospiz-Bewegung und warum ehrenamtliche Helfer nach wie vor wichtig sind.

Frau Gratz, mit welchen Worten oder welchem Auftrag hat Ihre Vorgängerin, Angelika Daiker, Ihnen die Hospizleitung übergeben?
Zunächst bin ich ihr dankbar für die Wegbereitung. Und auch dafür, was dieses Haus im Herzen und im Kern ausmacht. Für den weiteren Weg hat sie mir Klarheit und Perspektiven für die Zukunft mitgegeben. In diesem Haus ist so viel Wertvolles, Stabiles und Zukunftsfähiges – dieses Fundament hat sie mir mitgegeben.
Die Sterbekultur hat sich verändert. Manche sprechen sogar von einer neuen Kultur des Wohlbefindens beim Sterben. Der Tod soll durch ein perfektes System seinen Schrecken, seine existenzielle Verunsicherung verlieren. Hat jetzt der Trend zur Selbstoptimierung auch das Sterben erreicht?
(Atmet tief durch). Wenn dann eine Art der Optimierung, dass Hospizarbeit in der Gesellschaft weiter angekommen ist und funktioniert. In dieser Stadt kann man gut sterben. Wenngleich noch viel zu tun ist.
Das ist die positive Perspektive. Man kann es auch anders sehen.
Tatsächlich geht es nicht um Perfektion beim Sterben. Es geht darum, Begleitung, Versorgung und die Enttabuisierung zu verbessern. Das ist realistischer. Vor allem im ambulanten Bereich, da es kein Ziel ist, dass alle Menschen im Hospiz sterben, sondern an einem vertrauten Ort. Professionalisierung ist wahrnehmbar.
Gleichwohl steigt die Zahl der Hospize oder der Palliativ-Stationen in Krankenhäusern. Auch Alten- und Pflegeheime denken um. Entstehen so neue Herausforderungen für unsere Sozialsysteme?
Zunächst ist die professionelle Versorgung in den Palliativstationen ein Segen für die Menschen. Aber am Ende müssen wir dafür sorgen, dass mehr Menschen ambulant versorgt werden können. Denn immer noch sterben etwa 50 Prozent in Krankenhäusern. Dass Alten- und Pflegeheime wie auch Krankenhäuser sich vermehrt auf den Weg machen, sich mit Hospizkultur und Palliativkompetenz in ihren Häusern zu befassen, ist eine gute Entwicklung. Wenn nun gelingt, die Leute dort zu lassen, wo sie ohnehin sein wollen, haben wir auch eine Kosteneinsparung.
Henning Scherf, Bremens Ex-OB, nennt diese Entwicklungen in seinem Buch „Das letzte Tabu“ eine Kapitalisierung des Sterbens. Klingt schrecklich – oder?
Die Hospizbewegung hat ehrenamtlich begonnen. Das hat sich verändert, weil wir hauptamtliche Fachkräfte brauchen. Da ist natürlich Geld im Spiel, daher ist der Begriff Ökonomisierung besser wahrnehmbar als Kapitalisierung.
Sie sagen es: Die Hospizarbeit war von Anfang an vom Ehrenamt geprägt. Mit der Professionalisierung steigt auf der einen Seite die Qualität, auf der anderen Seite wird so das ehrenamtliche Engagement zurückgedrängt. Eine Gefahr für das Ehrenamt, eine Gefahr für die gesamte Hospizkultur?
Wir tun wirklich gut daran, diese Entwicklung, die Rolle und Verortung von Ehrenamtlichen, gut im Auge zu behalten. Gerade hier im Haus St. Martin halte ich diese Balance zwischen Ehrenamt und dem Hauptamt sehr gelungen.
Laut der Begründerin der Hospizbewegung, Cicely Saunders, hat Schmerz viele Ursachen: medizinische, soziale, psychische und spirituelle. Das Spirituelle scheint immer wichtiger zu werden. Ist das nur ein Trend?
Nein, es ist kein Trend, es ist eine wichtiger Teil der gesamten Begleitung. Natürlich ist der körperliche Schmerz primär zu behandeln. Denn ein Mensch mit Schmerzen stellt das Interesse an sozialen Kontakten und die Frage, was kommt nach dem Tod, zurück. Aber diese spirituellen Fragen sind da.
Sie haben an einer Professur für spirituelle Medizin am Klinikum Großhadern mitgearbeitet. Ist es schwer, klassische Schulmediziner für diese Aspekte zu gewinnen?
Wir erleben die ganze Palette an Haltungen, von Ablehnung bis in zu hohem Engagement, weil viele Ärzte den Bedarf und die Zusammenhänge zwischen beiden Disziplinen erkannt haben. Aber wir haben hier noch viel zu tun.
Sie leiten nicht nur das Hospiz mit seinem ambulanten und stationären Angeboten, sondern bauen auch das trauerpastorale Zentrum auf. Was soll dieses Zentrum leisten?
Wir denken darüber nach, was braucht es weiterhin für Trauernde aller Altersgruppen. Wir wollen auch eine Art Präventiv- und Beratungsangebot für Menschen schaffen, die noch nicht von der Trauer betroffen sind. Auch die Enttabuisierung des Themas Tod bleibt ein Auftrag. Als Drittes wollen wir uns mit anderen Berufsgruppen in der Stadt, die mit von Trauer im weitesten Sinne betroffenen Menschen zu tun haben, vernetzen. Und schließlich wollen wir die Anliegen der Gemeinde im Fokus haben.
Mit dem Hospiz- und Palliativ-Gesetz von 2015 wurde die Finanzierung der Hospizarbeit gestärkt, damit hat sich die Finanzierung der Hospizarbeit etwas entspannt. Die Trauerarbeit wird aber nicht finanziert. Wie schaffen Sie den Spagat?
Da sind wir weiter auf Spenden angewiesen. Trauer ist grundsätzlich keine medizinisch behandlungsbedürftige Krankheit. Begleitung wie auch die Sorge für Begleitungsangebote werden ein gesellschaftlicher Auftrag bleiben.
Sie waren selbst ehrenamtliche Sterbebegleiterin. Was haben Ihnen diese Erfahrungen gegeben?
Menschen und Beziehungen wichtiger zu nehmen als materielle Dinge. Und sich die Dinge zu Herzen zu gehen lassen, was Menschen am Lebensende bewegt. Und natürlich eine spirituelle Tiefe.
Ganzheitliche Ansätze sind gefragt, die integrative Medizin bekommt immer mehr Zulauf. Auch hier gilt: Es werden vorrangig schulmedizinische Hilfen finanziert, die vor allem körperliche Symptome beziehen. Was muss politisch passieren?
Palliative Care und Hospizarbeit lebt nicht nur von den Menschen, die sie vor Ort leisten. Sie lebt auch von politischer Unterstützung – auf kommunaler und höherer Ebene. Die Nöte und Versorgungsangebote müssen verstanden und finanziell unterstützt werden – wie es in anderen Bundesländern der Fall ist. Politischer Wille und gesetzgeberische Tatkraft spielen eine wichtige Rolle.
Wie viel Medizin braucht es, wie viel Religion darf sein?
Menschen mit lebensbegrenzenden Krankheiten haben Schmerzen auf allen Ebenen, so wie Sie es vorher mit Cicely Saunders erklärt haben. Mal dominiert der Schmerz, dann jene Schmerzursache. Aber das entscheiden nicht wir, sondern der betroffene Mensch. Es geht ums Zuhören, Beraten und Begleiten. Daher möchte ich da auch keinen Konkurrenzkampf zwischen dem einen oder dem anderen „Schmerz“.
Die Humanisten werfen kirchlich getragenen Hospizen immer wieder vor, dort fände Mission statt. Stimmt das?
Spiritual Care ist ein Patienten orientiertes Konzept, analog zu Palliative Care. Und in diesem Konzept ist Spiritualität das, was der Patient als solches benennt. Das kann konfessionell geprägt sein – muss es aber nicht. Das ist der Ansatz, der hier und in der Regel in allen Hospizeinrichtungen gelebt wird. Natürlich kann ich eine katholische Trägerschaft haben und religiöse Elemente in den Alltag einbringen – aber all das ist ein Angebot. Nicht mehr und nicht weniger. Entscheidend ist die Frage, was den Menschen Halt und Sicherheit gibt. Unsere Aufgabe ist es, dies zu fördern – mit allen ehren- und hauptamtlichen Arbeitsfeldern und mit allen Fachkompetenzen und Schätzen, die wir haben.