So wenig wie in Stuttgart wird in kaum einer anderen Großstadt neu gebaut. Foto: dpa

Die Stadt muss Wohnungen für geringverdiener und Platz für Eigenheime schaffen, kommentiert StN-Titelautor Sven Hahn.

Stuttgart - In Berlin diskutieren Deutschlands Spitzenpolitiker über schärfere Mietgesetze und günstigeres Bauen. Wer derweil auf Stuttgart schaut, muss zunächst zwei Tatsachen zur Kenntnis nehmen: Erstens, die Landeshauptstadt hat sich bei Mieten und Immobilienpreisen zur zweitteuersten Metropole der Republik entwickelt, mit einem Preisniveau nur knapp hinter München. Und zweitens, egal ob teuer oder günstig, Wohnungen werden in der Landeshauptstadt im Vergleich der sieben großen deutschen Städte vergleichsweise wenige gebaut.

Neue Eigenheime sind fast gänzlich vom Markt verschwunden. Aktuell werden in dieser Stadt mit immerhin rund 630 000 Einwohnern pro Quartal lediglich noch 50 bis 60 neue Eigenheime veräußert. Doch wer angesichts des akuten Mangels an bezahlbarem Wohnraum die Schlussfolgerung zieht: teure Eigentumswohnungen brauchen wir in Stuttgart nicht, liegt falsch.

Zum einen haben Forscher nachgewiesen, dass auch der Bau und der Verkauf kostspieliger Eigenheime am Ende dem kleinen Mann zugute kommt. Wohnungen, die am oberen Ende der immobilientechnischen Nahrungskette bezogen werden, können nämlich eine Kaskade von Umzügen auslösen, welche mit etwas zeitlichem Versatz das Freiwerden günstiger Wohnungen zur Folge hat. Viel wichtiger ist jedoch das Verständnis dafür, dass in einer Stadt jede gesellschaftliche Schicht und jede Einkommensgruppe ihren Platz finden muss. Denn nur so kann das komplexe Konstrukt einer Stadtgesellschaft funktionieren.

Wenn die Rathausspitze nun sagt, wir konzentrieren uns allein auf den Bau von Sozialwohnungen, ist das zum einen bislang nur wenig erfolgreich – die Ziele, die Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) im Dezember 2013 ausgegeben hat, wurden bis heute nicht erreicht. Zum anderen greift diese Strategie zu kurz. Selbstverständlich ist es im Rahmen der Daseinsvorsorge vielleicht sogar die zentrale Aufgabe der öffentlichen Hand Wohnraum für diejenigen zur Verfügung zu stellen, die auf dem freien Markt keine Chance haben, ein Dach über dem Kopf zu finden. Familien mit Kindern, Senioren mit geringer Rente, Alleinerziehende, Flüchtlinge, Menschen auf Arbeitssuche und viele viele mehr sind davon betroffen.

Doch Stuttgart lebt auch von den Menschen, die finanziell in der Lage sind, ein Haus oder eine Eigentumswohnung in dieser Stadt zu erwerben. Fehlt für dieses Klientel das Angebot, hat das weitreichende Folgen. Zum einen läuft die Landeshauptstadt Gefahr, im Wettbewerb der Großstädte unattraktiv zu werden. Die wirtschaftliche Kraft würde darunter rasch zu leiden haben. Zum anderen müsste inzwischen jedem klar sein, dass sich die Wohnungsnot nicht mit Einzelaktionen oder durch Klientelpolitik lindern lässt. Es müssten hingegen sämtliche Register gezogen werden, damit der Wohnungsmarkt nicht vollends zum Erliegen kommt – dazu gehört auch, Bauland für Wohneigentum auszuweisen.

sven.hahn@stuttgarter-nachrichten.de