Annalena Baerbock und Robert Habeck treten unverbraucht ins politische Scheinwerferlicht. Foto: dpa

Die Grünen machen mit Annalena Baerbock und Robert Habeck die personelle Erneuerung vor – das ist Chance und Risiko zugleich, meint unser Redakteur Christopher Ziedler.

Hannover - Mit uns zieht die neue Zeit. Die Botschaft, die vom Grünen-Parteitag in Hannover ausgehen soll, klingt wie der Schluss der sozialdemokratischen Seit-an-Seit-Hymne. Es wirkt jung und modern, wenn unverbrauchte Gesichter just an dem Wochenende ins bundespolitische Scheinwerferlicht treten, an dem ein Trio von Parteichefs im siebten Lebensjahrzehnt über eine neue Bundesregierung verhandelt. Die relative Jugend des 48-jährigen Robert Habeck und der 37-jährigen Annalena Baerbock ist noch kein Wert an sich, der Eindruck frischen Windes in einer Lage, da nicht wenige ein starres Weiter-so befürchten, schon.

Ein Generationswechsel im Wortsinne ist es nicht, der da über die Bühne gegangen ist. Die nun ausgeschiedenen Parteichefs Simone Peter und Cem Özdemir gehören mit ihren jeweils 52 Jahren schließlich noch nicht zum alten Eisen. Und doch markiert die Staffelübergabe einen Einschnitt, von dem die Grünen hoffen, dass daraus ein Aufbruch wird. Politiker, die das Bild der Partei über lange Jahre geprägt haben, machen Platz vor allem für einen neuen Stil, der von den neuen Vorsitzenden erwartet wird: Ganz nah ran an die Alltagssorgen der Bürger, ohne die Leidenschaft für die vermeintlich weit entfernten Zukunftsfragen aufzugeben. So ähnlich hat auch Özdemir seinen Job verstanden. Mit Habeck verbindet die Partei die Hoffnung, er könne noch leutseliger für den Dreiklang von Umweltschutz, sozialer Gerechtigkeit und Weltoffenheit werben. Er will die wachsende Distanz der Menschen zum politischen System überbrücken.

Linkes Lager oder konservativ im Kern?

Der Ansehensverlust trifft auch die Grünen. Sie haben bei der Wahl zwar besser abgeschnitten als gedacht, wo sie doch noch im Sommer um ihre politische Existenz fürchteten. Über die Ziellinie jedoch sind sie als letzte der im Bundestag vertretenen Parteien gegangen. Sie mögen in den „Jamaika“-Sondierungen eine gute Figur gemacht haben, weil die Parteiflügel mit- statt gegeneinander arbeiteten. Beantwortet sind all die Fragen, mit denen sich die Grünen seit Jahren quälen, damit aber noch nicht:

Gehören wir dem geschrumpften linken Lager an? Oder sind wir doch eine im Kern konservative, bewahrende Kraft? Können wir beides gleichzeitig sein? Setzen wir bei der Bewältigung großer Zukunftsherausforderungen, nicht zuletzt bei der Mobilität im Autoland Deutschland, auch auf individuelle Freiheit und Verantwortung? Oder vorrangig auf staatliche Regelungskraft? Wie schaffen wir es, dass Menschheitsfragen wie der notwendige Fleischverzicht oder das Insektensterben im Hier und Jetzt den Bürgern nicht nachrangig oder gar lächerlich vorkommen? Baerbocks und Habecks Wahl ist verbunden mit dem Wunsch, Konflikte nicht parteiintern auszufechten, sondern im Dialog mit den Wählern aufzulösen. Habeck bringt dazu die Regierungserfahrung in verschiedenen Konstellationen aus Kiel mit.

Delegierte wählen eine Wundertüte

Die Entideologisierung, die damit weiter voranschreitet, kann eine Chance für die Grünen sein. Wenn das Abschütteln alter Parteidogmen nicht für inhaltliche Beliebigkeit steht, sondern für die Offenheit, klare Ziele auf unterschiedlichen Wegen erreichen zu können, dürfte auch in Zukunft Platz für sie sein im bundesrepublikanischen Parteienspektrum. Eine stark mit sich selbst beschäftigte SPD und der unverkennbare Rechtsdrall der FDP eröffnen Räume in der linken Mitte. Nach dem mittlerweile absehbaren Ende der Ära Merkel, das zu einem Rechtsschwenk auch der CDU führen dürfte, werden sie noch größer werden. Auf glaubwürdige Weise Haltung und Pragmatismus zu verbinden, Umwelt- und Wirtschaftspolitik undogmatisch zu versöhnen, könnte hier ein Erfolgsmodell sein. Die Kompromisslosigkeit der Linkspartei ist ohnehin nicht jedermanns Sache.

Niemand weiß, ob die neue Parteiführung auch nur annähernd fähig ist, diese Träume in Erfüllung gehen zu lassen. Selbst manche Parteitagsdelegierte kannten Habecks inhaltliche Positionen zu verschiedenen Themen kaum – und wählten eine Wundertüte. Die Spannung angesichts des unbekannten Inhalts wird der Partei mehr Aufmerksamkeit bescheren, aber möglicherweise nicht nur positive Überraschungen.