Ausnahmezustand in Stuttgart: Der Cannstatter Wasen hat begonnen. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Dirndl, Maß und Krachlederne dürfen nicht alles gewesen sein: Das Cannstatter Volksfest muss mehr sein als nur eine gigantische Party, meint Frank Rothfuß.

Stuttgart - Helau und Alaaf. Der Karneval beginnt. Heerscharen von Flachlandtirolern werden in den nächsten 16 Tagen durch die Stadt streifen und zum Wasen wallfahren, um dort zu schunkeln, fröhliche Lieder zu singen und sich zu betrinken. Das Volksfest ist zum Karneval der Württemberger geworden. Da verkleidet man sich als Alpenbewohner, steigt aus dem Alltag aus und gibt sich die Kante. Es ist Party- Zeit.

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Eigentlich ist das Volksfest ja ein wahrhaft schwäbisches Fest: Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Gegründet hat es König Wilhelm I. 1818 aus Dankbarkeit, weil die Menschen nach langer Not endlich wieder zu essen hatten. Aber auch, weil er die Landwirtschaft reformieren wollte. Nie wieder sollten die Menschen am Hunger verrecken. Also wollte er die Bauern fortbilden. Das Volksfest war einstmals eine Agrarmesse mit anschließendem Umtrunk. Die Veranstalterin in.Stuttgart, die Wirte und der Zeitgeist haben das Volksfest durchgerüttelt, alte Zöpfe abgeschnitten und das Fest salonfähig gemacht.

Kleinere, feinere Alternative zum Wasen

Galt es vor zehn Jahren noch als skurrile Schaubude am Rande der Stadt, hat es sich heute zur kleineren, feineren Alternative der Wiesn gemausert. Auf der man gewesen sein muss. Doch die Herkunft als Erntedankfest merkt man heute nur noch an der Fruchtsäule, die vielen als Treffpunkt dient vor der Sauftour. Vor dem Partymachen.

Cannstatter Wasen vs. Münchner Oktoberfest - einfach auf den Pfeil klicken:

Doch warum überhaupt das ganze Gewese um die Tradition? Nun, man stelle sich mal vor, auf dem Volksfest schenke man nur Alkoholfreies aus. Der OB zapft die erste Apfelschorle an, 5000 Menschen im Zelt stoßen mit Saft an. Glaubt jemand, dass dann vier Millionen Menschen kämen? Natürlich nicht. Das Geschäftsmodell des Wasens ist der Verkauf von Alkohol. Das ist nicht verwerflich. Aber erstaunlich ist schon, wie die Gesellschaft ihre Doppelmoral pflegt.

Dieselben Politiker, die ein Alkoholverbot auf öffentlichen Plätzen fordern, sitzen frohgemut im Zelt und trinken ihre Maß. Und wehe, einige 18-Jährige würden sich auf dem Berliner Platz betrinken. Alsbald wäre die Polizei zur Stelle und würde sie vertreiben. Betrinken sich diese 18-Jährigen im Festzelt, werden sie von der Polizei beschützt. Die ist mit bis zu 100 Mann auf dem Wasen im Einsatz, damit dort Frieden herrscht. Nicht zuletzt verdient der Staat mit am Rausch, über Platzgelder und Steuern.

Wasen muss mehr sein als Massenbesäufnis

Das ist nur zu rechtfertigen, wenn das Volksfest mehr ist als ein Massenbesäufnis. Wenn es mehr ist als die nehme Alkohol, ein Helene-Fischer-Liedlein, Verkleidung,n sei es ein Faschingskostüm, das Nationaltrikot oder ein Dirndl, und viele Gleichgesinnte. Fertig ist die Party. Ob man sie nun Après-Ski, WM-Gewinn, Karneval – oder Volksfest nennt. In München ist man deshalb am Abrüsten. Tagsüber gibt’s Blasmusik ohne Verstärker. Und eine interessante Idee verfolgt man dort auch. Wer in einem Zelt reservieren will, muss dafür ja eine bestimmte Zahl an Marken für Essen und Trinken kaufen. Bei der Wiesn will man den Gästen nun anheim stellen, einen Teil ihres Guthabens auch bei Fahrgeschäften und Losbuden einzulösen. Das macht man, weil man weiß: leiden die Schausteller, leidet der ganze Rummel. Ohne Tradition, ohne Vielfalt ist ein Volksfest kein Volksfest mehr.

Damit nun Helau und Alaaf! Pardon, das heißt ja Prosit!