Wohnungen in Stuttgart werden besetzt. Foto: Lichtgut/Christoph Schmidt

Die linken Hausbesetzer in Stuttgart und ihre Kritiker aus dem bürgerlichen Lager sind sich in Wahrheit viel zu einig, kommentiert StN-Titelautor Sven Hahn.

Stuttgart - Ja, es gibt dramatische Probleme auf dem Stuttgarter Wohnungsmarkt. Doch die Besetzung von zwei Wohnungen in Heslach gehört nicht dazu. Vielmehr ist es die viel zu große Einigkeit zwischen den linken Hausbesetzern und ihren bürgerlichen Kritikern, die den Wohnungsmarkt in Stuttgart zum Erliegen bringt.

Beide Seiten in diesem Streit zeichnen ein zu einfaches Bild der Welt. Die Politiker und Aktivisten, die hinter den Hausbesetzern stehen, sprechen davon, dass hier leer stehender Wohnraum belebt werde. So wolle man auf einen gesellschaftlichen Missstand aufmerksam machen, heißt es. Fakt ist: die Besetzung einer fremden Wohnung ist Hausfriedensbruch. Viel wichtiger noch: so lassen sich auf Dauer keine Probleme lösen. Auf der anderen Seite werden die Hausbesetzer diffamiert. Ohne Legitimation werde in die Eigentumsrechte von Bürgern eingegriffen, schallt es aus dem konservativen Lager. Wer so spricht, stört sich offenkundig nicht daran, dass in einer Stadt, in der Immobilienpreise und Mieten explodieren und in der ganze Bevölkerungsschichten aus ihren angestammten Quartieren verdrängt werden, Wohnungen grundlos leer stehen. In Artikel 14 Grundgesetz steht im Übrigen: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“

Weniger als 10 000 Wohnungen geschaffen

In Wahrheit handelt es sich bei der Diskussion um Hausbesetzer und Leerstand um ein Scheingefecht. Tatsache ist: die Zahl von mehr als 11 000 leer stehenden Wohnungen in Stuttgart stammt aus den Jahren 2010 und 2011. Seither sind mehr als 40 000 neue Einwohner in die Landeshauptstadt gekommen. Im gleichen Zeitraum wurden jedoch weniger als 10 000 zusätzliche Wohnungen geschaffen – etliche wurden im selben Zeitraum abgerissen. Bei einer durchschnittlichen Auslastung von zwei Personen pro Wohnung und einem steigenden Anteil an Singlehaushalten bleibt nur eine Lesart übrig: bis auf wenige Ausnahmen werden die Wohnungen, die bis vor wenigen Jahren leer standen, inzwischen bewohnt und mutmaßlich teuer vermietet. Mit dem (im Vergleich zu Bayern halbherzigen) Engagement der Stadt gegen Leerstand hat das im Übrigen kaum etwas zu tun.

Zwei Lager eint mehr als man denkt

Das tatsächliche Problem, welches den Stuttgarter Wohnungsmarkt lähmt, ist die unheilige Allianz zwischen dem Lager der Hausbesetzer sowie ihren bürgerlichen und grünen Kritikern. Denn beiden Seiten eint mehr, als es den Anschein hat. Beide Lager sprechen sich etwa gegen Wohnungsbau auf der grünen Wiese aus. Neue Wohnungen dürfen in Stuttgart, auf politischen Beschluss mit Stimmen von rechts wie links, allein auf bereits zuvor bebauter Fläche entstehen. Dem Wachstum der Stadt setzt dieses Vorgehen natürlich eindeutige Grenzen. Der Bedarf nach Wohnraum in Stuttgart bleibt jedoch aufgrund der starken Wirtschaft und der Lage auf dem Arbeitsmarkt konstant hoch. Das Ergebnis: geringes Angebot gepaart mit hoher Nachfrage sorgt für Knappheit, steigende Preise, die Verdrängung einkommensschwacher Bevölkerungsschichten – kurz gesagt für eine Wohnungsnot.

So sehr sich Hausbesetzer und bürgerliche also öffentlichkeitswirksam bekriegen mögen, so einig sind sie bei der Frage, ob in Stuttgart mehr neue Wohnungen gebaut werden sollen. Im Zweifel antworten beide Seite mit Nein. Und diese unheilige Allianz zweier eigentlich grundverschiedener Lager ist das wahre Problem auf dem Stuttgarter Wohnungsmarkt.

sven.hahn@stuttgarter-nachrichten.de